Lebensmittelindustrie:Die Limo-Lobby

Zuckerhaltige Erfrischungsgetränke

Der Konsum gezuckerter Getränke fördert Übergewicht.

(Foto: Monika Skolimowska/dpa)
  • Allein in den Jahren 2011 bis 2015 hat Coca-Cola 96 Gesundheitsorganisationen und -institute in den USA gesponsert, der Konkurrent Pepsico immerhin 13.
  • Selbst renommierte Organisationen, die sich der gesunden Ernährung verschrieben haben, akzeptierten Spenden der Getränkehersteller.
  • Übergewicht führt in der amerikanischen Bevölkerung längst zu einer mindestens so großen Krankheitslast wie der Konsum von Zigaretten.

Von Astrid Viciano

Es sind also nicht die Chips. Auch nicht die Schoko-Törtchen nach dem Abendessen. Und erst recht nicht die Becher Limonade in der Frühstückspause, zum Mittagessen und am Nachmittag. Was dicken Menschen fehle, sei vor allem die Bewegung. So oder so ähnlich verkündete es das Global Energy Balance Network nach seiner Gründung im Dezember 2014 in den USA. Und gelobte, fortan Sportmediziner und weitere Experten finanziell zu fördern, um die Forschung dazu voranzubringen und die Öffentlichkeit über die neuen Erkenntnisse zu informieren.

Fast revolutionär kam die Botschaft daher. Von nun an sollte vor allem der Sport fürs Abnehmen entscheidend sein, nicht das Zählen von Kalorien. Und vermutlich sollten die Menschen vor allem weiter Limonade trinken. Sponsor des vermeintlich wegweisenden neuen Netzwerks war nämlich der Limo-Gigant Coca-Cola. "Der Fall hat hohe Wellen geschlagen", erinnert sich Michael Siegel, Professor an der School of Public Health der Boston University. Als prominentes Beispiel dafür, wie die Limonaden-Industrie von möglichen Nachteilen abzulenken versucht, die ihre Produkte für die Gesundheit haben können. Oder wie sie ihr schlechtes Image zu verbessern sucht. Oder manchmal sogar bereits bestehende Gesundheitsorganisationen unterläuft.

Siegel beschloss daher, systematisch zu untersuchen, wie weit diese Taktiken verbreitet sind. "Wir haben uns zunächst die USA angesehen, doch das ist ein internationales Problem", sagt der Präventivmediziner. Und es ähnelt in vielen Details den früheren Konflikten mit der Tabakindustrie.

96 Gesundheitsorganisationen hat Coca-Cola gesponsert, PepsiCo 13

Gemeinsam mit seinem Co-Autor Daniel Aaron fand Siegel heraus, dass allein in den Jahren 2011 bis 2015 Coca-Cola 96 bereits bestehende Gesundheitsorganisationen und Gesundheitsinstitute in den USA gesponsert hat, der Konkurrent Pepsico immerhin 13. Das berichten die Wissenschaftler im American Journal of Preventive Medicine. "Wir waren überrascht von dem Ausmaß des Sponsoring", sagt Siegel. Wobei die tatsächliche Anzahl vermutlich größer sein dürfte. Auch weil zum Beispiel Pepsico seine Sponsoring-Aktivitäten nicht offenlegt, im Gegensatz zu Coca- Cola.

Unter den Empfängern fand der Präventivmediziner auch Organisationen und Tagungen, die sich besonders mit Sport und den positiven Auswirkungen auf die Gesundheit befassen. "Doch leider genügt es nicht, sich mehr zu bewegen, um schlank zu bleiben", sagt Siegel. Beim Tanzen zum Beispiel verbraucht ein 60 Kilogramm schwerer Mensch etwa 200 Kalorien, beim langsamen Joggen mit acht Kilometer pro Stunde rund 450 Kalorien pro Stunde. Um eine Tafel Milchschokolade zu verbrennen, müsste sich an die Schlemmerei ein Tanzabend von fast drei Stunden anschließen oder eine Laufrunde von mehr als einer Stunde. "Daher müssen Menschen auch auf eine gesunde Ernährung achten", sagt der Präventivmediziner.

Doch auch hier standen prominente Vertreter auf der Empfängerliste. Erstaunt mussten Siegel und sein Kollege bei ihrer Analyse feststellen, dass selbst renommierte Organisationen, die sich der gesunden Ernährung verschrieben haben, Spenden von Coca-Cola und Pepsico akzeptierten. Die Akademie für Ernährung und Diätetik zum Beispiel. Sie spricht landesweit Empfehlungen dazu aus, wie Menschen essen und trinken sollten.

