Medikamente:Darf eine Pharmafirma ein lebensrettendes Medikament zurückhalten?

Hannah ist zehn Jahre alt und leidet an Kinderdemenz, einer tödlichen Krankheit. Es gibt ein Medikament - doch der Hersteller will es nicht herausgeben.

Von Christina Berndt

Seit einem Dreivierteljahr schon kämpfen Hannahs Eltern darum, dass ihre Tochter ein Medikament bekommt, das ihr helfen könnte. Die Zehnjährige aus der Nähe von Bad Tölz leidet unter der Kinderdemenz NCL2, einer tödlichen Krankheit, die ihr nach und nach alle Fähigkeiten raubt. Doch das einzige Medikament, das die Krankheit aufhalten könnte, ist noch nicht zugelassen, und die Pharmafirma will es nicht herausgeben.

Dabei zeigen neue Daten, wie unglaublich wirksam und zugleich sicher die Arznei namens BMN 190 ist: Sie wurde am Mittwoch (Ortszeit) während eines Symposions in San Diego präsentiert. Demnach ist die Wirkung des Medikaments überwältigend: Bei 20 der 23 Kinder, die BMN 190 ein Jahr lang bekamen, schritt die Krankheit deutlich langsamer fort. 15 Patienten stabilisierten sich sogar, wie die Studienleiterin Angela Schulz vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf berichtete: "Sie behielten ihre Fähigkeit zu laufen und zu sprechen." Obwohl BMN 190 alle zwei Wochen ins Gehirn injiziert werden muss, waren die Nebenwirkungen sehr überschaubar.

Es könnte sich um unterlassene Hilfeleistung handeln

Doch für Biomarin ist das kein Anlass, die Arznei nun endlich herauszugeben. Die Firma zeigt sich ausgeruht: In drei Monaten werde man die Zulassung beantragen, diese werde hoffentlich Anfang 2017 erteilt. Eventuell werde man einigen ausgewählten Kindern kurz vor der Zulassung einen Zugang ermöglichen. Doch bis das Medikament allgemein verfügbar ist, werden die NCL2-Patienten weiter abbauen, einige werden erblinden, andere das Laufen verlernen und manche auch sterben.

Die Entscheidung, ob eine Firma ein Medikament herausgibt, kann sie derzeit ganz allein fällen. Und gerade in Deutschland entscheiden sie sich - anders als im europäischen Ausland - häufig dagegen. Aber darf man es Pharmafirmen überlassen, ob und wann sie ein lebensrettendes Medikament schon vor der Zulassung herausgeben?

Nein, meint der Pfarrer Christian Johnsen. Er vermutet, dass es sich dabei sogar um unterlassene Hilfeleistung handeln könnte. Deshalb hat er als Leiter der Hilfsstelle für evangelische Pfarrer jetzt ein Rechtsgutachten in der "Neuen Juristischen Wochenschrift" und im "Deutschen Pfarrerblatt" ausgeschrieben. Womöglich, meint Johnsen, sind Firmen am Ende verpflichtet, kranke Kinder vorm Sterben zu bewahren.

Lesen Sie die ganze Geschichte mit SZ Plus:

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: