Madagaskar:Steigende Nachfrage nach angeblichem Corona-Heilmittel

Coronavirus - Madagaskar

Schüler halten Flaschen mit 'Covid Organics' hoch, die in ihrem Gymnasium in der Hauptstadt Madagaskars verteilt worden sind.

(Foto: Laetitia Bezain/dpa)

Die Wirkung des Tranks "Covid-Organics" ist nicht belegt - trotzdem ordern immer mehr afrikanische Länder. Was steckt dahinter?

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Bevor Andry Rajoelina Präsident von Madagaskar wurde, hat er in der Werbeindustrie gearbeitet, eine Agentur gegründet und eine Firma, die riesige Plakatwände auf der Insel vor Afrikas Südostküste aufstellt. Manchmal wirkt es so, als spreche er auch als Präsident in Werbeslogans. Im April trat er im Fernsehen auf und verkündete, sein Land sei dabei, "den Lauf der Geschichte zu verändern", weil es Forschern auf der Insel gelungen sei, eine Kur aus Pflanzen herzustellen, die in der Lage sei, sowohl gegen eine Infektion mit Covid- 19 vorzubeugen als sie auch zu heilen. Rajoelina hielt eine Flasche in die Luft, man sah eine braune Flüssigkeit und ein Logo mit der Aufschrift "Covid-Organics". Dann nahm der Präsident einen Schluck.

Seitdem hat der Trank erstaunliche Karriere gemacht. Er wird den Schulkindern auf Madagaskar verabreicht und in ein Dutzend afrikanische Staaten verschifft: nach Nigeria, Senegal, Tansania, Liberia und weitere. Am Anfang kamen die Bestellungen nur von Leuten wie Tansanias Staatschef John Magufuli. Der Corona-Leugner ist so etwas wie der Trump Afrikas, der wöchentlich andere Wunderkuren preist, mal Schlangenöl, mal den Trank aus Madagaskar. Mittlerweile können sich aber auch Länder wie Senegal und Ghana, die bisher erfolgreich und wissenschaftlich basiert gegen die Pandemie vorgegangen sind, dem Mittel von der Insel nicht entziehen.

"Afrikaner müssen ihre eigenen Lösungen finden. Wir müssen unsere Unabhängigkeit beweisen."

Es gibt eine große Sehnsucht auf dem Kontinent nach afrikanischen Lösungen für eine Krankheit, die von Weißen importiert wurde, die nun gleich noch ihre Lösungsansätze hinterherschicken. Sehr viele Staaten haben sehr früh das öffentliche Leben eingefroren und Infektionsketten verfolgt, auch deshalb ist die Zahl der Infektionen mit weniger als 100 000 auf dem Kontinent noch gering. Die Kosten aber sind brutal, Millionen Menschen im informellen Sektor haben ihre Jobs verloren.

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"Afrikaner müssen ihre eigenen Lösungen finden. Wir müssen unsere Unabhängigkeit beweisen. Das ist eine große Motivation", sagte Ibrahima Gueye, ein Professor aus dem Senegal, der mit Studenten einen Prototyp für ein Beatmungsgerät gebaut hat. Überall auf dem Kontinent sieht man nun solche Innovationen. Und der Kräutertrank gehört für viele in diese Reihe. "Madagaskar ist ein afrikanisches Land, als afrikanische Nation werden wir weiter unsere afrikanischen Heilmittel benutzen", sagte Liberias stellvertretender Informationsminister Eugene Farghon als er Tausende Flaschen Covid-Organics am Flughafen abholte. "Wir müssen der Menschheit klarmachen, das Afrika nicht nur aus Tänzen und Musik besteht, sondern Lösungen hat für die Gesundheitsprobleme der Welt", sagte Erick Gbodossou, der im Senegal eine Organisation leitet, die traditionelle Medizin fördert.

Die WHO hat bisher weniger begeistert auf Covid-Organics reagiert. Es gebe keine Belege für die Wirksamkeit. "Wir raten der Regierung von Madagaskar, das Produkt in einer klinischen Studie zu testen, und werden daran gerne mitwirken", sagte Rebecca Moeti, die Regionaldirektorin der WHO für Afrika. Die Afrikanische Union will sich bei Madagaskar um genaue Inhaltsstoffe und Testergebnisse von Covid-Organics bemühen und eigene Studien durchführen. Davor sollte die Flüssigkeit nicht unkontrolliert eingenommen werden. Madagaskars Präsident reagierte in den vergangenen Tagen zunehmend beleidigt. "Was, wenn dieses Heilmittel von einem europäischen Land entdeckt worden wäre? Würden es die Menschen auch so in Zweifel ziehen?" Was genau im Trank enthalten ist, hat seine Regierung bisher aber nicht mitgeteilt. Das Rezept stammt vom Malagasy Institute of Applied Research, das sich seit Jahrzehnten der Erforschung traditioneller Heilmittel und Pflanzen widmet und Medikamente gegen Bluthochdruck und Malaria entwickelt hat. Eine ganz neue Erfindung ist das Getränk aber eher nicht. Hauptbestandteil ist wohl Artemisia, ein aus der Pflanze Artemisia annua gewonnener Bestandteil, die in Deutschland Einjähriger Beifuß genannt wird. Das Magazin Africa Report berichtet, dass die Rede von Madagaskars Präsident bei der Vorstellung des Getränkes zu großen Teilen einem Brief entspricht, den die französische Organisation La Maison de l'Artemisia im März an 23 afrikanische Staatschefs geschickt hatte, um die Wirksamkeit von Artemisia zu preisen. Der Wirkstoff und aus ihm gewonnene Derivate gelten weltweit als erfolgreich in der Therapie von Malaria. Südafrikas Gesundheitsminister erzählte kürzlich, wie in seiner Heimatregion seit Generationen eine andere Artemisia-Art zur Senkung von Fieber benutzt werde. Der Wirkstoff müsse nun auch auf Wirksamkeit gegen Corona untersucht werden.

Das geschieht derzeit am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, dort hatte man Anfang April unabhängig von Covid-Organics in Madagaskar begonnen, die Wirksamkeit von Artemisia annua gegen Covid-19 zu untersuchen, zusammen mit dänischen und US-amerikanischen Forschern, erste Ergebnisse soll es kommende Woche geben. Covid-Organics konnten die Forscher dort nicht untersuchen, es stand ihnen nicht zur Verfügung. Es gebe auch sehr verschiedene Arten von Artemisia annua, sagt Peter Seeberger, der Direktor des Instituts. "In diesen kann sich die Menge an Wirkstoffen um das 20-Fache unterscheiden." Andere Forscher warnen, dass sich der Wirkstoff in Getränkeform schnell verflüchtigen könne. Madagaskar will dennoch weiter exportieren. Mitte der Woche meldete das Land die ersten Corona-Toten.

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