Süßgetränke können das Hungergefühl verstärken

Trinkbecher neu

SZ-Grafik: Mainka; Quelle: Unternehmensseiten

Dabei wissen Mediziner längst, dass der Konsum gezuckerter Süßgetränke die Entstehung von Übergewicht massiv fördert. Ein Fünftel der Gewichtszunahme in der amerikanischen Bevölkerung von 1977 bis 2007 ist Schätzungen zufolge den Limos zuzuschreiben. "Die Getränke enthalten nur Zucker, aber keinen nennenswerten Nährwert", sagt Marion Nestle, Professorin für Ernährung, Ernährungsstudien und Public Health an der New York University.

Bereits vor Jahren hatte sich der amerikanische Psychologe und Neurowissenschaftler Kelly Brownell 88 Studien zu gezuckerten Süßgetränken angesehen. Er fand heraus, dass die Brause insgesamt zu einem erhöhten Kalorienkonsum pro Tag führte. Schon frühere Studien hatten herausgefunden, dass die Bevölkerung allein durch Softdrinks in den Jahren 1977 bis 1996 durchschnittlich 105 zusätzliche Kalorien pro Tag aufnahm. Inzwischen nimmt einer von vier Amerikanern durch die Limos mindestens 200 Kalorien pro Tag mehr auf, fünf Prozent der Bevölkerung sogar fast 570 Kalorien.

Unter Jugendlichen machen gezuckerte Süßgetränke - darunter fielen in dieser Studie auch Energy Drinks und Sportlimos - heute die größte Quelle der täglichen Kalorienzufuhr aus, mehr noch als Pizza.

In der vergangenen Woche erinnerte auch Francesco Branca, Leiter der Ernährungsabteilung der Weltgesundheitsorganisation, in einem offiziellen Statement daran, dass zuckerhaltige Süßgetränke eine wesentliche Quelle unnötiger Kalorien sind. Nicht nur das. Brownell, Dekan der Sanford School of Public Policy der Duke University, und Kollegen stellten fest, dass die süßen Getränke sogar das Hungergefühl verstärken und zu mehr Essen verleiten können. "Sie sind schlecht für die Gesundheit", bekräftigt der Psychologe.

Sogar kleine Mengen machen einen großen Unterschied: Eine Studie an 120 000 Männern und Frauen über 20 Jahre ergab, dass jene, die ihren Konsum gezuckerter Süßgetränke um 0,3 Liter pro Tag erhöhten, mehr an Gewicht zulegten als andere - im Durchschnitt fast ein halbes Kilo alle vier Jahre. In den USA gelten inzwischen mehr als zwei Drittel der erwachsenen Bevölkerung als übergewichtig, mehr als ein Drittel sogar bis hin zur Fettleibigkeit.

Ausgerechnet dort versuchen die Limo-Giganten also, mächtig Einfluss zu nehmen. "Gesundheitsorganisationen haben eine starke Stimme in der Politik, wenn es darum geht, Gesetzesinitiativen durchzusetzen - oder eben zu verhindern", sagt Brownell, der sich seit vielen Jahren mit den Strategien der Lebensmittelindustrie befasst. So setzte sich die Organisation Save the Children (Rettet die Kinder) zunächst dafür ein, Limonaden mit einer Steuer zu belegen. Im Jahr 2010 allerdings endete der engagierte Einsatz plötzlich. "Die Organisation hatte ein Jahr zuvor mehr als fünf Millionen Dollar von Coca-Cola und Pepsico erhalten", erklärt Siegel in seiner Auswertung.

Strategien der Tabakindustrie als Vorbild

Coca-Cola und Pepsico dagegen richten auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung über den Internationalen Rat des Getränkeverbands aus, dass sie sich für Themen der öffentlichen Gesundheit engagieren, weil auch sie sich "ein gesundes Amerika wünschen". Wie die aktuelle Studie zeige, konzentrierten sich manche Organisationen darauf, die öffentliche Gesundheit zu verbessern.

Darum seien die Firmen "stolz darauf, diese zu unterstützen". Vor allem in den USA stehen die Limo-Giganten unter Druck. Allein zwischen den Jahren 2002 und 2012 ist der Konsum der kohlensäurehaltigen Süßgetränke dort um 23 Prozent zurückgegangen. Umso mehr versucht die Industrie, ihre Produkte vor gesetzlichen Auflagen zu schützen.

