Süddeutsche Zeitung

Lebensstil:Die Gesundheits-Hürde

Rauchen, Bewegungsmangel, Übergewicht: Risikoverhalten ist unter weniger Gebildeten häufiger. Forscher fordern politisches Gegensteuern.

Von Berit Uhlmann

Viele Statistiken belegen den gesundheitlichen Fortschritt. In etlichen Bereichen geht es bergauf, die Menschen werden fast überall immer älter; doch quasi im Kleingedruckten zeigt sich beharrlich ein schwerwiegender Haken: Die Schere zwischen geringer und besser Gebildeten bleibt offen.

Das gilt auch für die großen gesundheitlichen Risikofaktoren, wie Forscher des Robert-Koch-Instituts soeben im Journal of Health Monitoring gezeigt haben. Rauchen, Rauschtrinken, Bewegungsmangel, Übergewicht und eine Ernährung mit zu wenig Obst und Gemüse: All dies findet sich in sozial schwächeren Gruppen häufiger - teils sogar mit zunehmender Tendenz. In die aktuelle Auswertung sind die Daten von fast 25 000 Erwachsenen in Deutschland und etwa 200 000 weiteren EU-Bürgern eingeflossen.

Menschen mit geringerer Bildung bereitet der Alkoholkonsum eher Probleme

Ein besonders großes Gefälle stellten die Forscher beim Tabakkonsum in Deutschland fest. 40 Prozent der Männer und 30 Prozent der Frauen mit geringem Bildungsstand greifen zur Zigarette. Im oberen Bildungsniveau liegt der Anteil jeweils bei der Hälfte. Unter den Frauen ist die Diskrepanz in Deutschland sogar größer als im EU-Durchschnitt.

Verhältnismäßig gering fallen dagegen die Unterschiede aus, wenn man deutsche Erwachsene nach dem Alkoholkonsum fragt. Besorgniserregend sind die Erkenntnisse dennoch: Einen Abend mit mindestens sechs Gläsern Alkohol erlebten mehr als 40 Prozent aller Männer und mehr als 20 Prozent aller Frauen mindestens einmal monatlich. Diese Werte liegen weit über dem EU-Durchschnitt. Und auch, wenn der episodische Exzess relativ gleichmäßig in allen Gruppen verbreitet ist, seine Folgen sind es nicht. Menschen mit geringerer Bildung bereitet der Alkoholkonsum eher Probleme, da sie soziale und gesundheitliche Auswirkungen häufig weniger gut kompensieren können, schreiben die Forscher.

Deutschlands Tabak- und Alkoholpolitik ist rückständig

Insgesamt liegt Deutschland, was die sozialen Unterschiede des gesunden Lebensstils betrifft, im europäischen Mittelfeld. Die Schere erklären die Epidemiologen zum einen damit, dass höhere Bildungsabschlüsse in der Regel mit mehr Wohlstand einhergehen. Die gut verdienende Mutter kann sich im Zweifelsfall einen Babysitter leisten, um ungestört im Fitnessstudio zu trainieren. Zum anderen erhöht Bildung auch die Kompetenz in Fragen der Gesundheit. Der Akademiker tut sich unter Umständen leichter, ein passendes Rauchstopp- oder Abnehmprogramm zu finden oder auch raffinierte Manipulationen der Lebensmittelwerbung zu durchschauen.

Die Autoren des Robert-Koch-Instituts wollen ihre Ergebnisse daher nicht als persönliche Fehlleistung der weniger Gebildeten verstanden wissen. "Individuelle Verhaltensweisen sind in der Regel in die Lebensverhältnisse der Menschen eingebettet. Gesundheit und Gesundheitsverhalten sind also davon beeinflusst, welche Arbeitsbedingungen, Wohnverhältnisse oder finanziellen Handlungsspielräume Menschen im ihrem Alltag haben", sagt Autor Jens Hoebel. Zur Prävention ist es demnach nötig, die Verhältnisse und nicht allein das Verhalten des Einzelnen zu ändern. Die Autoren verweisen unter anderem auf die Tabak- und Alkoholpolitik, in der Deutschland hinter vielen anderen EU-Staaten zurückbleibt.

Welchen Aufholbedarf Deutschland hat, zeigte vor wenigen Tagen auch eine im Fachblatt Lancet Global Health erschienene Studie. Die Bundesrepublik hat nur 58 Prozent jener von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlenen Maßnahmen umgesetzt, die Zivilisationskrankheiten vorbeugen sollen. Sie schneidet damit schlechter ab als beispielsweise Norwegen, Großbritannien und Portugal. Es sind Versäumnisse wie das Fehlen eines umfassenden Rauchverbots und die eher niedrige Alkoholsteuer, die Deutschland in dem internationalen Vergleich Punkte kosten.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2019
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