Süddeutsche Zeitung

Medizin:Antibiotika - einmal kurz innehalten, bitte

Um die Gefahr durch resistente Erreger zu begrenzen, ist ein Umdenken nötig - und zwar auch von Patienten.

Gastbeitrag von Gerd Fätkenheuer

Unter dem Motto "Think twice, seek advice" ("Denke nach und suche Rat") hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor Kurzem auf das weltweite Problem der Antibiotika-Resistenzen aufmerksam gemacht und zum sorgsamen Umgang mit diesen kostbaren Medikamenten aufgerufen. Die Kampagne richtet sich primär an die Allgemeinheit, will aber auch Ärzte zum rationalen Einsatz von Antibiotika bewegen.

"Denke nach" - muss man das wirklich betonen im medizinischen Alltag? Jeder Patient wird von seinem Arzt erwarten, dass er gründlich überlegt, welche Therapie er einsetzt, bevor er etwas verschreibt. Wenn man das Motto übersetzt mit "denke noch einmal nach", dann erscheint es schon weniger selbstverständlich. Hier ist ein Innehalten, eine zumindest kurze Unterbrechung der Routine gefordert. Möchte ich wirklich meinem ersten Impuls und den Gewohnheiten folgen, die sich über Jahre ärztlicher Tätigkeit eingeschliffen haben? Dann werde ich nicht lange zögern, ein Antibiotikum aufzuschreiben, wenn ich einen Patienten vor mir habe, der stark hustet und dazu noch Fieber hat.

Wenn ich aber innehalte und ein zweites Mal darüber nachdenke, werde ich mich daran erinnern, dass in dieser Situation meistens Viren für die Symptome verantwortlich sind - Krankheitserreger also, die durch Antibiotika überhaupt nicht beeinflusst werden können. Dann werde ich mir den Patienten vielleicht noch einmal genauer anschauen, noch spezifischere Fragen stellen, ihn gezielter untersuchen. Und ich werde dann, statt einfach ein Rezept auszustellen, dem Patienten erklären, dass ich den Einsatz von Antibiotika in dieser Situation nicht für notwendig halte. Das alles kostet Zeit, die häufig im ärztlichen Alltag fehlt. Dies ist jedoch kein Argument für den ungerechtfertigten Gebrauch von Antibiotika.

Gerd Fätkenheuer

ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie und als Infektiologe außerordentlicher Professor an der Uniklinik in Köln.

Grundsätzlich ist das Auftreten von Antibiotikaresistenzen nicht zu vermeiden. Es handelt sich um einen Abwehrmechanismus von Bakterien, der überall in der Natur vorkommt, auch ohne den Einsatz von Antibiotika, und den es schon gab, bevor diese Medikamente entdeckt wurden. Das Ziel kann nur sein, das Vorkommen resistenter Krankheitserreger zu minimieren. Hierzu sind zum Beispiel auch verbesserte Hygiene und ein verminderter Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung wichtig. Dennoch bleibt der sorgsame Einsatz von Antibiotika durch Ärzte entscheidend im Kampf gegen resistente Erreger.

Antibiotika sind zu wertvoll, um sie ohne Not zu verordnen

Zwischen dem Gebrauch von Antibiotika und der Entstehung resistenter Bakterien besteht ein direkter Zusammenhang. Der breite, ungezügelte Einsatz, häufig ohne die Notwendigkeit einer ärztlichen Verschreibung, hat global gesehen bereits zu einer weiten Verbreitung hoch resistenter Erreger geführt, für die teilweise keine Medikamente mehr zur Verfügung stehen. In Deutschland sind wir hier noch in einer vergleichsweise günstigen Situation, auch wenn die Angst vor Ansteckung mit solchen Erregern im Krankenhaus heute Patienten umtreibt.

Infektionen mit multiresistenten Erregern machen bei uns nur einen relativ kleinen Teil der Infektionskrankheiten aus. Diese Situation gilt es durch einen verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotikaunbedingt zu erhalten. Ärzte lernen dies heute bereits in der Ausbildung und später zum Beispiel in Fortbildungskursen unter dem Schlagwort "Antibiotic Stewardship".

Der zweite Teil des WHO-Mottos - "suche Rat" - ist ebenfalls von Bedeutung. Im Zusammenhang mit der WHO-Kampagne ist hier vor allem gemeint, dass Antibiotika nicht ohne ärztliche Verordnung eingenommen werden sollen - was in Deutschland praktisch nicht, in vielen anderen Ländern dagegen sehr wohl vorkommt. Wenn wir aber darunter verstehen, dass Rat nicht nur gesucht, sondern auch befolgt wird, dann wird diese Aufforderung auch für uns relevant. Um das Beispiel des Patienten mit Husten und Fieber aufzugreifen: Viele Ärzte berichten, dass Patienten häufig sehr energisch den Einsatz von Antibiotika einfordern, auch wenn von Seiten des Arztes hier keine Notwendigkeit gesehen und dies ausführlich erläutert wird. In der Bevölkerung muss also das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass Antibiotika zu wertvolle Medikamente sind, um sie auch dann zu benutzen, wenn keine medizinische Indikation besteht.

Was ist also konkret zu tun?

Die Aufforderung, Rat zu suchen, ist aber auch unter Ärzten sinnvoll, wenn darunter der Austausch mit erfahrenen Kollegen verstanden wird. Natürlich muss und sollte nicht bei jeder Erkältung der Rat eines anderen Arztes eingeholt werden. Bei komplizierten Infektionen oder bei Patienten mit komplexen Erkrankungen, wie sie vor allem in Kliniken auftreten, sieht dies allerdings anders aus. Hier kann die Beratung (im medizinischen Jargon als "Konsil" bezeichnet) durch Infektiologen, also Ärzten mit speziellen Kenntnissen über Infektionskrankheiten, manchmal sogar für das Überleben von Patienten entscheidend sein.

Was ist also konkret zu tun? Alle Seiten sind hier angesprochen. Ärzte müssen noch viel stärker als bisher lernen, das Für und Wider von Antibiotika-Verschreibungen gegeneinander abzuwägen. Ganz im Sinne einer Kampagne der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin ist hier "Klug entscheiden" gefordert. Patienten sollten verstehen, dass Antibiotika keine Allheilmittel sind und dass nicht jede banale Infektion damit behandelt werden muss. Und die Kostenträger im Gesundheitswesen sollten begreifen, dass Investitionen in personelle Ressourcen zwingend notwendig und am Ende auch kosteneffektiv sind. Es braucht gut geschulte Ärzte, Hygiene- und Laborfachleute, um der Bedrohung durch Resistenzen wirksam etwas entgegenzusetzen. Und um Übertragungen von Infektionserregern im Krankenhaus zu verhindern, werden insbesondere ausreichend Pflegekräfte benötigt, damit Patienten auf Intensivstationen und in anderen sensiblen Bereichen mit der nötigen hygienischen Sorgfalt behandelt werden können.

Ein klügeres Motto hätte die WHO also kaum wählen können, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Es lässt sich zudem auf alle Bereiche der Medizin anwenden, auch wenn die möglichen Folgen der Nichtbeachtung nicht immer so gravierend sein mögen wie bei der Resistenzentwicklung von Antibiotika. Und warum bei der Medizin aufhören, wenn es um die Aufforderung geht, gründlich nachzudenken und auch den Rat anderer anzunehmen? Ein wenig mehr davon in anderen Lebensbereichen würde sicherlich keinen Schaden anrichten. Vielleicht wollte die WHO ja auch eine allgemeine politische Botschaft ausgeben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3777194
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.12.2017/fehu
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.