Masernausbruch:Wie Rumänien im Kampf gegen Masern versagt

Lesezeit: 13 Min.

Eine Hausärztin impft ein Kind in Rumänien gegen Masern. In den vergangenen Jahren sind die Impfraten immer weiter zurückgegangen. (Foto: Tudor Vintiloiu)

Rumäniens Unvermögen, einen tödlichen Masernausbruch zu verhindern, ist eine Geschichte der Selbstgefälligkeit, Stümperei und Diskriminierung. Und ein abschreckendes Beispiel für Europa.

Von Octavian Coman, Temeswar/Bukarest/Charleroi/Rom

Karla wurde nie gegen Masern geimpft. Ihr Gesundheitszustand erlaubte es nicht. Sie kam mit einem angeborenen Speiseröhrenverschluss auf die Welt und verbrachte ihre frühe Kindheit immer wieder im Spital - häufig mit Lungenentzündung. Während eines Routineaufenthalts im Louis-Ţurcanu-Kinderkrankenhaus in Temeswar im Westen Rumäniens lag das Kind im selben Stockwerk wie ein an Masern erkranktes Mädchen. Binnen Kurzem bekam Karla Fieber.

Sie wurde in das Krankenhaus für Infektionskrankheiten und Pneumologie Dr. Victor Babeş auf der anderen Seite der Stadt verlegt. Dort gab es so viele Masernpatienten, dass Karla zunächst auf einer Erwachsenenstation untergebracht werden musste. Ihr Zustand verschlechterte sich, das Fieber stieg auf 42 Grad Celsius.

In der Nacht des 18. Dezembers 2016 begann sie so heftig zu jammern, wie es ihre Mutter Florentina Marcusan noch nie gehört hatte. Sie bekam einen Ausschlag im Gesicht und auf der Brust. Kurz nach 8 Uhr früh, als eine Krankenschwester Karla eine Injektion verabreichte, begann der Kopf des Mädchens zu zucken. Während die Krankenschwester Hilfe holte, hielt Marcusan ihr Kind in den Armen. "Als ich sah, dass sie nicht mehr reagierte, geriet ich in Panik und legte sie hin, weil ich wusste, dass sie gestorben war - in meinen Armen", erinnerte sie sich.

Die Ärzte schickten die verzweifelte Mutter aus der Station und versuchten, das Mädchen wiederzubeleben. Kettenrauchend wartete sie in der Kälte vor dem Krankenhaus, Karlas Teddybär fest umklammert. Fünfundvierzig Minuten später, um 9.10 Uhr, wurde Karla Iasmina Georgiana Popa für tot erklärt. Sie war ein Jahr und drei Monate alt.

Es ist die tödlichste Masern-Epidemie seit Einführung der Immunisierung 2005

Das kleine Mädchen war eines der ersten zehn Opfer eines Masernausbruchs, der in Rumänien bis Ende November 36 Menschenleben - vorwiegend Babys - gefordert hatte. Seit Auftreten der ersten Fälle im vergangenen Januar hatten sich ungefähr 10 000 Personen infiziert.

Es handelt sich um die tödlichste Epidemie in Rumänien seit Einführung der aus zwei Teilimpfungen bestehenden Immunisierung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) im Jahr 2005. Sogar in Belgien, Spanien und Irland wurden Fälle von Masern bekannt, die man mit Rumänien in Verbindung brachte, auch wenn diese Ausbrüche im Vergleich zur Epidemie, die Karla das Leben kostete, unbedeutend waren.

Die Mutter des Mädchens macht die Krankenhäuser, in denen Karla behandelt wurde, dafür verantwortlich, nicht mehr getan zu haben, um das Kind zu schützen. "Ich verspüre solchen Hass", meinte Marcusan sechs Monate nach Karlas Tod in ihrem Heimatdorf Dubesti, etwa 90 Kilometer von Temeswar entfernt. "Ich vertraue niemandem mehr."

