Süddeutsche Zeitung

Infektionskrankheiten:Warum sprechen gerade alle über die Masern?

Brandenburg will die Impfpflicht, andere Bundesländer könnten nachziehen. Die wichtigsten Fragen zu einer Krankheit, an der niemand leiden müsste.

Von Berit Uhlmann

Warum sprechen gerade alle über die Masern?

Die Masern gehören zu den Krankheiten, an denen prinzipiell kein Kind mehr leiden müsste. Schon seit den 1960er Jahren gibt es eine effektive, sichere und preiswerte Impfung gegen die hoch ansteckende Krankheit. Doch nach Jahrzehnten des Rückgangs nehmen die Masernfälle weltweit wieder zu. In Europa erkrankten 2018 mehr als 82 000 Menschen - so viele wie seit zehn Jahren nicht mehr. In Deutschland haben die Erkrankungszahlen in den vergangenen Jahren zwar abgenommen, dennoch kommt es immer wieder zu größeren Ausbrüchen. 2018 wurden in der Bundesrepublik 543 Fälle gemeldet, die Pro-Kopf-Rate war am höchsten in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Berlin. In diesem Jahr wurden bereits 288 Fälle registriert.

Warum nehmen die Infektionen wieder zu?

Verantwortlich ist in erster Linie die Impfskepsis, die mittlerweile solche Ausmaße erreicht hat, dass die WHO sie Anfang des Jahres als eine der zehn größten Bedrohungen der globalen Gesundheit einstufte. Dass Menschen die Immunisierung ablehnen, hat viele Ursachen und ist auch kein neues Phänomen. Doch heute können sich Ansichten, Emotionen, ebenso wie Verschwörungstheorien rund um die Impfung "über nie gesehene Distanzen mit bemerkenswertem Tempo verbreiten", schrieb die Londoner Anthropologin Heidi Larson vor wenigen Tagen im Fachmagazin Science. Falschinformationen entfalten damit eine gefährliche Dynamik. Die Folge: Der Schutzschirm gegen Infektionserkrankungen, jene Errungenschaft die die Welt den Milliarden Geimpften verdankt, wird durchlässiger. Im Falle der Masern ist der Schutz komplett, wenn mindestens 95 Prozent der Menschen geimpft sind. In vielen Ländern ist dieser Wert nicht erreicht. In Deutschland haben derzeit nur knapp 93 Prozent die nötigen zwei Impfdosen erhalten.

Wie wahrscheinlich ist eine Impfpflicht?

Über die Impfpflicht debattiert die Politik seit Jahren. Derzeit allerdings sieht es so aus, als ob es nicht nur bei der Debatte bleibt. Einen konkreten Schritt ging am Freitag der Brandenburger Landtag. Dessen Abgeordnete votierten mehrheitlich dafür, dass die Potsdamer Regierung Rahmenbedingungen schafft, um eine Masern-Impfpflicht für Kitakinder einzuführen. Auch Nordrhein-Westfalen strebt eine Masern-Impfpflicht an. Familienminister Joachim Stamp (FDP) sagte der Rheinischen Post vom Samstag: "Ich bin für eine generelle Impfpflicht - das gilt auch für Kindergärten. Wie wir das dort umsetzen, werden wir prüfen." In Hamburg fordert die CDU eine Impfung aller städtischen Mitarbeiter, die mit Kindern arbeiten. Außerdem solle der Besuch einer Kita nur noch mit "einwandfrei nachgewiesenem Impfstatus" möglich sein. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn favorisiert die Impfpflicht. Es ist möglich, dass er bereits in den kommenden Wochen einen Gesetzesentwurf vorlegt. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) unterstützt das Vorhaben. Allerdings müssen zuvor eine ganze Reihe Einzelfragen geklärt werden, zum Beispiel, unter welchen Umständen Ausnahmen zulässig sein könnten. Verkompliziert wird die Lage auch dadurch, dass der Impfstoff gegen Masern in der Regel nur in Kombination mit den Vakzinen gegen Röteln und Mumps verfügbar ist, für die vorerst offenbar keine Impfpflicht geplant ist.

Warum sind die Masern gefährlich?

Masern gehören zu den ansteckendsten Krankheiten. Das Virus wird beim Husten, Niesen und Sprechen übertragen. Etwa 90 Prozent aller nicht immunen Menschen, die in Kontakt mit einem Infizierten kommen, müssen mit einer Ansteckung rechnen. Mehr als 95 Prozent von ihnen entwickeln Symptome. Typisch sind zunächst Fieber, Bindehautentzündung, Schnupfen, Husten und weißliche Flecken auf der Mundschleimhaut. Etwa drei bis zehn Tage nach dem Beginn der Krankheit tritt der charakteristische Masern-Ausschlag auf: bräunliche-rosa Flecken, die am Kopf beginnen und sich dann weiter über den Körper ausbreiten. Gefürchtet sind die Komplikationen, darunter Entzündungen des Mittelohrs, der Lungen und des Gehirns. Die Hirnentzündung tritt bei einem von 1000 Erkrankten auf und kann tödlich enden oder bleibende Schäden hinterlassen. Bei etwa 4 bis 11 pro 100 000 Erkrankten kommt es zu einer neurologischen Spätkomplikation: Die sogenannte subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) ist eine Hirnentzündung, die Jahre nach der Infektion auftreten kann und zum Tod führt.

Wie sehen die Pläne zur Eliminierung der Masern aus?

Mit Hilfe der Impfung könnte die Krankheit besiegt werden. Wären ausreichend Menschen immunisiert, hätte das Virus keinen Raum mehr, denn es hat außerhalb des Menschen keinen Rückzugsort; weder in Tieren noch in der Umgebung kann es überdauern. Die WHO hat daher beschlossen, den Kampf aufzunehmen, und die Infektionskrankheit bis 2020 zu eliminieren. Gelungen ist dies bislang nur in Nord- und Südamerika. Die letzten einheimischen Übertragungen traten dort 2002 auf. Doch auch in den amerikanischen Ländern werden zunehmend Ausbrüche registriert. Das Virus wird unter anderem aus Europa eingeschleppt und verbreitet sich unter Impfskeptikern oder in Gruppen, die die Spritze aus religiösen Gründen ablehnen. Um den bereits erreichten Fortschritt nicht zu gefährden, ergreifen einige Behörden drastische Maßnahmen. So wurde vor kurzem in New York der Notstand wegen anhaltender Masern-Übertragungen ausgerufen und eine sofortige Impfpflicht für einen Teil der Stadt angeordnet. Im US-Bezirk Rockland County wollten die Behörden ungeimpften Kindern verbieten, sich an öffentlichen Orten aufzuhalten.

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