Süddeutsche Zeitung

Mängel in Studien:Hunderte Medikamente sollen vom Markt

  • Etwa 700 Medikamente sollen nach der Empfehlung der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) vorläufig vom Markt genommen werden. Es handelt sich um Präparate, die von einer Forschungsfirma in Indien getestet worden waren.
  • Die Firma steht im Verdacht, Zulassungsstudien gefälscht zu haben.
  • Unter den Medikamenten sind 52 in Deutschland auf dem Markt.

Von Christina Berndt und Katja Riedel

Hunderte Medikamentenzulassungen in Europa sollen gestoppt werden. Das empfahl die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) am Freitag. Die Behörde hatte mehr als 1000 Zulassungen für Arzneimittel geprüft, die von der Forschungsfirma GVK Biosciences im indischen Hyderabad getestet worden waren. Im Dezember war bekannt geworden, dass Studien dieser Firma offenbar gefälscht wurden. Eine Gesundheitsgefahr für die Patienten, die diese Medikamente nehmen, bestehe aller Wahrscheinlichkeit nach nicht, betont die EMA: "Es gibt bisher keine Belege dafür, dass die Medikamente gefährlich sind oder nicht ausreichend wirksam."

Die EMA folgt nun mit ihrem Votum dem deutschen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) und weiteren nationalen Behörden aus Frankreich, Luxemburg und Belgien. Diese hatten schon im Dezember Zulassungen gestoppt, die nur in ihren Ländern Gültigkeit hatten (hier die deutsche Liste). Die EMA nahm sich nun sämtliche europaweit gültige Zulassungen aus den Jahren 2004 bis 2014 vor, für die GVK Biosciences die Studien erstellt hatte.

Mehrere Monate hatte der EMA-Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) mehr als 1000 Zulassungen überprüft. Für 300 dieser Arzneimittelzulassung lägen Studien von anderen Firmen vor, die deren Wirksamkeit und Sicherheit belegen, heißt es in einer Mitteilung der EMA. Diese werden deshalb in der EU auf dem Markt bleiben.

Für die übrigen rund 700 Medikamente empfiehlt die EMA, sie solange vom Markt zu nehmen, bis zuverlässige Daten vorliegen. Eine Ausnahme könne aber dann gemacht werden, wenn die Medikamente lebenswichtig für Patienten sind (Liste der betroffenen Medikamente hier). Die EU-Kommission muss nun noch die Empfehlung der EMA umsetzen. Davon ist Fachleuten zufolge auszugehen.

52 in Deutschland erhältliche Präparate betroffen

Die Liste der EMA umfasst 52 Medikamente, die in Deutschland erhältlich sind. Zu den Herstellern gehören auch deutsche Unternehmen wie Betapharm, Heumann Pharma und Fair-Med Healthcare. Im Dezember hatte das Bundesinstitut Bfarm bereits 80 deutsche Zulassungen ausgesetzt. Weil die Hersteller klagten oder weitere, verlässliche Studien vorlegen konnten, unterliegen derzeit nur noch 32 dieser Mittel dem Zulassungsstopp. Manche Arzneien finden sich sowohl auf der deutschen, als auch der EMA-Liste.

Deutsche Zulassungsbehörde sieht keine Gesundheitsgefahren

Der Europaparlamentarier Peter Liese (CDU) begrüßte die Empfehlung der EMA: "Den Fälschern, die die Gesundheit der Patienten in Indien und auch in Europa gefährden, muss das Handwerk gelegt werden", sagte er. "Diese Maßnahme wird abschreckende Wirkung auf alle anderen Beteiligten haben. Es ist gut, dass die Europäische Union hier ein klares Zeichen setzen will", so der gelernte Arzt und gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament.

Die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler (Linke) sprach von einem "richtigen Zeichen in Richtung der Konzerne". Nur so lasse sich dem "Pharma-Imperialismus" etwas entgegensetzen. Menschen in Schwellenländern würden Medikamente für reiche Länder ohne ausreichende Kontrollen testen.

Bfarm-Präsident Karl Broich begrüßte ebenfalls die Entscheidung: "Es ist gut, dass wir jetzt auch auf europäischer Ebene ein deutliches Signal für die Einhaltung unserer hohen ethischen und medizinischen Standards für klinische Prüfungen setzen." Auch das Bfarm betonte, dass es derzeit "keine Hinweise auf Gesundheitsgefahren" gebe. Patienten sollten die betroffenen Arzneimittel nicht einfach absetzen, sondern sich an ihren Arzt oder Apotheker wenden.

Datenmanipulationen beim EKG

Aufgefallen waren die Unregelmäßigkeiten bei GVK Bio Prüfern der französischen Arzneimittelbehörde ANSM während einer Stichprobe. Sie entdeckten Datenmanipulationen bei Elektrokardiogrammen, die den Einfluss der Medikamente auf das Herz abbilden sollten. Der Pfusch sei systematisch und über mehrere Jahre erfolgt, so die EMA. Deshalb stehe die Integrität der gesamten Firma GVK Biosciences in Frage. Die französische Behörde ANSM bezeichnete die Manipulationen bei GVK Bio als "bisher einzigartig".

Die Firma hatte im Dezember mitgeteilt, sie habe entlastende Unterlagen vorgelegt. Außerdem seien die beanstandeten Elektrokardiogramme für die Studien nicht relevant gewesen.

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