Die EU-Arzneimittelbehörde EMA hat eine Empfehlung des Alzheimer-Mittels Lecanemab abgelehnt. Das Risiko schwerer Nebenwirkungen des Antikörper-Wirkstoffs sei höher zu bewerten als die erwartete positive Wirkung, teilte die EMA mit. In den klinischen Studien konnte Lecanemab zwar nicht die Symptome bessern, aber den Krankheitsverlauf in manchen Fällen etwas abbremsen. Doch in seltenen Fällen kam es auch zu Hirnschwellungen.
Lecanemab wurde von den Pharmaunternehmen Eisai (Japan) und Biogen (USA) entwickelt und wird in den USA, Japan, China und Südkorea vermarktet. In den USA etwa wurde dem Wirkstoff am 6. Januar 2023 unter dem Handelsnamen Leqembi eine vorläufige Marktzulassung erteilt. Die vollständige US-Zulassung erfolgte Anfang Juli 2024. Infrage kommt der Wirkstoff allerdings nur für einen begrenzten Kreis von Alzheimer-Patienten, nach Einschätzung von Experten für weniger als zehn Prozent. In Deutschland sind Schätzungen zufolge etwa eine Million Menschen von der Krankheit betroffen.
„Die Entscheidung setzt die EMA nun unter Druck.“
„Ich muss sagen, dass ich von der Entscheidung enttäuscht bin“, sagt John Hardy, Professor für Neurowissenschaften und Gruppenleiter des UK Dementia Research Institute in London, dem Wissenschaftsjournalisten-Portal Science Media Center (SMC). In diesem Fall seien die Europäer und die US-Amerikaner zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gekommen, obwohl ihnen ähnliche Daten vorgelegt wurden. „Die Frage, ob der unzweifelhafte statistische Nutzen der Behandlung das Risiko schwerwiegender, wenn auch seltener Nebenwirkungen wert ist, ist bei jeder Behandlung schwierig“, sagt er. „Ich bin mir sicher, dass nun reiche Menschen mit Alzheimer im Frühstadium für eine Behandlung in die USA oder in andere Länder reisen werden.“
Ähnliche Kritik äußert der Demenz-Forscher Ivan Koychev vom Department für Psychiatrie an der Universität Oxford: „Eine Zulassung wäre ein positives Zeichen für weitere Innovationen in der Entwicklung von Demenz-Medikamenten gewesen“, sagte er dem SMC. Auf der anderen Seite seien die Vorteile des Medikaments bestenfalls bescheiden und träten im Zusammenhang mit erheblichen Nebenwirkungen auf. Auch die Kosten seien erheblich. „Die Entscheidung setzt die EMA nun unter Druck, klare Leitlinien dafür zu erstellen, was ein klinisch sinnvoller Nutzen bei der Alzheimer-Krankheit ist.“
In jedem Fall aber stecke in der Entscheidung der EMA auch eine Botschaft der Hoffnung, sagt Tara Spires-Jones, Präsidentin der British Neuroscience Association von der Universität Edinburgh: „Lecanemab hat gezeigt, dass es möglich ist, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen“, sagte sie dem SMC. Jetzt müsse man die Anstrengungen verstärken, um neue und sicherere Behandlungsmethoden zu finden. „Jede Entdeckung bringt uns näher an neue und bessere Behandlungsmöglichkeiten heran.“