"Ich vertraue niemandem mehr": Florentina Marcusan Florentina Marcusan studiert die Krankenakten ihrer verstorbenen Tochter Karla. (Foto: Tudor Vintiloiu)

Mangelndes Vertrauen ist das Kernproblem der Masernkrise in Rumänien, wo die Wahrnehmung mangelhafter Zustände und Misswirtschaft den Glauben an das Gesundheitswesen untergräbt. Trotz der Möglichkeit einer Gratis-MMR-Impfung beim Hausarzt, die den Kindern in zwei Dosen im Abstand von mehreren Jahren verabreicht wird, sind die Durchimpfungsraten stark rückläufig.

Die Impfrate ist in den vergangenen zehn Jahren gesunken

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO und des rumänischen Gesundheitsministeriums ist die Durchimpfungsrate für die erste Teilimpfung im Laufe der vergangenen zehn Jahre um 11 Prozent und für die zweite Teilimpfung um 29 Prozent gesunken.

Viele schieben die Schuld an der Epidemie vorschnell einer lautstarken Antiimpfbewegung zu, Mediziner und Experten für öffentliche Gesundheit zeigen jedoch mit dem Finger auf die rumänischen Behörden und sprechen von einem systematischen Versagen, eine vorhersehbare Krise abzuwenden.

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Von Mangelhaftigkeiten im Impfstoffmanagement bis zur Unfähigkeit, rechtzeitig Alarm zu schlagen, skizzieren sie ein Bild bürokratischer Stümperei und Selbstgefälligkeit - mit tödlichen Folgen. "Das Impfprogramm kann nicht besser sein als das ihm zugrundeliegende Gesundheitssystem", meinte Eduard Petrescu, Koordinator beim Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) in Rumänien.

Andere sehen darin ein abschreckendes Beispiel dafür, was passiert, wenn Behörden es versäumen, marginalisierte Bevölkerungsgruppen - in diesem Fall die Minderheit der Roma - in das nationale Gesundheitssystem zu integrieren. "Wenn nicht kontinuierlich, systematisch und gewissenhaft geimpft wird, füllt das Virus sofort die Lücke", erklärte Adriana Pistol, Direktorin des Zentrums für die Überwachung und Kontrolle übertragbarer Krankheiten in Rumänien, das zum Nationalen Institut für Öffentliche Gesundheit des Gesundheitsministeriums gehört.

Vor der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Masern in den 1960er-Jahren erkrankte beinah jedes Kind bis zum 15. Lebensjahr daran. Das hoch ansteckende Virus wird durch Husten, Niesen oder Kontakt mit infektiösen Sekreten übertragen. Vor den Massenimpfkampagnen brachen große Epidemien laut WHO alle zwei bis drei Jahre aus, denen durchschnittlich 2,6 Millionen Menschen weltweit zum Opfer fielen. Bis 2016 hatte sich die globale Zahl der Todesopfer auf zirka 90 000 pro Jahr verringert.

In Rumänien wurde die Masernimpfung erstmals 1979 eingeführt, aber erst seit 2004 ist die kombinierte MMR-Impfung Teil des kostenlosen nationalen Immunisierungsprogramms. Ein Jahr später kam eine zweite MMR-Impfung hinzu. Normalerweise werden Kinder im Alter von einem und fünf Jahren geimpft.

Die MMR-Impfraten lagen 2007 bei 97 Prozent für die erste Impfung und 96 Prozent für die zweite und waren somit höher als die von der WHO empfohlene Mindestrate von 95 Prozent, um die Masern unter Kontrolle zu halten. Beim letzten Ausbruch 2016 waren sie jedoch laut Daten des Gesundheitsministeriums auf etwa 86 Prozent für die erste Impfung und 67 Prozent für die zweite gesunken.

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Es ist davon auszugehen, dass die Zahlen bei Mitgliedern der Roma-Gemeinde, der zweitgrößten ethnischen Minderheit des Landes nach den Ungarn, noch niedriger waren. Einer Studie von UNICEF und anderen Organisationen aus dem Jahr 2012 zufolge hatten 45 Prozent der Roma-Kinder nicht alle Impfungen des nationalen Immunisierungsprogramms erhalten.

Fachkräfte in der Gesundheitsfürsorge gehen davon aus, dass Roma-Familien aufgrund äußerer Umstände oder aus eigener Wahl davon nicht erfasst sind. Manche sind bei den Ärzten nicht registriert, weil sie über keine Ausweispapiere verfügen. Andere führen ein Nomadenleben.

