K. o. durch Ellbogen:Trübte eine Gehirnerschütterung Karius' Blick im Finale?

Loris Karius

Liverpools Torwart Loris Karius schaut dem Ball hinterher, der zum 2:1 für Madrid ins Tor fliegt.

(Foto: dpa)
  • Der Liverpooler Torwart kassierte im Champions-League-Finale gegen Real einen Ellbogen-Stoß, danach unterliefen ihm zwei unsägliche Fehler.
  • Ärzte in Boston attestieren Karius einige Tage nach dem Spiel eine Gehirnerschütterung.
  • Einen echten Nachweis für eine solche Kopfverletzung gibt es allerdings nur in besonders schweren Fällen.

Von Werner Bartens

Fünf Tage nach dem Champions-League-Endspiel in Kiew, bei dem Liverpools Torwart Loris Karius zwei bemitleidenswerte Anfängerfehler unterlaufen sind, wurde der Keeper im renommierten Massachusetts General Hospital in Boston untersucht. Die Tests vom 31. Mai haben demnach ergeben, dass ein Ellbogen-Check von Madrids Innenverteidiger Sergio Ramos in der 49. Minute dem Torhüter weit mehr zugesetzt hat als zunächst vermutet.

"Wir kommen zu dem Schluss, dass er im Match am 26. Mai eine Gehirnerschütterung erlitten hat. Die verbliebenen Symptome und objektiven Zeichen legen nahe, dass bei Karius das räumliche Sehen eingeschränkt war", stellen Ross Zafonte and Lenore Herget in ihrem Bulletin fest. "Weitere Symptome deuten auf zusätzliche Einschränkungen hin", so die Harvard-Mediziner. "Gut möglich, dass diese Defizite die Leistung beeinträchtigt haben."

Genauer wollen sich die Ärzte nicht auslassen - und verweisen an die Presseabteilung des FC Liverpool. Das hat gute Gründe, denn eine Gehirnerschütterung lässt sich nur anhand klinischer Symptome nachweisen. "Weder laborchemisch im Blut noch durch Bildgebung lässt sich eine funktionelle Störung des Gehirns diagnostizieren", sagt Florian Heinen, Neurologe am Haunerschen Kinderspital der Universität München. "Das gilt direkt nach einem Trauma und erst recht Tage danach. Das Gehirn zeigt Störungen empfindlicher an als die beste technische Methode."

Erst wenn es zu einem noch schwereren Trauma kommt und Nervenzellen zerstört werden, zeigen sich Veränderungen des Gewebes und eine lokale Anschwellung des Gehirns im Kernspin. Dann ist allerdings von einem Schädel-Hirn-Trauma die Rede, bei dem die Betroffenen länger als zehn Minuten bewusstlos sind.

Auch andere Mediziner halten eine Gehirnerschütterung für "ziemlich plausibel"

Obwohl kein Kernspin und kein Labortest eine Gehirnerschütterung beweist, hält es Heinen anhand der TV-Bilder für "ziemlich plausibel", dass bei Karius eine solche vorlag. Das könnte die beiden Aussetzer erklären, die zu Toren für Real Madrid führten.

Auch ohne medizinisches Gerät kann direkt am Spielfeldrand geklärt werden, ob ein Spieler derart ausgeknockt wurde, dass er besser nicht weiterspielt, sondern zum Arzt muss. Einen Test dafür gibt es längst: SCAT 5 steht für "sport concussion assessment tool". Schwerere Symptome wie Nackenschmerzen, Doppelbilder, Übelkeit, Ohnmacht oder starker Kopfschmerz sollten sofort zum Spielausschluss führen, sie werden beim SCAT 5 beim betroffenen Spieler abgefragt oder festgestellt.

Zudem sieht der Test vor, dass der Spieler nach einem Zusammenprall oder Kopfstoß nach dem Datum und dem letzten Gegner gefragt wird und ob er weiß, welche Halbzeit gerade ist und wer ein Tor geschossen hat. Dann werden Augenbewegungen, Balance, verbaler Ausdruck, Gedächtnis und einfache motorische Fähigkeiten untersucht. Das alles dauert gerade mal zehn Minuten - so viel Zeit vergeht mittlerweile schon mal, wenn der Schiedsrichter sich im Zuge des Videobeweises die TV-Bilder am Spielfeldrand ansieht.

Der Fußball-Weltverband Fifa, die europäische Fußball-Union Uefa und nationale Sportverbände weigern sich bisher dennoch, Kopfstöße und andere Attacken auf den Schädel ernster zu nehmen und den Schnelltest an der Seitenlinie vorzuschreiben. So kommt es, dass Christoph Kramer beim wichtigsten Turnier der Welt, im WM-Endspiel 2014 in Brasilien, nach einem Foul mit erlittenem Schlag auf den Kopf erst den Schiedsrichter fragen musste, ob gerade das Finale läuft, bevor er ausgewechselt werden konnte.

Das wichtigste Finale der europäischen Vereinsmannschaften wurde nun womöglich entschieden, weil zuvor der Torwart k. o. geschlagen wurde - und es niemand merkte.

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