Der Weg zu einem Malaria-Impfstoff für die Gefährdeten dieser Welt erinnert an eine Straße im ländlichen Afrika. Lang, steinig und beschwerlich; hinter jeder Etappe, die gemeistert wird, wartet schon die nächste Anstrengung. Gerade wurde wieder ein Zwischenziel erreicht. Die Impfallianz Gavi sagte eine dreijährige Anschubfinanzierung von 156 Millionen US-Dollar für die Einführung des weltweit ersten Malaria-Impfstoffs zu.
Das Vakzin mit dem Namen Mosquirix oder RTS,S wurde in mehr als 30-jähriger Arbeit entwickelt; seit sechs Jahren kennt man sein Potenzial. Es kann 30 Prozent der Kleinkinder vor lebensbedrohlichen Malaria-Verläufen bewahren. Das ist eine Zahl, die jenen, die die chronisch knappen Mittel für die globale Gesundheit verteilen, teilweise bis heute Sorgenfalten ins Gesicht treibt. 30 Prozent ist weit vom Optimum entfernt. Für die Covid-Impfstoffe beispielsweise hatten die Weltgesundheitsorganisation WHO und einige Zulassungsbehörden eine Wirksamkeit von mindestens 50 Prozent verlangt, man konnte beobachten, dass alles was unter 90 Prozent lag, in Teilen der Welt nur Naserümpfen hervorrief.
Mosquirix:Nicht perfekt, aber ein Lebensretter
Das erste Vakzin gegen Malaria schützt nur ein Drittel der geimpften Kinder und lange stand die Welt vor einem Dilemma: Soll man auf diesen bescheidenen Erfolg setzen? Die WHO hat nun eine Entscheidung getroffen - mit gutem Grund.
In den Malariagebieten aber stellt sich die Lage etwas anders dar. In dem grünen Landstrich rund um den Viktoriasee im Westen Kenias etwa: Hier gedeiht die Anopheles-Mücke. Seit jeher erleben die Anwohner, wie sie die Malaria-Parasiten überträgt, wenn sie einen Menschen sticht. Die Erreger lassen vor allem die Kleinsten fiebern, erbrechen und krampfen; sie können zu Blutarmut, Atemproblemen, Nierenversagen, Koma und Tod führen.
Zehntausende Kinderleben könnten durch die Impfung gerettet werden
Im Garten einer kleinen Ambulanz nahe dem Ort Luanda steht Rose Ayuma, zuständig für die Malaria-Kontrolle in der Region, unter hohen Bäumen und verliert ein bisschen die Contenance, als jene suboptimalen 30 Prozent zur Sprache kommen. "30 Prozent ist viel!", ruft sie mehr als einmal. Jährlich sterben in Afrika mehr als eine Viertelmillion Kinder an dem Tropenfieber. Zehntausende von ihnen könnte die Impfung retten.
Auch die von der WHO lange gehegte Befürchtung, dass die Impfung womöglich zu einer trügerischen Sicherheit führe, so dass Familien auf bewährte Mittel wie Bettnetze verzichten, ist in den Regionen, in denen Malaria weit verbreitet ist, schwer nachvollziehbar. Als ob die Menschen hier nicht wüssten, dass Infektionskrankheiten - ob nun Malaria oder Covid-19 - mit einem ganzen Arsenal von Möglichkeiten bekämpft werden. "Die Malaria-Impfung ist unser Booster", sagt Rose Ayuma.
Für viele, die hier ihr Häuschen haben, ist die Frage nach den Bettnetzen ohnehin eher akademisch. Nur knapp 60 Prozent der unter fünfjährigen Kinder schlafen in der Gegend um den Viktoriasee regelmäßig unter einem mit Insektiziden imprägnierten Netz, ergab im vergangenen Jahr eine Umfrage der kenianischen Regierung. Auch in den Dörfern um Luanda bekamen die Menschen erst im vergangenen Sommer die schützenden Netze gestellt. Da hatten die Malaria-Impfungen schon längst begonnen.
Die Gegend nahe dem See gehört zu etwa 180 Regionen Afrikas, in denen die WHO in einer Machbarkeitsstudie testen lässt, ob der Aufwand der Malaria-Impfung - vier Spritzen in den ersten zwei Lebensjahren - tatsächlich zu bewältigen ist. Seit September 2019 ziehen daher Helfer durch die Dörfer, um die Mütter über die neue Impfung aufzuklären. Sie laufen bei sengender Hitze über die rote Erde auf Wegen, die keinen Namen, zu Häusern, die keine Adresse haben. Kilometer um Kilometer legen sie zurück. Selbst als die Corona-Pandemie begann und die Furcht vor dem neuen Virus so groß war wie der Mangel an Schutzausrüstung, machten sie weiter.