Diskriminierung spielt ebenso eine Rolle. Laut einer Studie der WHO aus dem Jahr 2013 "hat die wahrgenommene schlechte Qualität der Interaktion mit medizinischem Personal eine erhebliche abschreckende Wirkung (auf Roma, Anm. d. Red.), ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen". Die Studie offenbarte eine Reihe diskriminierender Praktiken im Gesundheitswesen, wie abfällige Äußerungen, eingeschränkten physischen Kontakt während der medizinischen Untersuchungen und Segregation auf Entbindungsstationen.

Die jüngste Masernepidemie brach in einer Roma-Gemeinde aus

Den Gesundheitsbehörden zufolge war die jüngste Masernepidemie zuerst in einer Roma-Gemeinde rund um das Dorf Reteag im Norden Rumäniens ausgebrochen. Die Roma von Reteag sind relativ wohlhabend. Die Häuser hier sind groß und neu. Löwenstatuen flankieren die Tore mancher Gebäude. Viele Kinder haben italienisch klingende Namen: Ricardo, Francesca, Mateo oder Zoro. Bürgermeister Vasile Cocos erklärte, dass die hier ansässige Bevölkerung einen Großteil des Jahres in Italien verbringe - ein Migrationsmuster, das auf das Ende des Kommunismus 1989 zurückgeht.

Roma-Händler aus dem Dorf reisen üblicherweise nach Neapel, um Kleidung und Haushaltswaren einzukaufen, die sie in anderen Teilen Italiens verkaufen. Nach einer solchen Reise kehrten zwei Roma-Kinder im Alter von sieben und neun Jahren im Januar 2016 mit Masern zurück nach Rumänien.

Aufgrund des typischen B3-Stammes sehen Gesundheitsbehörden den Ursprung des Virus in Italien. Wäre es in Rumänien entstanden, hätte es den Genotyp D4 früherer Ausbrüche aufgewiesen. Viele Eltern aus Reteag hatten ihre Kinder mit nach Italien genommen, bevor diese alt genug für eine Impfung waren, erklärte Mihaela Catana, eine Krankenschwester, die als Verbindungsperson zwischen dem örtlichen Hausarzt und der Roma-Gemeinde fungiert. "Diese Migration gibt es noch immer. Ich fürchte mich vor anderen Krankheiten wie Polio, mit gefährlicheren Folgen", meinte sie.

Ana Lingurar, 56, half, zwei ihrer acht Enkelkinder gesund zu pflegen, nachdem diese mit Masern aus Italien zurückgekehrt waren. Die Jungen seien nicht geimpft gewesen, wahrscheinlich, weil sie zum Impftermin im Ausland waren, erzählte sie. "Wenn Sie in Italien nicht auf der Liste eines Hausarztes stehen, interessieren sich die Ärzte nicht für Ihr Kind."

"In vielen Bereichen agieren wir wie die Feuerwehr. Wir werden erst aktiv, wenn es brennt."

Bis August 2016 waren in mehr als der Hälfte des Landes Masernfälle gemeldet worden; betroffen waren Menschen aller Ethnien, ob reich oder arm. Nichts davon überraschte Adriana Pistol vom Zentrum für die Überwachung und Kontrolle übertragbarer Krankheiten. 2015 war ihr die alarmierend lückenhafte Durchimpfungsrate aufgefallen. Aus den Daten der lokalen Gesundheitsbehörden geht zum Beispiel hervor, dass nur die Hälfte der Kinder im Kreis Timiş im Westen des Landes, wo ungefähr 700.000 Menschen leben, die erste MMR-Impfung erhalten hatte.

Sie wandte sich mit ihren Bedenken an das Gesundheitsministerium und warnte vor einer drohenden Epidemie. "Wenn Sie Kinder haben, lassen Sie sie impfen", erinnerte sie sich gesagt zu haben. "Sagen Sie doch etwas, verdammt! Das hat keine Priorität. In vielen Bereichen agieren wir wie die Feuerwehr. Wir werden erst aktiv, wenn es brennt."

