Medikament gegen Tuberkulose:Neue Chance oder hochgefährlich?

Tuberkulose-Erreger

Der Tuberkulose-Erreger Mycobacterium tuberculosis, aufgenommen unter dem Elektronenmikroskop. Kann ein neues Medikament den Erreger bekämpfen?

(Foto: dpa)

Erstmals seit 50 Jahren gibt eine amerikanische Behörde ein spezielles Medikament gegen Tuberkulose frei. Der Hersteller beantragt auch eine Zulassung für Europa. Ärzte hoffen auf bessere Heilungschancen - Verbraucherschützer warnen jedoch vor dem Mittel.

Von Katrin Blawat

Fünf Jahrzehnte lang tat sich nichts, und dann ging alles ganz besonders schnell: Im sogenannten beschleunigten Zulassungsverfahren hat die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) ein neues Tuberkulosemittel zugelassen. Das allein ist schon außergewöhnlich - schließlich ist es das erste Mal seit 50 Jahren, dass ein speziell für diese Krankheit entwickeltes Medikament freigegeben wurde.

Bedaquilin (Handelsname: Sirturo) ist zugleich der erste Vertreter einer neuen Medikamentenklasse - und das erste Mittel, das gezielt die besonders gefährlichen resistenten Varianten der Infektion bekämpfen soll. Das Medikament werde voraussichtlich noch im ersten Quartal dieses Jahres auf den Markt kommen, sagt Daniel De Schryver von Janssen Therapeutics. Die Tochterfirma des Pharmakonzerns Johnson & Johnson hat Bedaquilin entwickelt. Auch für Europa sei die Zulassung bereits beantragt, sagt De Schryver.

Die Welt braucht neue Tuberkulosemedikamente, da sind sich Fachleute einig. Nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC erkrankten allein 2011 weltweit fast neun Millionen Menschen an Tbc. Im selben Jahr starben laut WHO mehr als zwei Millionen Patienten daran. Betroffen sind vor allem Menschen in armen Ländern, wo es zugleich viele HIV-Infizierte gibt. Das Immunschwächevirus macht besonders anfällig für Tuberkulose. In den USA und Westeuropa spielt die Tuberkulose hingegen keine große Rolle. Für das vergangene Jahr meldet das Robert-Koch-Institut gut 4000 Fälle in Deutschland; die Zahlen sinken seit Jahren beständig.

Besorgniserregend aber sind vor allem die Wandlungen, die der Erreger Mycobacterium tuberculosis im Lauf der Zeit durchgemacht hat. Auf die Entwicklung der Antibiotika Isoniazid und Rifampicin in den 1950er- und 1960er-Jahren reagierte er nach bester Bakterien-Manier: Er bildete Resistenzen gegen die Mittel, und zwar um so weitergehend, je mehr verschiedene Arzneien die Therapie ergänzten.

Fast die Hälte der Erreger sind resistent

"Multidrug-resistant" (MDR) genannte Formen der Tuberkulose sprechen nicht mehr auf die Standardmittel Isoniazid und Rifampicin an. Noch düsterer sind die Aussichten für Patienten, wenn sich ihre Infektion als "extensively drug-resistant" (XDR) erweist und sich auch mit den beiden Arzneien der zweiten Wahl nicht eindämmen lässt. Diese Krankheitsverläufe enden meist tödlich. Je nach Erhebung machen sie im weltweiten Durchschnitt einen Anteil von gut fünf bis sieben Prozent aller Tuberkulosefälle aus, in einzelnen Ländern aber auch deutlich mehr.

Und in fast der Hälfte aller Fälle sind die Erreger gegen eines der beiden Zweite-Wahl-Medikamente unempfindlich - was bedeutet, dass es in Zukunft wohl noch deutlich mehr XDR-Fälle geben wird. Hinzu kommt, dass alle Formen der Tuberkulose, vor allem aber die resistenten Varianten, eine extrem lange Therapie von bis zu zwei Jahren Dauer erfordern. Besonders in armen Ländern brechen viele Patienten vorzeitig ab - und auch das fördert neue Resistenzen.

Robert Koch, 1884

Robert Koch (1843-1910), deutscher Bakteriologe und Medizin-Nobelpreisträger von 1905. Er entdeckte den Tuberkulose-Erreger.

