Süddeutsche Zeitung

Luftverschmutzung:Feinstaub schädigt das Hirn

Dicke Luft schädigt nicht nur die Atemwege, sondern erhöht auch das Risiko für einen Schlaganfall und verschlechtert das Gedächtnis. Dafür braucht es nicht mal Smog. Schäden zeigen sich schon bei Staubkonzentrationen, die in Industrieländern an der Tagesordnung sind. Und das bereits nach wenigen Stunden, wie eine neue Studie zeigt.

Werner Bartens

Dicke Luft macht krank - doch die Gesundheitsgefahren beschränken sich keineswegs nur auf die Atemwege und Bronchien. Wie umfangreich und vielseitig die Schäden durch Luftverschmutzung sein können, erkennen Wissenschaftler allerdings erst nach und nach. Forscher aus den USA beschreiben im Fachmagazin Archives of Internal Medicine vom heutigen Dienstag die negativen Auswirkungen auf das Gehirn (Bd. 172, S. 219 und S. 229, 2012). Demnach erleiden Menschen, die langfristig starker Luftverschmutzung ausgesetzt sind, häufiger einen Schlaganfall. Und bei Frauen setzen Gedächtnisverlust und andere kognitive Einschränkungen früher ein.

Herz-Kreislauf-Experten und Umweltmediziner der Harvard University haben mehr als 1700 Patienten untersucht, die in den vergangenen zehn Jahren einen Schlaganfall erlitten hatten. Waren die Kranken Feinstaubbelastungen ausgesetzt, bekamen sie häufiger einen auf Minderdurchblutung beruhenden Infarkt der Hirnarterien. Die Forscher vermuten, dass sich das Risiko für einen Schlaganfall durch Luftverschmutzung um 34 Prozent erhöht.

"Wir sehen, wie sich erhöhter Feinstaub schon innerhalb weniger Stunden auf das Schlaganfall-Risiko auswirkt", sagt Murray Mittleman, der die Arbeitsgruppe in Harvard leitet. "Die Verschmutzung durch lokalen Verkehr oder durch Verkehrsbelastungen, die sich an bestimmten Wohnorten sammeln, ist offenbar besonders groß." Ruß und Stickstoffdioxid erhöhten das Schlaganfall-Risiko deutlich, was dafür spricht, dass die Luftverschmutzung durch Autos und Lkws noch schädlicher ist als die durch Fabriken und Heizanlagen.

Risiko Demenz

Eine weitere Untersuchung umfasste mehr als 19.000 Frauen im Alter zwischen 70 und 81 Jahren. Waren die Damen einer stärkeren Luftverschmutzung ausgesetzt, ließen ihr Gedächtnis und andere Hirnfunktionen schneller und umfassender nach als bei jenen Frauen, die in besserer Luft lebten. "Durch Bewegung und Ernährung kann das Demenz-Risiko individuell beeinflusst werden", sagt Studienleiterin Jennifer Weaver von der University of Chicago. "Im Gegensatz dazu ist Luftverschmutzung ein Faktor, der sich gut gesellschaftlich, politisch und technisch regulieren lässt."

Beide Arbeitsgruppen sind alarmiert, weil sich die Schäden durch Feinstaub und andere Formen der Luftverschmutzung bereits bei Konzentrationen gezeigt haben, denen viele Menschen in Industrieländern ausgesetzt sind. "Wenn man bedenkt, wie viele Menschen unter verschmutzter Luft leiden, ist der Effekt enorm. Dabei haben wir in Boston sogar eine geringere Belastung als in anderen Städten der USA", sagt Mittleman.

Forscher warnen seit Jahren davor, dass Luftverschmutzung und Feinstaub auch das Risiko für Herzinfarkt und einen Verschluss der Bein- und Beckenarterien ("Schaufensterkrankheit") erhöhen. Zudem ist bekannt, dass Baum- und Blütenpollen aggressiver sind und stärkere Allergieschübe auslösen, wenn die Pflanzen an einer Straße oder in einem Park stehen, der stärker mit Feinstaub belastet ist.

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SZ vom 14.02.2012/beu/rus
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