Wann immer vom Leiden nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 die Rede ist, wird vor schweren Verläufen bei Menschen mit Übergewicht gewarnt. Wer dick ist, hat es im Durchschnitt schwerer, das Virus zu bekämpfen. Im Fachblatt Nature Medicine zeigen Wissenschaftler aus Cambridge, Oxford und Edinburgh nun, dass Menschen mit starkem Übergewicht mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Impfung eine geringere Immunreaktion aufweisen als Normalgewichtige. Die Menge der das Virus neutralisierenden Antikörper ist zwar direkt nach der Injektion des Vakzins bei Übergewichtigen ähnlich hoch wie bei Normalgewichtigen - Wochen später zeigen Schwergewichtige jedoch eine schlechtere Immunantwort. Menschen mit Adipositas bräuchten daher wohl öfter eine Auffrischung, so die Forscher.
Die Fähigkeit der Antikörper, das Virus zu eliminieren, lasse bei starkem Übergewicht schneller nach, schreibt das Team, das Daten von 3,5 Millionen Schotten analysiert hat. Demnach haben Menschen mit einem Body Mass Index (BMI) über 40 ein um 76 Prozent höheres Risiko gegenüber Infizierten mit normalem BMI (19 bis 25), einen schweren Verlauf zu erleiden. Ein auf 30 bis 39 erhöhter BMI steigert das Risiko ebenfalls, wenn auch moderater.
Die durchschnittliche Dauer, bis es zu Durchbruchsinfektionen nach der zweiten Impfung kam, war ebenfalls abhängig vom Gewicht. Sie betrug zehn Wochen bei schwerer Fettleibigkeit, also einem BMI jenseits von 40. Bei Adipositas (BMI 30 bis 39) waren es 15 Wochen - gegenüber 20 Wochen bei Menschen mit Normalgewicht. "Der erworbene Schutz durch die Impfung verschwindet schneller bei starkem Übergewicht", sagt Aziz Sheikh von der Universität Edinburgh, einer der federführenden Autoren der Studie. "Unsere große Datenbasis gibt uns Hinweise, was angemessene Impfabstände in der postpandemischen Zeit wären."
"Die Impfung wirkt bei heftigem Übergewicht, aber der Schutz hält nicht lange an."
Das britische Team untersuchte zusätzlich Menge und Funktion der Immunzellen abhängig vom Gewicht. Sechs Monate nach der zweiten Impfung lag die Konzentration der Antikörper bei Übergewichtigen und Normalgewichtigen zwar ähnlich hoch. Die Fähigkeit, das Virus effektiv zu neutralisieren, war jedoch in der Gruppe der Adipösen geringer. Bei 55 Prozent der Probanden mit starkem Übergewicht ließ sich nach einem halben Jahr keine Neutralisierungskapazität mehr nachweisen - im Vergleich zu zwölf Prozent bei Probanden mit Normalgewicht. "Unsere Studie unterstreicht, wie sehr Übergewicht die Antwort auf die Impfung verändert und damit das Risiko einer Infektion", sagt Agatha van der Klaauw, die Erstautorin der Studie. "Wir müssen dringend verstehen, wie wir die Immunfunktion wieder herstellen und so Gesundheitsrisiken minimieren."
Die Wissenschaftler vermuten, dass Antikörper von Fettleibigen weniger gut an das Virus binden und deshalb den Erreger nicht so effektiv neutralisieren. Nachdem die Probanden eine dritte Impfung gegen Covid-19 bekommen hatten, war die Abwehrkraft gegen das Virus bei Übergewichtigen wie bei Normgewichtigen wieder hergestellt. Doch auch in diesem Fall ließ die Immunität bei Fettleibigen schneller nach. "Zwar ist durch eine Booster-Impfung die Wirksamkeit der Antikörper auch bei Adipositas vorhanden, aber es ist bedenklich, dass sie so schnell wieder verschwindet", sagt James Thaventhiran von der Uni Cambridge. "Die Impfung wirkt bei heftigem Übergewicht, aber der Schutz hält nicht lange an."
"Wegen der Belastung durch das Körperfett sind die Abwehrkräfte beeinträchtigt
Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing, wo mehr als 7000 Covid-Patienten behandelt wurden, hat während der Pandemie erleben müssen, dass Patienten mit Adipositas schlechter dran waren. "Aus großen Studien ist mittlerweile bekannt, dass Patienten mit Übergewicht ein etwa dreifach erhöhtes Risiko haben, intensivmedizinisch behandelt werden zu müssen und häufiger an Covid-19 zu sterben", so Wendtner. "Ein Grund ist eine stetige unterschwellige Entzündung im Körper, die ständig proinflammatorische Botenstoffe freisetzt."
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Fettzellen von Übergewichtigen sind zudem schlechter durchblutet und sterben früher ab. "Tote Fettzellen müssen abgeräumt werden, Immunzellen konzentrieren sich darauf, und unterstützend werden T-Helferzellen und B-Lymphozyten für den Prozess abgezogen, die an anderer Stelle fehlen", so Wendtner. "Das Immunsystem wird umgelenkt." Wegen der Zusatzbelastung ist die Abwehr gegen äußere Feinde wie Sars-CoV-2 stark beeinträchtigt. Es stehen weniger Immunzellen zur Verfügung.
Zudem sterben Immunzellen bei fettleibigen Menschen schneller ab, weil sie stetig Botenstoffe produzieren müssen, ein Phänomen, das als Seneszenz bezeichnet wird. Und die Antikörper sind weniger funktionsfähig, weil sie bei Menschen mit Adipositas vermehrt biochemisch verändert sind. Für die Infektabwehr wie für den Aufbau einer Impfreaktion nach der Gabe eines Vakzins ist die Antikörper-Wirkung daher eingeschränkt.
"Nicht nur bei Covid-19, auch bei anderen Infektionen wie Influenza führen diese Phänomene dazu, dass das Immunsystem den eigentlichen Feind kaum erkennt", sagt Wendtner. "Das trifft auch für die Immunreaktion von adipösen Menschen auf Impfungen zu, egal ob gegen Covid-19 oder Influenza." Auch dann können nicht genug B- und T-Zellen für die Impfreaktion rekrutiert werden, da sie anderweitig beschäftigt sind. Die Impfreaktion fällt schwächer aus, so dass der Impfschutz bei adipösen Menschen früher nachlässt.