Frustriert: Adriana Pistol. Die rumänische Epidemiologin prognostizierte die Masernkrise, doch ihre Warnungen wurden nicht gehört. (Foto: Foto: Tudor Vintiloiu)

Im Januar 2017, als Rumänien mehr als zehn Todesopfer zu beklagen hatte, wurden Eltern von der Regierung aufgefordert, ihre Kinder impfen zu lassen. Einen Monat zuvor hatte das Gesundheitsministerium zudem beschlossen, als vorübergehende krisenbedingte Maßnahme eine ergänzende MMR-Impfung für neun Monate alte Babys einzuführen. Aber viele, die sich an den Hausarzt wandten, wurden abgewiesen.

Aus den Daten des Gesundheitsministeriums geht hervor, dass im April 2017 landesweit ungefähr 36 000 MMR-Impfungen zur Verfügung standen, vier Mal weniger als im selben Monat des Vorjahres. Angaben frustrierter Ärzte zufolge habe die Regierung zusätzliche Impfstoffe zu spät bestellt.

Dalida Mosorescu, eine Hausärztin in Craiova im Süden des Landes, erzählte im Juli, dass sie seit zwei Monaten auf eine Lieferung von MMR-Impfstoffen warten würde - obwohl das Gesundheitsministerium versicherte, dass Impfstoffe zur Verfügung stünden. "Manche Patienten sahen ein, dass ich keinen hatte", erzählte sie. "Ich habe den Impfstoff nicht etwa getrunken oder mir selbst injiziert. Andere waren zornig: 'He, ich habe es im Fernsehen gesehen (dass es Impfstoffe gibt, Anm. d. Red). Warum impfen Sie uns nicht?'"

Das kam nicht selten vor. Daten der lokalen Gesundheitsbehörde zufolge hatten Ärzte im Kreis Dolj, dessen Hauptstadt Craiova ist, nur 20 von den 4102 im April angeforderten Impfstoffen erhalten. Auch in anderen Monaten gab es extreme Engpässe. Ein Sprecher der Gesundheitsbehörde von Dolj erklärte, dass er keine genauen Informationen bezüglich der Ursache der Engpässe habe.

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Aus einem Bericht des Gesundheitsministeriums geht indes hervor, dass Ende Juli landesweit über 224 000 Kinder im Alter von neun Monaten bis neun Jahren nicht gegen Masern geimpft waren. Im Bericht wird hervorgehoben, dass den Behörden nicht genügend Vorräte und finanzielle Mittel zur Verfügung gestanden seien, um einen Ausbruch zu verhindern. "Wenn du ins hiesige Krankenhaus gehst, um dein Kind impfen zu lassen, und es dort keinen Impfstoff gibt, wirst du nächste Woche wahrscheinlich nicht wieder hingehen", meinte Robb Butler, Leiter des Europaprogramms der WHO für Krankheiten, denen durch Impfung vorgebeugt werden kann.

Die politische Instabilität trug ebenso wenig zur Verbesserung der Lage bei. Nach dem Rücktritt des damaligen Ministerpräsidenten infolge des öffentlichen Zorns über eine Brandkatastrophe in einem Nachtklub war in Rumänien seit Ende 2015 eine Regierung von Technokraten an der Macht. Nachdem die Parlamentswahlen im Januar eine sozialdemokratische Regierung einleiteten, kritisierte der neue Gesundheitsminister Florian Bodog seinen technokratischen Vorgänger Vlad Voiculescu, ihm, was die Impfstoffbestände betrifft, ein "Desaster" hinterlassen zu haben.

Der ehemalige Gesundheitsminister spricht von einem "Managementproblem"

Voiculescu verteidigte sein Vermächtnis und behauptete, dass die Vorratsmengen an MMR-Impfstoffen ausreichend gewesen wären, als er als Minister ausschied. Bodog lehnte eine Interviewanfrage ab, das Gesundheitsministerium beantwortete jedoch eine Liste von Fragen. Laut Ministerium habe es zwischen 2015 und 2017 keine Engpässe bei MMR-Impfstoffen gegeben, die neue zusätzliche Impfung für neun Monate alte Babys sowie Nachholaktionen hätten jedoch zu versorgungstechnischen Spannungen geführt.

