Medikamente für Senioren:Arznei, lass nach

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Medikamente gegen Bluthochdruck und Diabetes sollten im Alter reduziert werden. Doch bekommen Senioren erst einmal Medikamente, verringern nur wenige Ärzte die Dosis wieder - auch wenn das medizinisch wichtig wäre.

Von Werner Bartens

Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Das zeigt sich in der Medizin immer wieder, im konkreten Beispiel in der Behandlung von Bluthochdruck und Diabetes bei älteren Menschen. Werden Patienten erst einmal therapiert, verringern nur wenige Ärzte im Verlauf die Medikamentendosis, auch wenn das aus medizinischer Sicht angebracht wäre. Diese Übertherapie ist nicht nur unsinnig, sie kann für Senioren sogar gefährlich werden, zeigen Ärzte im Fachmagazin JAMA Internal Medicine (online) vom heutigen Dienstag.

Gerade bei Patienten jenseits der 70 kann ein medikamentös stark erniedrigter Blutdruck zu Verwirrung, Schwindel und Schwäche führen. Stürze, zu denen es in der Folge kommt, sind für ältere Menschen oft der Beginn von Immobilität, Bettlägerigkeit und ziehen weitere Leiden nach sich. Mehrere große Untersuchungen haben jüngst gezeigt, dass es für Menschen jenseits der 70 mehr Vorteile bringt, wenn ihr Blutdruck und Diabetes nicht extrem streng eingestellt werden. In der aktuellen Studie analysierten Ärzte um Jeremy Sussman von der Universität Ann Arbor die Betreuung von mehr als 200 000 Patienten. Nur bei 27 Prozent der Senioren wurde die Therapie reduziert, obwohl bei mehr als der Hälfte schon länger niedrige Werte für Blutdruck und Blutzucker erreicht waren.

Sogar bei Patienten, die aufgrund der Behandlung extrem niedrige Werte aufwiesen und bei Kranken, die nicht mehr lange zu leben hatten, wurde die intensive Therapie aufrechterhalten. Die Befragung von fast 600 Ärzten und Pflegekräften ergab, dass Fachkräfte Angst haben, mit einer zu niedrigen Dosis Patienten nicht optimal zu behandeln oder rechtliche Schritte befürchten.

"Wir Ärzte wollen sichergehen, dass Patienten die Behandlung bekommen, die sie brauchen - aber wir sollten auch aufpassen, dass wir ihnen nicht schaden", sagt Eve Kerr, die an der Studie beteiligt war. "Wenn eine Therapie nichts nutzt, verursacht sie wahrscheinlich andere Probleme und wir sollten es lassen. Doch zu unserer Überraschung ist das oft nicht der Fall, obwohl viele Leitlinien eine abgeschwächte Therapie bei älteren Leuten vorsehen."

Sussman betont, dass Ärzte oft auf langfristige Erfolge in der Therapie abzielen, um Spätfolgen wie Schlaganfall, Infarkt, Nierenversagen oder Amputationen zu verhindern. Mit zunehmendem Alter steigt jedoch das Risiko für eine gefährlich tiefe Absenkung von Blutdruck oder -zucker. "Die Praxis, bei älteren Patienten Medikamente abzusetzen, um Unterzuckerung oder zu niedrigen Blutdruck zu verhindern, findet sich kaum", sagt Sussman. Mit einer medikamentösen Behandlung wieder aufzuhören, käme Ärzten kaum in den Sinn.

Für ältere Patienten sehen die neuesten Richtlinien vor, dass der HbA1c-Wert, der Auskunft über die Diabetes-Einstellung gibt, durchaus zwischen 7,5 und 8 Prozent liegen kann und nicht bei 6 liegen muss. Je niedriger der Wert, desto größer die Gefahr für gefährliche Hypoglykämien. Für den systolischen Blutdruck seien Werte unter 150 mm Hg anzustreben; in der aktuellen Studie hatten aber mehr als die Hälfte der Teilnehmer Werte zwischen 120 und 129 oder sogar noch geringer. "Für viele Jahre war es das Ziel von Ärzten, die Unterversorgung der Patienten zu beheben und möglichst viele Menschen zur Therapie zu bewegen", sagt Enrico Mossello von der Universität Florenz. "Da ist es ungewohnt, die Folgen einer zu intensiven Therapie im Blick zu haben."

© SZ vom 27.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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