(Foto: SCHERL)

So befürworten viele Fachleute die Entscheidung der amerikanischen Zulassungsbehörde. "Wir brauchen unbedingt neue Medikamente", sagt Sabine Rüsch-Gerdes, Leiterin des nationalen Referenzzentrums für Mykobakterien am Forschungszentrum Borstel in Norddeutschland. "Bedaquilin alleine wird nicht einmal ausreichen, weil sich auch dagegen irgendwann Resistenzen bilden werden." Rüsch-Gerdes hat selbst schon Tuberkulose-Patienten mit dem Mittel behandelt. Das ist in Härtefällen, in denen andere Therapien versagt haben, derzeit auch in Deutschland möglich, obwohl das Medikament dort noch nicht zugelassen ist. Und auch die FDA hat Bedaquilin nur für solche Fälle freigegeben, in denen andere Medikamente versagt haben. "Es ist richtig, dass es diese Barriere noch gibt", sagt Rüsch-Gerdes. Das Mittel soll möglichst sparsam eingesetzt werden, damit Resistenzen erst so spät wie möglich entstehen. In keinem Fall jedoch ersetzt Bedaquilin die bisher üblichen Antibiotika, sondern es wird zusätzlich zu diesen verabreicht.

Auch die Organisation Ärzte ohne Grenzen hofft, mithilfe von Bedaquilin eine höhere Heilungsrate von Patienten mit MDR-Tuberkulose zu erreichen. Bisher liege diese Rate bei rund 50 Prozent. "Weil Bedaquilin ganz anders wirkt als bisherige Medikamente, gibt es wenigstens im Moment wohl noch keine Resistenzen dagegen", sagt Oliver Moldenhauer, Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen. "Die Zulassung war richtig. Wir sorgen uns allerdings, ob das Medikament für die Patienten und unsere Organisation bezahlbar sein wird." Laut Janssen-Mitarbeiter Daniel De Schryver steht noch nicht fest, wie viel die Arznei kosten wird. "Wir wollen aber dafür sorgen, dass es in den unterschiedlichen Ländern bezahlbar bleibt", sagt er.

Grundsätzliche Kritik an der Zulassung äußert hingegen die amerikanische Verbraucherschutzorganisation Public Citizen. Wenige Tage vor der FDA-Entscheidung schrieb sie an die Behörde, diese solle "Bedaquilin nicht zulassen, weil klinische Studien gezeigt haben, dass die Arznei hochgefährlich sein könnte".

Ungeklärte Todesfälle in einer Studie

Die FDA erteilte die Zulassung letztlich aufgrund zweier klinischer Studien mit 440 Patienten. Beide Studien gehören jedoch der Phase zwei an. Solche Untersuchungen sind vergleichsweise kurz und schließen nur wenige Patienten ein. Vor der Zulassung folgt zwar meist noch eine Phase-drei-Studie mit mehr Teilnehmern, um Nutzen und Risiken genauer zu ermitteln. In Ausnahmefällen kann die FDA ein Medikament jedoch schon vor dieser letzten Prüfung freigeben, wie bei Bedaquilin geschehen.

Die Studien hatten unter anderem gezeigt, dass sich im Auswurf der Patienten nach durchschnittlich 83 Tagen keine Tuberkulosekeime mehr befanden, wenn die Kranken Bedaquilin zusätzlich zu den bisherigen Medikamenten erhielten. Eine Vergleichsgruppe erhielt ebenfalls die üblichen Arzneien, statt des neuen Mittels jedoch zusätzlich ein Placebo. In dieser Gruppe dauerte es im Durchschnitt 125 Tage, bis die Patienten keine Erreger mehr ausschieden. Als Nebenwirkungen sind laut der FDA unter anderem Übelkeit, Gelenk- sowie Kopfschmerzen aufgetreten.

Die Verbraucherschutzorganisation verweist allerdings auf ungeklärte Todesfälle in einer der klinischen Studien. Dabei starben neun der mit Bedaquilin behandelten Patienten, fünf von ihnen wahrscheinlich an den Folgen der Tuberkulose. Die Ursachen für die übrigen Todesfälle in dieser Gruppe sind nicht in jedem Fall klar. In der Gruppe, die statt des Medikaments ein Placebo erhielt, starben zwei Patienten, beide vermutlich an ihrer Grunderkrankung.

"Bedaquilin ist sicher kein harmloses Medikament, und die Frage der Todesfälle muss in künftigen Studien genau untersucht werden", sagt Moldenhauer. Allerdings hätten auch die bisherigen Therapien oft erhebliche Nebenwirkungen wie Neigung zum Suizid, zu Psychosen oder andauernder Taubheit und auch die Schwere einer resistenten Tuberkulose-Erkrankung müsse man berücksichtigen.

Die FDA weist ebenfalls deutlich auf Risiken hin. Sie hat Bedaquilin mit einer sogenannten Black-Box-Warnung für Ärzte versehen. Darin erwähnt sie die ungeklärten Todesfälle ebenso wie das Risiko lebensbedrohlicher Herzrhythmusstörungen.

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