Der technokratische Ex-Minister Voiculescu erklärte gegenüber BIRN, dass sich das Ministerium um mehr Impfstoffvorräte hätte bemühen sollen, als die Mengen unter ein gewisses Niveau gesunken waren. "Das ist ein Managementproblem", so Voiculescu. Die MMR-Bestände wurden schließlich wieder aufgefüllt, aber erst, nachdem die Regierung Anfang Juli einen neuen Großauftrag mit einem Lieferanten unterzeichnet hatte. Statistiken des Gesundheitsministeriums zufolge standen im Juli landesweit 338 445 Dosen zur Verfügung, im Vergleich zu 116 193 im selben Monat des Vorjahres und 227 250 im Juli 2015.

Zwischenzeitlich Mangelware: Impfstoffe gegen Masern. (Foto: Tudor Vintiloiu)

Die Regierung drängt auf die Einführung eines Gesetzes für verpflichtende Impfungen. Hat sie Erfolg, könnte der dem Parlament vorliegende Gesetzesentwurf 2018 in Kraft treten. Impfskeptiker laufen gegen diesen Schritt Sturm. Im August kam es in Bukarest zu Protesten von etwa 200 Impfgegnern. Auf einem Transparent stand zu lesen: "Eine verpflichtende Impfung ist verpflichtender Tod!" Weitere Proteste folgten im Herbst, während im Parlament über das neue Gesetz debattiert wurde.

Manche Impfgegner sorgen sich, dass MMR-Impfungen Autismus auslösen könnten - eine Befürchtung, die auf eine seit Langem diskreditierte Forschungsarbeit eines in Ungnade gefallenen, ehemaligen britischen Mediziners zurückgeht. Für Ditta Depner, eine bekannte Impfskeptikerin aus Braşov im Zentrum des Landes, sei die Impfstoffforschung an sich im Unrecht.

Die Mutter eines Buben und eines Mädchens - beide sind nicht geimpft - hält Kurse über natürliche Geburten und glaubt, dass Krankheiten emotionale Ursachen haben. "Fieber steht für großen inneren Zorn", erklärte sie während des Interviews.

Hält nichts vom Impfen: Ditta Depner. Sie findet: "Dieser Wahnsinn rund um die Masern und 'Ausbrüche' ist frei erfunden" (Foto: Tudor Vintiloiu)

Depner ist überzeugt, dass man die in Braşov gemeldeten Fälle von Masern konstruiert habe, um die Leute so weit zu verunsichern, dass sie ihre Kinder impfen lassen. "Dieser Wahnsinn rund um die Masern und 'Ausbrüche' ist frei erfunden", sagte sie. Die Impfgegner erregen zwar viel Aufsehen, doch sind es nicht so viele, als dass sie den Rückgang der Impfraten im Lauf der vergangenen zehn Jahre erklären würden.

Im Februar führte das Zentrum für die Überwachung und Kontrolle übertragbarer Krankheiten in Rumänien eine Studie mit mehr als 15 000 18 Monate alten Kindern durch, die Aufschluss darüber gab, warum manche von ihnen nicht geimpft sind. Bei knapp neun Prozent der 3690 Kinder, die nicht ordnungsgemäß immunisiert waren (beinah ein Viertel der untersuchten Personen), weigerten sich die Eltern, sie impfen zu lassen, besonders, wenn es sich um eine MMR-Impfung handelte.

Das war nur geringfügig mehr als die Anzahl der Kinder, die zum Impftermin außer Landes waren - und weniger als die 13,6 Prozent, die auf Anraten der Ärzte aus medizinischen Gründen nicht geimpft wurden. Die bei Weitem größte Gruppe - ungefähr 42 Prozent - sind einfach "nicht beim Arzt gewesen", was auf eine mögliche Sorglosigkeit in Bezug auf Impfungen oder mangelndes Vertrauen in das Gesundheitswesen hindeutet.

Die meisten Menschen, die in Braşov mit Masern ins Krankenhaus eingeliefert wurden, stammten aus einer Roma-Gemeinde im 20 Kilometer entfernten Dorf Zizin, wo laut Schätzungen des dort niedergelassenen Arztes Jan Badan die Hälfte der in den vergangenen Jahren zur Welt gekommenen Kinder nicht geimpft wurde.