Etwa 200 Kinder haben die Helfer bisher zur Malaria-Impfung in die Ambulanz bei Luanda geschickt. Eunice Vugutsa, Mitarbeiterin der Einrichtung, schlägt das große schwarze Buch auf, in dem in feiner Handschrift alle Impfdosen vermerkt sind, die hier verabreicht wurden. Die Machbarkeitsstudie findet weltweite Beachtung, die Endergebnisse werden wahrscheinlich in einem prominenten Fachjournal erscheinen - wissenschaftliche Exzellenz in Hochglanz. Und doch gibt es hier in dem Flachbau zwischen Akazien und Guaven noch nicht einmal einen Computer für die Datensammlung.
Die meisten Mitarbeiter der Ambulanz verdienen kaum genug, um ihre Familien zu ernähren
Eunice Vugutsa lacht: Computer sind für die kleinen Ambulanzen, die die Basisversorgung übernehmen, grundsätzlich nicht vorgesehen. In ihrer Einrichtung muss das Wasser in Plastikbottichen herangeschafft werden. Die Toiletten sind ein Loch im Boden, umbaut mit einem wackligen Holzverschlag. Die meisten Mitarbeiter verdienen kaum genug, um ihre Familien zu ernähren. Und doch haben sie es selbst während der Corona-Pandemie geschafft, die ersten drei Dosen des Malaria-Impfstoffs zu verabreichen. Stetig und zuverlässig erfolgten die Immunisierungen, wie sich zeigt, wenn Eunice Vugutsa mit dem Finger die Spalten des Buches hinabfährt. Auch die anderen Studienregionen bewältigten die Verabreichung der ersten drei Dosen, ergab das Zwischenfazit der WHO, weshalb die Behörde den Impfstoff Anfang Oktober für alle gefährdeten Kinder empfahl. Für die vierte Dosis lagen noch nicht genügend Daten vor.
Genau für diese Dosis aber weist die Datensammlung der kleinen Ambulanz besorgniserregende Zahlen aus. Nur etwa ein Drittel aller Kinder, deren Impftermin bereits anstand, haben diese letzte Spritze auch bekommen. Ob dies nur eine momentane Verzögerung oder ein Hinweis auf ein größeres Problem darstellt, ist noch nicht abzusehen. Die Mitarbeiter jedenfalls sorgen sich - vor allen um jene Familien, die zwischenzeitlich weggezogen sind. Liegt ihre neue Heimat nicht in einem der Studiengebiete, werden die Kinder die letzte Dosis auf ungewisse Zeit verpassen - und ihren Schutz damit deutlich senken. Auch deshalb hoffen die Mitarbeiter hier so sehr darauf, dass der Impfstoff schnell flächendeckend eingesetzt wird. Zumal immer mehr Familien aus den Nachbarkreisen zu ihnen kommen, die ebenfalls den Malaria-Schutz aus der Spritze für ihre Kinder wollen.
Doch wann auch Kinder außerhalb der Studie das Vakzin erhalten können, ist noch völlig offen. "Es ist schwer zu sagen, wann die ersten Lieferungen stattfinden", teilte Gavi mit. Zunächst stünden etliche weitere Schritte an: Der Impfstoff muss beschafft, Impfprogramme geplant werden. Die Länder müssen Anträge für die Finanzierung stellen, dafür muss überhaupt erst mal ein Antragsverfahren entworfen werden.
Und schon jetzt ist fraglich, wie lange Geld und Vakzine reichen werden. "Das anfängliche Angebot des RTS,S-Impfstoffs wird möglicherweise nicht genügen, um die potenzielle Nachfrage mittelfristig zu decken", sagt Ashley Birkett, Leiter der Impfstoffentwicklung bei der Nichtregierungsorganisation Path, die sich unter anderem für neue Malaria-Impfstoffe einsetzt. Denn anders als bei den Covid-Impfstoffen habe die Weltgemeinschaft im Fall der Malaria nicht in die rechtzeitige Ausweitung der Impfstoff-Produktion investiert.
Saschveen Singh, Beraterin für Tropenerkrankungen bei der Organisation Ärzte ohne Grenzen, kritisierte "die aktuell unannehmbar langen Zeiträume" für die Einführung des Impfstoffs. Sie forderte Gavi auf, die Prozesse zu beschleunigen und Ländern mit den schwächsten Gesundheitssystemen zusätzliche Unterstützung für den Aufbau eines Impfprogramms zu gewähren.
Der Weg zu einem Malaria-Vakzin für alle Kinder bleibt lang und steinig.
Die Recherche zu diesem Text wurde zum Teil aus Mitteln des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria finanziert.