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Medikamentenallergie:So kommen Patienten dem Auslöser auf die Spur

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Wer nach der Medikamenteneinnahme Hautausschläge oder andere Beschwerden bekommt, glaubt schnell an eine Unverträglichkeit. Ein Allergietest kann Gewissheit bringen. Die Diagnostik ist schwierig, aber lohnend. Dagegen kann eine vorsorgliche Abklärung ohne jeden Verdacht mehr schaden als nützen.

Von Katrin Neubauer

Quaddeln, Ödeme, Atemnot - nach der Einnahme von Arzneimitteln deuten solche Symptome meist auf eine Unverträglichkeit hin. Patienten sind dann oft ratlos. Sollte ich das Medikament künftig einfach weglassen oder der Ursache nachgehen? Wie kommt man dem Auslöser auf die Spur? Was bringt mir eine Abklärung überhaupt?

Generell gilt: Allergieähnliche Symptome auf ein Medikament sollten Patienten immer von einem Hautarzt oder Allergologen übertprüfen lassen, um den Verdacht in Gewissheit zu verwandeln. Liegt tatsächlich eine Unverträglichkeit zugrunde, können sich beim nächsten Mal die Beschwerden verschlimmern. Auch das Risiko für einen anaphylaktischen Schock steigt.

Allerdings wird - häufig aus Mangel an Kenntnis - nur selten eine gründiche Diagnostik eingeleitet. "Medikamentenallergien aufzuklären ist anspruchsvoll und braucht Zeit", sagt Jörg Klein-Tebbe, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Allergie und klinische Immunologie und Hautarzt am Berliner Allergie- und Asthma-Zentrum Westend. Es gibt deshalb kaum niedergelassene Ärzte, die die nötigen Tests durchführen. Die werden fast ausschließlich in spezialisierten Hautkliniken angeboten.

Wegen der vielen Wirkstoffe, die als Auslöser in Frage kommen, können die Tests kompliziert und zeitaufwändig sein. "Das A und O ist eine gründliche Anamnese", betont Klein-Tebbe. "Dabei kann ein zeitnahes, akribisch geführtes Protokoll vom Patienten selbst extrem hilfreich sein." Das sollte zum Beispiel die Zeiten enthalten, wann das Medikament eingenommen und abgesetzt wurde, wann erste Symptome auftraten, welche das waren und ob ähnliche Beschwerden schon einmal beobachtet wurden. Liegt die Einnahme schon einige Zeit zurück, wird es besonders schwierig.

Nach einem begründeten Verdacht kann ein Hauttest weiterhelfen. "Allerdings sind Hauttests bei Arzneimitteln nicht so aussagekräftig wie bei Pollenallergien", sagt Knut Brockow, Hautarzt und Allergieexperte am Klinikum rechts der Isar in München. Nur in etwa zehn bis 20 Prozent der Fälle kann der Test eine Allergie nachweisen. Dieses Ergebnis ist dann sehr zuverlässig. Dagegen sagt ein negatives Testergebnis noch nicht viel aus. Am besten funktionieren die Tests bei Penicillin: "Hier werden 70 Prozent der Überempfindlichkeitsreaktionen durch den Hauttest bestätigt", sagt Brockow.

Hauttests sollten sechs bis acht Wochen nach Abklingen der allergischen Reaktion veranlasst werden. Der einfachste ist der Pricktest. Er wird vor allem bei Sofortreaktionen, etwa der Nesselsucht oder einem anaphylaktischem Schock, genutzt. Der Epikutan- oder Pflastertest bewährte sich eher bei Spätreaktionen mit einem verzögerten großflächigen Hautausschlägen, genannt Exantheme. Dazu bleibt das mit dem Allergen getränkte Pflaster einen Tag auf der Haut. Dann wird sofort und an zwei oder drei weiteren Tagen die Testreaktion abgelesen.

Am empfindlichsten und aussagekräftigsten ist der Intrakutan-Test, der auch schwächeren Allergenen auf die Spur kommt. Hierbei wird das verdünnte Medikament unter die Haut gespritzt. Nach 15 Minuten wird die Sofortreaktion und an den Folgetagen die Spätreaktion erfasst.