Dreckige Straßen und baufällige Häuser mit zugemüllten Vorgärten prägen den Dorfrand von Zizin. Manche Bewohner von Zizin hatten ihre eigenen Theorien, was den Ursprung der Masern anging. "Der viele Müll ist an allem schuld", meinte Constantin Otelas, ein tätowierter ortsansässiger Gemeinderat, der sich nicht sicher war, ob irgendeines seiner neun Kinder geimpft worden war.

Ein junger Mann glaubte, dass das Virus "aus einem Flugzeug geworfen worden war". Marcela Taranu, 20, erzählte, dass ihre ungeimpfte sechsjährige Tochter vor zwei Wochen an Masern erkrankt war. Sie hatte versucht, das Mädchen vor der Masernkrise impfen zu lassen, man hatte ihr aber gesagt, dass keine Impfstoffe verfügbar wären. Sie habe wenig Vertrauen in die Impfkampagne der Behörden, meinte sie vor ihrem kleinen einzimmrigen Holzhaus. "Ich verstehe das nicht", sagte sie. "Manche haben sich impfen lassen, aber die Kinder hier aus dem 'Zigeunerland' haben die Krankheit trotzdem bekommen."

Wollte ihre Tochter gegen Masern impfen lassen: Marcela Taranu. (Foto: Tudor Vintiloiu)

Nach Ansicht der Gesundheitsexperten konnte sich das Virus aufgrund der Unfähigkeit Rumäniens, den Ausbruch abzuwenden, auch im Ausland verbreiten, aber nur dort, wo es auf fruchtbaren Boden stieß. Ungarische Behörden befürchteten, dass sich die Masern Anfang 2017 über die rumänische Grenze hinaus verbreitet haben könnten, als im Südosten Ungarns 29 Fälle gemeldet wurden. Der jüngste Ausbruch in Serbien rief ähnliche Bedenken hervor, obwohl die Behörden über Fälle aus dem Kosovo, wo man mit dem größten Masernausbruch seit Ende des Konflikts 1999 zu kämpfen hat, noch beunruhigter sind.

Der Epidemiologe Predrag Kon vom Belgrader Institut für Öffentliche Gesundheit sagte, dass das in Serbien entdeckte Virus zwar den gleichen Genotyp B3 aufwies wie jenes in Rumänien, die Behörden jedoch nicht bestätigen konnten, dass die Fälle von jenseits der Grenze kämen.

104 Masernfälle wurden in neun EU-Ländern entdeckt

Dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten zufolge wurden in den zwölf Monaten bis Februar 2017 in neun EU-Ländern 104 Masernfälle entdeckt, die wahrscheinlich mit Rumänien in Zusammenhang standen: Österreich, die Tschechische Republik, Frankreich, Deutschland, Irland, Italien, Spanien, Großbritannien und Belgien.

"Es reicht ein einziger Fall, um einen erneuten Ausbruch auszulösen, damit das Virus eine Bevölkerungsgruppe befallen kann, die nicht geschützt ist", so Remy Demesteer, ein Spezialist für Infektionskrankheiten am Marie-Curie-Krankenhaus in der belgischen Stadt Charleroi. "Man braucht keine illegalen Migranten, um Krankheiten einzuschleppen. Jeder kann Träger eines Krankheitserregers (Viren oder Bakterien, Anm. d. Red) sein."

Charleroi, eine der größten Städte in der französischsprachigen Region Wallonien im Süden Belgiens, war das Zentrum eines Masernausbruchs, der im Dezember 2016 begann und knapp 300 Menschen betraf. Der Ausbruch wurde auf einen nicht geimpften, in Belgien lebenden Rumänen zurückgeführt. Er habe die Krankheit nach einem Besuch bei Verwandten in Rumänien eingeschleppt, sagte Carole Schirvel, Leiterin des Wallonischen Zentrums für die Überwachung von Infektionskrankheiten.