Allein 29 Gesetzesinitiativen entstanden in den vergangenen fünf Jahren in den USA, um den Konsum von Brause zu reduzieren, auf landesweiter Ebene oder regional. Mal ging es um eine Einschränkung der Werbung für die Produkte, mal um die Größe der Behälter, mal um eine Besteuerung der Limonaden. Siegel und Aaron stellten fest, dass Coca-Cola alle 29 Entwürfe direkt oder indirekt bekämpft hat, Pepsico 26 davon. "Sie behindern unsere Arbeit", sagt Siegel.

In den Jahren 2011 bis 2014 hat Coca-Cola mehr als sechs Millionen Dollar für Lobby-Aktivitäten ausgegeben, Pepsico mehr als drei Millionen. Im Jahr 2009 gaben Coca-Cola, Pepsico sowie die für die Getränke-Industrie zuständige Handelsorganisation American Beverage Association sogar insgesamt 38 Millionen Dollar aus, um gegen eine landesweite Besteuerung der Limonaden anzugehen. In einer Stellungnahme lassen Pepsico und Coca-Cola wissen, dass sie tatsächlich mit den "diskriminierenden und rückständigen Steuern oder Richtlinien" bezüglich ihrer Produkte nicht einverstanden sind.

Sie gaben 38 Millionen Dollar aus, um eine Getränkesteuer zu verhindern

Dass die Unternehmen ihren Profit sichern wollen, wirft der Präventivmediziner Siegel den Firmen gar nicht vor. Doch sollten sich Gesundheitsorganisationen weigern, Geld der Limo-Industrie anzunehmen. "Manche von ihnen wissen jedoch nicht, dass sie Teil einer Marketingstrategie der Industrie sind", sagt Siegel. Daher sei es wichtig, die Machenschaften künftig offenzulegen. Ähnlich, wie es bereits vor Jahren mit der Tabakindustrie gelungen ist. "Da wissen die Organisationen bereits, dass jegliche Verbindung zu diesen Unternehmen ihren Ruf schädigen würde. Das können sie nicht riskieren", sagt Siegel.

Mit den Strategien der Zigarettenindustrie sind Mediziner bereits gut vertraut. "Die Parallelen sind groß. Zum Beispiel die Strategie, vordergründig die Gesundheit der Konsumenten über alles zu stellen", sagt der Psychologe Brownell. Und erinnert in einem Übersichtsartikel an ein geheimes Treffen der Chefs der wichtigsten Tabakfirmen in New York City im Jahr 1953. Ihr Ziel war es, den Image-Schaden zu begrenzen, den neue Berichte über den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs anrichteten. Die Chefs beschlossen, in einer konzertierten Aktion eine "ehrliche Stellungnahme" in 448 amerikanischen Zeitungen zu veröffentlichen - in der sie beteuerten, dass den Unternehmen die öffentliche Gesundheit wichtiger sei als alles andere. Das sollte die Raucher beruhigen.

Inzwischen führt Übergewicht in der amerikanischen Bevölkerung längst zu einer mindestens so großen Krankheitslast wie der Konsum von Zigaretten. "Doch haben wir enorm viel dazugelernt", sagt Brownell. Auch darüber, welche Maßnahmen geholfen haben, das Rauchen einzudämmen. Maßnahmen, die auch beim Kampf gegen die Limonaden-Industrie nützlich sein können. In San Francisco zum Beispiel sollen künftig Warnhinweise bei der Werbung für gezuckerte Getränke zur Pflicht werden - ähnlich wie auf Zigarettenschachteln. "Die Entwicklung geht in die richtige Richtung", sagt Brownell.

So haben zum Beispiel vier große Fachgesellschaften in den USA ihre ausgelaufenen Sponsoring-Verträge mit Coca-Cola nicht erneuert, darunter die Akademie für Ernährung und Diätetik. Auch das auf Fitness fixierte Global Energy Balance Network stellte Ende 2015 seine Arbeit ein. Dennoch wird die Brause-Industrie nicht müde, neue Wege zu gehen. Setzten die Firmen viele Jahre lang auf immer größere Trinkbecher, verfolgen sie nun eine weitere Strategie: Coca-Cola wird seinen Kunden künftig mehr Limos in Mini-Dosen und Mini-Flaschen anbieten. Für den unbeschwerten Genuss.

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