Demografie:Wo Menschen in Deutschland am längsten leben

Rentner

Bessergestellten bleibt durchschnittlich mehr Lebenszeit als sozial benachteiligten Menschen.

(Foto: Stephan Scheuer/dpa)
  • Besonders alt werden die Menschen in Südbayern und im Südwesten
  • Starnberg führt bei den Frauen, Landkreis München bei den Männern
  • Kreise mit hoher Arbeitslosigkeit, viel Kinderarmut und häufigen Transferleistungen (Hartz IV) haben die geringste Lebenserwartung
  • Besonders benachteiligt sind der ländliche Osten und das Ruhrgebiet

Von Werner Bartens

Lage, Lage, Lage - das Maklermotto gilt auch für die Frage, wie alt die Menschen werden. Schließlich zieht es immer mehr Menschen dorthin, wo die Landschaft lieblich ist, der Erholungswert groß - und gut bezahlte Arbeit nah. Dies alles sind Faktoren, die Menschen zufrieden und gesund sein und damit älter werden lassen. Kein Wunder also, dass in keiner Gegend in Deutschland die Frauen so alt werden wie im Landkreis Starnberg (die mittlere Lebenserwartung beträgt hier 85,7 Jahre). Die Männer finden sich im reichsten Landkreis Deutschlands ebenfalls weit vorne und belegen dort mit 80,7 Jahren bundesweit den vierten Platz.

Die anderen Spitzenpositionen lesen sich wie eine Auflistung beliebter deutscher Regionen, Studentenstädte und Arbeitsorte. Bei den Männern liegt der Landkreis München auf Platz 1 (bei den Frauen auf Platz 3), die Stadt München schneidet ebenfalls hervorragend ab (Frauen Platz 2, Männer Platz 3). Außerdem weit vorne der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, der Freiburg umschließt (Männer Platz 2, Frauen Platz 5), Freiburg selbst, zudem Stuttgart, die Frankfurter Schlafgegenden am Taunus und neben dem Münchner Speckgürtel fast jeder Landkreis, der von der bayerischen Hauptstadt aus mit der S-Bahn zu erreichen ist.

"Sozial bedingte gesundheitliche Ungleichheit besteht selbst in einem wohlhabenden Land wie Deutschland"

Im Deutschen Ärzteblatt haben die Soziologen und Demografen Roland Rau und Carl Schmertmann eine Auswertung der Lebenserwartung für jeden der 402 Landkreise in Deutschland erstellt. Die Forscher vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock und von der Florida State University griffen dazu auf Daten aus dem Zeitraum 2015 bis 2017 zurück, aktuellere gibt es nicht. Aus den Bevölkerungszahlen und Sterbefällen berechneten sie die Lebenserwartung, was eine etablierte Methode in der Demografie ist. Die Spanne von Männern schwankte um 5,4 Jahre zwischen 75,8 und 81,2 Jahren. Bei den Frauen betrug die Differenz in der Lebenserwartung 3,9 Jahre; die Spanne lag zwischen 81,8 und 85,7 Jahren.

Während die Lebenserwartung in Südbayern und dem Südwesten am höchsten ist, haben Menschen in ländlichen Gegenden der ehemaligen DDR und im Ruhrgebiet die ungünstigsten Aussichten. Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern schneiden besonders schlecht ab, zudem Kreise wie Duisburg, Herne, Gelsenkirchen, Oberhausen, Bottrop und andere Metropolen im Revier. Schlusslicht bei den Frauen ist der Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt, bei den Männern ist es das strukturschwache Bremerhaven. Um die Zahlen einzuordnen, wählen die Autoren anschauliche Vergleiche. Die Lebenserwartung für Männer in Bremerhaven entspricht mit 75,8 Jahren "ungefähr dem Niveau von Oman", das Platz 53 unter weltweit 201 Ländern einnimmt. Bei den Frauen ist die geringste Lebenserwartung in Deutschland mit 81,8 Jahren im Salzlandkreis vergleichbar mit der tschechischer Frauen, die weltweit auf Platz 46 rangieren.

Die Autoren betonen, dass häufig zur Erklärung herangezogene Faktoren wie das Pro-Kopf-Einkommen, die Bevölkerungs- oder Arztdichte "weniger relevant sind als ökonomische Indikatoren, die sich auf ärmere Personengruppen beziehen". Dazu gehören die Arbeitslosenquote, Kinderarmut oder der Anteil jener Menschen, die Wohngeld oder Transferzahlungen wie Hartz IV beziehen. Armut und Aussichtslosigkeit machen nicht nur trübsinnig, sondern auch krank und verkürzen das Leben. Aussichtslosigkeit kann etliche Leiden verschlimmern. Zudem verhalten sich Menschen in schwieriger sozioökonomischer Situation weniger gesundheitsbewusst.

Zwischen Stadt und Land konnten die Forscher keine großen Unterschiede in der Lebenserwartung beobachten

Die räumlichen Muster für die Lebenserwartung sind für Frauen wie Männer recht ähnlich, ein Stadt-Land-Gefälle ist kaum zu erkennen. Auch die Unterschiede zwischen den zehn größten deutschen Städten spiegeln das wider: Vorne liegen München und Stuttgart, mit Abstand folgen Frankfurt, Hamburg, Köln, Düsseldorf, Berlin und Leipzig. Auf den hintersten Plätzen finden sich Dortmund und Essen.

"Sozial bedingte gesundheitliche Ungleichheit besteht selbst in einem wohlhabenden Land wie Deutschland", kommentieren die Gesundheitswissenschaftler Oliver Razum und Odile Sauzet von der Universität Bielefeld im Ärzteblatt. "Menschen mit einem niedrigen sozialen Status haben ein höheres Risiko, in jüngerem Lebensalter zu versterben, als Bessergestellte." Die Autoren betonen, dass gesundheitliche Unterschiede 30 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht mehr einem Ost-West-Gradienten folgen, "sondern viel kleinräumiger betrachtet werden müssen". Die Abwanderung jüngerer, besser qualifizierter Menschen, hohe Arbeitslosigkeit und damit einhergehende soziale Schwierigkeiten machen krank.

Razum und Sauzet erinnern daran, dass Bundespräsident Köhler 2004 mehr Eigeninitiative forderte, um die sozialen Unterschiede auszugleichen. Inzwischen sei klar, dass dies nicht ausreiche, um strukturelle Ungleichheit und regionale Nachteile zu überwinden. Die Folgen von Covid-19 könnten die sozial bedingte gesundheitliche Ungleichheit sogar noch vergrößern. Manche Landkreise sind um den Faktor 100 häufiger von Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus betroffen. Deshalb sei zu diskutieren, ob staatliche Hilfe gleichmäßig über die Republik verteilt werden sollte - oder besser nach lokaler Notwendigkeit, so die Forscher.

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