Wenn Frankreich ab dem 11. Mai einen Neustart des öffentlichen Lebens nach wochenlangen Einschränkungen versucht, dann folgt das Land einer Idee, die vor wenigen Wochen von zwei Ökonomen in häuslicher Isolation ersonnen wurde. "Ich telefonierte irgendwann mit meinem Kollegen Miquel Oliu-Barton und meinte, dass wir nach vielen Tagen ohne Kontakt zur Außenwelt uns doch eigentlich gefahrlos treffen könnten, wir würden ja eine Art grüne Zone bilden, solange wir niemand anderen treffen", erzählt Bary Pradelski, Professor für Volkswirtschaftslehre vom Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Grenoble. Kurz danach hatten sie einen kurzen Fachartikel verfasst, der Modell stand für die Öffnungsstrategien von Frankreich und auch in Spanien in Grundzügen umgesetzt werden soll.
Die Idee ist simpel: Eine Region wird in Zonen eingeteilt. Wo das Virus unter Kontrolle ist, wird die Zone grün markiert, in roten Zonen besteht hingegen noch hohes Infektionsrisiko. In grünen Bereichen können Einschränkungen gelockert werden, in roten bestehen sie fort. Zwischen benachbarten grünen Zonen sollen sich die Menschen wieder halbwegs frei bewegen können. Wird das Virus in einer roten Zone zurückgedrängt, wechselt die Farbe zu grün. Und umgekehrt wird eine grüne Zone rot, sobald sich das Virus wieder ausbreitet. Nach und nach sollten mehr Zonen grün werden, mehr Bewegungsfreiheit wird möglich.
Nur in rot markierten Regionen gelten die Lockdown-Regelungen weiter
Vorteil dieser Vorgehensweise wäre, dass zumindest in Teilgebieten das Leben recht uneingeschränkt vonstatten gehen kann, während andere Zonen noch unter Lockdown-Bedingungen ausharren müssen. "Indem Reisen zwischen roten und grünen Zonen begrenzt wird, können kaum noch lange, schwer nachvollziehbare Infektionsketten entstehen", sagt Pradelski. Lediglich mit wichtigen beruflichen oder familiären Gründen wäre eine Reise zwischen roten und grünen Zonen zu rechtfertigen. "Shoppingausflüge aus dem grünen Umland in einen vielleicht noch roten Stadtkern darf es natürlich nicht geben."
Die französischen Behörden haben bereits eine farbige Karte des Landes erstellt. Jedes der 101 Départements entspricht einer Zone. Oben rechts sind sehr viele rote, unten links viele grüne, dazwischen gelbe, für die sich erst in den kommenden Tagen zeigen wird, in welche Kategorie sie fallen. Die Rechenmodelle der Ökonomen sahen eigentlich kleinere Zonen mit jeweils 5000 bis 100 000 Bewohnern vor, "doch es muss auch politisch umsetzbar sein", sagt Pradelski. "Man kann schließlich keine Polizeikontrollen zwischen benachbarten Stadtteilen einrichten. Das Land muss in Zonen aufgeteilt werden, die ökonomisch sinnvoll sind, sozial akzeptabel und durchsetzbar."
Für Deutschland wären die Bundesländer eine naheliegende Zonierung. Besser wäre es noch, die Landkreise zu nehmen, schlägt Pradelski vor. Denen obliegt ohnehin seit der Einigung zwischen Ministerpräsidenten und der Bundesregierung am Mittwoch die stete Kontrolle der Zahl der Neuerkrankungen in ihrem Verantwortungsgebiet. "Gerade in Deutschland wäre eine weitere Gleichmacherei zwischen den Bundesländern fatal", sagt Pradelski. "Was bringt es, wenn wir irgendwann zurückschauen und feststellen, dass wir zumindest alle gemeinsam in den wirtschaftlichen Niedergang gesteuert haben?"
Das Konzept der grünen Zonen trägt der Tatsache Rechnung, dass es regionale Unterschiede gibt und die Anti-Corona-Maßnahmen an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden sollten. Die Grundlage für die Freizügigkeit zwischen den Zonen sind im Modell der Ökonomen jedoch einheitliche Regeln. Nur so könne eine Vergleichbarkeit hergestellt werden.
In Frankreich stellte das Gesundheitsministerium drei Kriterien vor, anhand derer entschieden werden soll, ob eine Zone von grün zu rot wechseln muss: Wenn die Fallzahlen über sieben Tage hinweg zu hoch sind oder die Kapazität der Krankenhäuser in der Zonen an Grenzen stößt oder die regionalen Gesundheitsämter nicht mehr mit dem Testen und aufspüren neuer Fälle und ihrer Kontaktpersonen hinterher kommen. "Das Virus wird auch in grünen Zonen aktiv sein, daher müssen alle notwendigen Voraussetzungen zum Testen und Überwachen geschaffen werden, bevor über Lockerungen nachgedacht werden kann", sagt Pradelski.
Von zentraler Bedeutung in dem Konzept von Pradelski und Oliu-Barton sind allerdings die Reiseregelungen zwischen den Zonen. Würde sich ein Netzwerk einheitlich definierter grüner Zonen in ganz Europa bilden, wären auch Reisen in diesen Bereichen unbedenklich, was insbesondere Regionen nützen würde, die stark auf Tourismus angewiesen sind. Wäre zum Beispiel Bayern eine grüne Zone und Kreta, Mallorca oder Sizilien, dann wären Reisen möglich. "Auf diesen Inseln schafft Tourismus mehr als 40 Prozent der Wirtschaftsleistung", sagt Pradelski. Seiner Meinung nach würde die Möglichkeit für Regionen, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen, auch stärkere Anreize für die Gemeinden schaffen, die Kriterien zu erfüllen und zur Kontrolle des Erregers beizutragen.
Allerdings würde es auch Anreize geben, regionale Infektionszahlen zu schönen oder die Krankenhausstatistik aufzuhübschen. Natürlich brauche es Kontrollinstanzen, sagt der Ökonom, am Besten zentral durch die EU. "Es bringt einer Insel aber auch nichts, zu betrügen, um aufsperren zu können, um zwei Wochen später wieder zumachen zu müssen, wenn sich zeigt, dass es zu viele Infektionen gibt."