Weniger geeignet ist bei Medikamentenunverträglichkeiten der Bluttest. Die Schwierigkeit besteht darin, nach dem richtigen Antikörper zu suchen. Denn nicht immer muss der Wirkstoff selbst die allergische Reaktion auslösen. "Manchmal wird sie auch durch Ab- und Umbauprodukte des Medikaments, so genannte Metaboliten, hervorgerufen", sagt Klein-Tebbe. In seltenen Fällen können auch Zusatzstoffe, wie Konservierungs-, Farb-, Duft-, Süßstoffe oder Emulgatoren Auslöser sein. Und oft liegt den allergieähnlichen Symptomen keinen echte, sondern eine Pseudo-Allergie zugrunde. Dann fehlen die IgE-Antikörper, nach denen der Bluttest fahndet, gänzlich.

Verläuft der Hauttest ebenfalls negativ, bringt letztlich nur ein Provokationstest Gewissheit. Mit einem Provokationstest kann der Arzt ultimativ abklären, ob es sich um eine echte allergische oder pseudo-allergische Reaktion handelt. Dafür müssen Patienten meist in einer Klinik stationär aufgenommen werden. Unter ärztlicher Aufsicht wird das Mittel dann in geeigneter Dosierung verbreicht. Allerdings gibt es nur wenige Kliniken, die diese Tests durchführen. Brockow: "Nur bei 10 bis 20 Prozent der Patienten bestätigt sich tatsächlich eine Unverträglichkeit. In allen anderen Fällen kann das Medikament als Ursache für die Beschwerden ausgeschlossen werden."

Bei einem anaphylaktischem Schock durch Röntgenkontrastmittel wird wegen des hohen Risikos auf einen Provokationstest verzichtet. "In diesen Fällen empfehlen wir statt Röntgen die Magnetresonanztomographie (MRT)", sagt Brockow. Die Kontrastmittel dafür sind meist besser verträglich. Eine andere Möglichkeit ist, auf ein anderes Röntgenkontrastmittel auszuweichen, die Patienten vorbeugend mit Cortison und Antihistaminika zu behandeln und für eine Notfallbereitschaft zu sorgen.

Eine weitere Methode insbesondere bei verzögert auftretenden Allergien sind Labortests. Hierzu muss der Patient zur Blutabnahme in ein Speziallabor. In einem so genannten Lymphozytentransformationstest werden in vitro die für die Beschwerden verantwortlichen T-Zellen mit dem Wirkstoff in Kontakt gebracht. Eine Vermehrung der T-Zellen, bestätigt eine Allergiebereitschaft vom verzögerten Typ.

Ist eine Unverträglichkeit nachgewiesen, sollte der Auslöser in Zukunft gemieden werden. Eine Hyposensibilisierung, wie bei Pollenallergien, ist für Medikamente nicht möglich. Handelt es sich um eine Pseudoallergie auf Analgetika, kann in Einzelfällen eine Hyposensibilisierung sinnvoll sein. Dabei muss die Dosis allmählich gesteigert und das Präparat dann regelmäßig eingenommen werden, ohne es je wieder abzusetzen. "Sonst geht nach ein, zwei Tagen der Schutz wieder verloren und die Symptome können erneut auftreten", sagt Klein-Tebbe. In Frage kommt diese Therapie nur für Patienten, für die Alternativmittel nicht zur Verfügung stehen oder die ein spezielles Medikament wegen chronischer Beschwerden ohnehin immer einnehmen müssen.

Patienten mit einer Medikamentenunverträglichkeit sollten einen Allergiepass haben, in dem vermerkt ist, seit wann die Allergie besteht und welches der Auslöser ist. "Darin gehört auch aufgeschlüsselt, worauf die Erkenntnis beruht, ob auf Beobachtungen des Patienten, Hauttestergebnisse oder Laborergebnisse", sagt Klein-Tebbe. Hilfreich ist zudem eine Bewertung oder ein kurzes Fazit. Das bloße Testergebnis ist für Nicht-Allergologen sonst schwierig zu deuten. Patienten mit schweren allergischen Reaktionen sollten ein Notfallset bei sich tragen, in dem ein Adrenalin-Autoinjektor, ein schnellwirkendes Antihistaminikum und Cortison enthalten sind.

"Häufig tragen Patienten an Ärzte den Wunsch heran, in prophetischen Tests alle Medikamente vorab auf ihre Verträglichkeit zu prüfen", sagt Klein-Tebbe. "Davon ist klar abzuraten. Erstens, kann ein Ergebnis auch mal falsch positiv sein, dann ist ein helfendes Medikament unnötigerweise ein Leben lang gesperrt. Zweitens, gilt das Ergebnis nur zum Testzeitpunkt. Eine Allergie kann sich auch später noch entwickeln. Drittens, riskiert man damit eine Sensibilisierung und der Patient entwickelt so vielleicht erst eine Allergiebereitschaft."

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