Das Virus verbreitete sich rasch unter Verwandten, Freunden und Nachbarn. Schirvel zufolge stammten viele der Betroffenen aus in der Region lebenden rumänischen oder serbischen Roma-Gemeinden, die durch das Netz des belgischen Gesundheitssystems gefallen sind, weil sie auf Reisen waren oder ihre Kinder nicht regelmäßig die Schule besuchten.

Da sie nicht bei praktischen Ärzten registriert waren, gingen manche direkt in die Notaufnahme und steckten andere an. In Belgien ist nur die Impfung gegen Kinderlähmung verpflichtend, auch wenn wallonische Kindertagesstätten Eltern dazu anhalten, ihre Kinder auch gegen andere Krankheiten einschließlich Masern impfen zu lassen. "Innerhalb von drei, vier Wochen kam es zur Explosion", so Schirvel.

Masern sind in Belgien so selten, dass manche Ärzte sie nicht erkannten

In 12 Prozent der Fälle war sogar das Gesundheitspersonal betroffen, auch wenn keine Todesfälle zu beklagen waren. Masern waren in Belgien so selten geworden, dass manche Ärzte sie nicht erkannten und die Diagnose spät erfolgte.

Nach Rumänien erlebte Italien Anfang November 2017 den schlimmsten Masernausbruch mit 4794 Fällen - darunter vier Todesopfer. Die Epidemiologin Adriana Pistol nannte es eine Art "Virus-Tausch", bei dem die Masern in Italien ihren Ausgang nahmen und dann in manchen Fällen von Rumänen zurück nach Italien gebracht wurden. Für Giovanni Rezza, Direktor der Abteilung für Infektionskrankheiten am Nationalen Institut für Gesundheit in Rom, war der Ausbruch jedoch ein Problem der Prävention und nicht der Migration.

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Die Masern-Durchimpfungsrate in Italien lag laut Gesundheitsministerium 2016 bei etwa 87 Prozent. In der Region Südtirol an der Grenze zu Österreich und der Schweiz betrug sie sogar nur 67 Prozent. Von der Krankheit waren Jugendliche und Erwachsene überproportional betroffen, was Italiens Nationalem Institut für Gesundheit zufolge auf die niedrige Durchimpfung in den Jahren nach Einführung der Impfung in Italien 1976 zurückzuführen sei.

Untersuchungen des Instituts haben auch gezeigt, dass die Bevölkerung der Roma in Italien im Gegensatz zu früheren Ausbrüchen nicht besonders stark betroffen war. Die große Überraschung war das Gesundheitspersonal: Über 300 steckten sich mit der Krankheit an.

Eine im März von der Universität La Sapienza in Rom veröffentlichte Studie ergab, dass nur 38 Prozent des medizinischen Personals, das man in und rund um Rom befragte, der Meinung war, eine Masernimpfung sollte für Beschäftigte im Gesundheitswesen verpflichtend sein. Ein Ergebnis, das den Studienleiter Giuseppe La Torre zornig macht. "Wenn man Kinderarzt, Arzt oder Krankenpfleger ist und auf Intensivstationen, Neugeborenen-Intensivstationen, tätig ist, sollte man gegen alles geimpft sein", meinte er.

Als Reaktion auf den Ausbruch führte die Regierung ein neues Gesetz ein, das im Juli vom Parlament verabschiedet wurde und vorschreibt, Kinder vor Eintritt in den Kindergarten oder die Schule gegen zehn Krankheiten zu impfen, inklusive Masern.

In Rumänien ist die Aussicht auf verpflichtende Impfungen nur ein schwacher Trost für Florentina Marcusan, deren Tochter Karla den Masern zum Opfer fiel. Ab und zu besucht sie Karlas Grab bei Nacht mit dem schmerzenden Verlangen, in ihrer Nähe sein zu wollen. Manchmal bete sie darum, einfach einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen.

Sie sagte, sie hätte von den Risiken einer Masernerkrankung erst erfahren, als es schon zu spät war. "Wenn ich es schon nicht gewusst habe, dann sollten zumindest andere Bescheid wissen."

Dieser Artikel entstand im Rahmen des Balkan Fellowship for Journalistic Excellence, unterstützt von der ERSTE Stiftung und den Open Society Foundations in Kooperation mit dem Balkan Investigative Reporting Network. Übersetzung: Barbara Maya.

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