Masern:Impfen, aber freiwillig

Bundesgesundheitsminister Bahr erwägt, eine verpflichtende Impfung gegen Masern einzuführen. Es darf bezweifelt werden, dass das eine gute Idee ist. Die zum Teil stark radikalisierten Impfkritiker empfinden einen derartigen Zwang als Kampfansage. Die Verantwortung muss bei den Eltern bleiben.

Ein Kommentar von Patrick Illinger

Jede Mutter und jeder Vater eines kleinen Kindes kennt das ungute Gefühl, wenn das Thema Impfen ansteht. Wenn es darum geht, dem kleinen, verletzlichen Wesen eine Spritze in den Körper zu rammen mit, ja, mit was eigentlich? Hier stellt sich vielen Eltern die Frage: Braucht es das wirklich? Wer sich dann auf die Suche macht im Ozean des Internets, stößt schnell auf hochprofessionell gemachte Websites, die mit Nachdruck dafür eintreten, manche der üblichen Impfungen für Kleinkinder zu unterlassen. Sie seien nicht nur unnötig, sondern nachgerade schädlich. Am heftigsten manifestiert sich die Ablehnung gegen die Masernimpfung, von der mittlerweile auch manche niedergelassenen Kinderärzte abraten.

Ist es also womöglich unnötig, so viel oder überhaupt zu impfen? Diesen Gedanken empfinden manche der zweifelnden Eltern als Entlastung, emotional überaus nachvollziehbar, und lassen ihr Kind nicht impfen. Gegen die Masernimpfung ist die Skepsis in Deutschland stärker ausgeprägt als in anderen Industrienationen. Immer wieder kommt es zu kleinen Epidemien, wie in diesem Frühjahr in Bayern.

Weil dabei auch immer wieder Kinder und Erwachsene sterben, lässt Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr nun prüfen, ob die Masernimpfung verpflichtend vorgeschrieben werden soll. Doch es darf bezweifelt werden, dass das eine gute Idee ist. Die zum Teil stark radikalisierten Impfkritiker würden eine solche Zwangsimpfung nur als Kampfansage empfinden. Auf entsprechenden Foren wird bereits diskutiert, wie man sich einem entsprechenden Gesetz entziehen könnte. Offenbar genügt die Bescheinigung eines Arztes, dass die Impfung Leben oder Gesundheit gefährdet, um die Zwangsimpfung zu umgehen.

Womöglich könnte man damit einen Teil jener Eltern zur Impfung ihres Nachwuchses bewegen, die, von Zweifeln geplagt, diesen Schritt noch hinauszögern. Andererseits könnte auch deren Haltung unter dem Eindruck, vom Staat - zumal von einem vermeintlich pharmanahen FDP-Minister - gegängelt zu werden, in Ablehnung umschlagen.

Nein, die Verantwortung in dieser Frage muss bei den Eltern bleiben. Genau das verpflichtet sie jedoch, im Namen des ihnen anvertrauten Lebens, nicht nur dem eigenen Gefühl oder den Behauptungen eines noch so sympathisch argumentierenden Kinderarztes zu folgen, sondern den Sachstand zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn die Vielfalt der verfügbaren Information zunächst widersprüchlich und verwirrend erscheint.

Abwegige und widerwärtige Behauptungen

Wer sich auf einschlägigen Informationsportalen umsieht, bekommt Litaneien einseitig geprägter Behauptungen präsentiert. Manches davon ist richtig, wie die Tatsache, dass man auch mit Impfschutz erkranken kann (aber eben weniger häufig). Und manches ist schlicht abwegig, etwa wenn bezweifelt wird, dass es überhaupt Viren gibt, oder dass Impfstoffe Schutz vor Krankheit bieten.

Auch für die Behauptung, es sei für die kindliche Entwicklung sogar förderlich, die Krankheit zu durchleiden, gibt es nicht den geringsten Beweis. Manches ist sogar widerwärtig, wie die Insinuierung, dass Todesfälle durch Masern erfunden seien oder die Komplikationen der Krankheit erst dadurch entstehen, dass während des Verlaufs Medikamente wie Antibiotika gegeben werden.

Masern sind eine grausame Krankheit. Und ja, keine Impfung, die wirkt, ist völlig frei von Nebenwirkungen. Die Risiken jeder Impfung sind daher abzuwägen gegen das Risiko, die Krankheit zu durchleiden. Und an dieser Stelle muss man sich dem wissenschaftlichen Sachstand schon vollständig verschließen, um zu behaupten, dass Masern eine zumutbare (oder gar wünschenswerte) Lebenserfahrung darstellen.

Die Wahrscheinlichkeit, an der Infektion zu sterben oder zumindest bleibende Hirnschäden davonzutragen, liegt in Deutschland zwischen eins zu 1000 und eins zu 3000. Hinzu kommt ein beträchtliches Risiko, noch Jahre nach einer Maserninfektion an einer Gehirnentzündung zu sterben. Kein Elternteil würde je sein Kind mit Absicht einer Gefährdung dieser Größenordnung aussetzen.

Die Impfung sei "unnatürlich", so lautet das Argument vieler Gegner. Das ist zweifellos richtig, aber welche von der Natur nicht angebotenen Hilfsmittel unseres Lebens müssten mit diesem Argument noch abgeschafft werden? Zahnspangen? Bluttransfusionen? Antibiotika? Um bei den Impfungen zu bleiben: Wieso konzentriert sich die Skepsis auf die Masern? Offenbar ist die Schwere dieser Erkrankung in Teilen der modernen Gesellschaft aus dem Blick geraten, anders als beispielsweise die Kinderlähmung, deren Ausrottung von Impfkritikern eher selten beklagt wird.

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