Lebensmittel-Kennzeichnung:Klöckners Ernährungs-Siegel verwirrt Verbraucher

Lebensmittel-Kennzeichnung: Welche Kennzeichnung ist klarer?

Welche Kennzeichnung ist klarer?

  • In Deutschland soll ein Label eingeführt werden, das die Wahl gesunder Lebensmittel erleichtern soll.
  • Bundesregierung und verschiedene Fachgesellschaften haben jeweils eigene Umfragen zur sinnvollsten Kennzeichnung in Auftrag gegeben.
  • Die erste Umfrage zeigt nun: Der in Frankreich entwickelte Nutri-Score ist weit verständlicher als ein Siegel, das die Bundesregierung in Auftrag gegeben hat.

Von Berit Uhlmann

Wieder so ein später Nachmittag. Die Arme sind schwer von Korb, Taschen und den Kindern, die daran ziehen. Der Kopf ist belastet von all den Entscheidungen, die noch anstehen, darunter auch die, welche der unzähligen Müslis, Joghurts und Getränke man einpacken darf, wenn der Gesundheit etwas halbwegs Gutes getan werden soll. Was ist in dieser Situation hilfreicher? Ein einfaches Kennzeichen, das wie eine Ampel mit Grün zum Handeln auffordert und mit Rot zur Obacht mahnt? Oder ein Label in Form eines Fächers mit Feldern in verschiedenen Grüntönen, auf denen Sterne in Schwarz und Weiß gezeichnet sind und daneben mehrere Zahlenwerte stehen?

Die Antwort ist naheliegend. Dennoch sahen sich mehrere medizinische Fachgesellschaften und Verbraucherorganisationen zu einer repräsentativen Umfrage veranlasst. Unter anderen die Deutsche Diabetes Gesellschaft und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte wollten wissen: Kommen die Verbraucher eher mit der Ampel - konkret dem in Frankreich entwickelten "Nutri-Score" - zurecht? Oder soll es das grünliche Label sein, das im Auftrag des Bundesernährungsministeriums entwickelt wurde und den Namen "Wegweiser Ernährung" trägt?

"Wegweiser Ernährung": zu viele Informationen, wenig Orientierung

Die Ergebnisse sprechen erwartbar für das Ampelprinzip. Mehr als drei Viertel der 1000 Befragten halten den Nutri-Score für schnell erfassbar und leicht verständlich. 60 Prozent denken, dass er die Auswahl gesunder Lebensmittel erleichtert. Den neu entwickelten "Wegweiser Ernährung" findet dagegen nicht einmal jeder Zehnte leicht verständlich; 65 Prozent nennen ihn kompliziert, 60 Prozent verwirrend. Dabei ist nicht der Bildungsstand für die Konfusion verantwortlich. Menschen, die mindestens Abitur haben, gaben mehr als andere an, das Kennzeichen nicht zu begreifen. Insgesamt sprechen sich 69 Prozent für den Nutri-Score und nur 25 Prozent für den "Wegweiser" aus.

Einziger Pluspunkt des grünlichen Modells: Mehr Menschen finden, dass es genügend Informationen liefert. Allerdings sind Detail-Auskünfte zu einzelnen Inhaltsstoffen für die meisten Verbraucher kein wichtiges Kriterium für ein Lebensmittelsiegel. Bedeutsam finden die Befragten, dass die Kennzeichnung eindeutig und leicht verständlich sei.

Das ist in etwa das, was auch die Forschung sagt. Kein Label ist perfekt, die Siegel müssen zwangsläufig vereinfachen und werden der Komplexität der Ernährung nicht in jedem Fall gerecht, obwohl recht komplizierte Algorithmen hinter der Bewertung stehen. Doch ihr Zweck ist ja gerade, einfache Orientierung zu bieten - auch im Stress, auch für Kinder, alte Menschen und jene, die die Sprache nur schlecht beherrschen.

"Bisherige Studien zeigen, dass Nährwertkennzeichnungen für die Verbraucher einfach zu verstehen und schnell zu erfassen sein sollten. Eine Farbcodierung nach dem Ampelprinzip, wie sie vom Nutri-Score genutzt wird, ist besonders günstig, da sie universell und intuitiv verständlich ist", sagt Peter von Philipsborn, Wissenschaftler der Pettenkofer School of Public Health an der LMU München, der an der Umfrage nicht beteiligt war.

Verwunderlich ist eher, dass es überhaupt noch Umfragen braucht. Das bundeseigene Max-Rubner-Institut (MRI) für Ernährungsforschung hatte im Auftrag des Ernährungsministeriums bereits die 13 weltweit gebräuchlichsten Label untersucht. Am besten schnitten ein in Australien gebräuchliches Muster sowie der Nutri-Score ab. Letzterer hat auch den Vorteil, dass er in verschiedenen europäischen Ländern bereits eingeführt ist. Eine Bürgerinitiative macht sich für seine europaweite Verwendung stark und sogar Teile der Lebensmittelindustrie unterstützen ihn.

Dennoch beauftragte Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) das MRI, ein neues Kennzeichnungssystem zu entwerfen. Heraus kam jener "Wegweiser Ernährung" in der Farbe, die das MRI "Petrol" nennt und deswegen gut findet, weil sie "nicht als Störfaktor" wahrgenommen werde, keine Wertung vorgebe und eine "positive Anmutung" habe. Das bedeutet letztlich: Die Verpackung sieht auch dann noch positiv aus, wenn ihr Inhalt nicht wirklich zu empfehlen ist.

Zugleich kündigte Klöckner an, dass die Verbraucher das Label für Deutschland wählen sollen. Damit meint sie 1600 Bundesbürger, deren Meinungen das Ernährungsministerium in einer eigenen Umfrage einholen lässt. Diese Menschen sollen sich zwischen dem Nutri-Score, dem "Wegweiser" und zwei weiteren Labeln entscheiden, die in der vorangegangenen MRI-Analyse schlechter als der Nutri-Score abgeschnitten hatten.

"Über 35 Studien haben ergeben, dass der Nutri-Score sozusagen der Goldstandard ist."

Das Votum soll im September vorgestellt werden. Klöckner hatte versprochen, dass es den Ausschlag geben werde. Doch dieses Vorgehen bereitet einigen Experten nun Kopfzerbrechen. Philipsborn kommentiert, dass weitreichende politische Entscheidungen dieser Art nicht vom Ergebnis einer einzelnen Umfrage abhängen sollten.

So begründen auch die Fachgesellschaften ihre eigene Umfrage. Barbara Bitzer von der Allianz nichtübertragbarer Krankheiten, einem Zusammenschluss verschiedener wissenschaftlicher Organisationen, sagt: "Wenn man schon auf Umfragen setzt, um das richtige Label zu finden, dann sollte es sicherlich mehr als eine Umfrage sein." Sie räumt zugleich ein, dass die Frage nach dem wirksamsten Label im Prinzip schon beantwortet ist: "Über 35 Studien haben ergeben, dass dies der Nutri-Score ist. Er ist sozusagen der Goldstandard." Doch egal, welches Label es wird, ein Manko steht schon jetzt fest: Nach EU-Recht sind Hersteller nicht verpflichtet, das Label auf ihr Produkt zu drucken.

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