Kreuzbandriss:Blitzheilung eines Kickers

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Perfekt in Form: Sami Khedira beim Spiel gegen Brasilien.

(Foto: AFP)

Sami Khedira spielte beim Sieg gegen Brasilien überragend - dabei war er gerade erst von einem Kreuzbandriss genesen. Die schnelle Heilung zeigt die Fortschritte der modernen Medizin.

Von Werner Bartens

Jetzt, nach dem Triumph, hört sich das so naheliegend an, fast zwangsläufig. Mit Willenskraft, Übungsfleiß und dem großen Ziel vor Augen schaffte es Sami Khedira in Rekordzeit aus dem Krankenstand ins WM-Finale. Eben noch nach einem Kreuzbandriss außer Gefecht gewesen, bestritt der 27-jährige Spieler von Real Madrid beim rauschhaften 7:1 gegen Brasilien eine überragende Partie. Gerade erst war der Mittelfeldstratege von einer schweren Verletzung am Knie genesen - am Dienstag trug er entscheidend dazu bei, den Rekordweltmeister im eigenen Land, nun ja: in die Knie zu zwingen.

Wunderheilung, ärztliches Geschick? Oder sind gar höhere Mächte im Spiel, wie sie sonst gerne die brasilianischen Gastgeber beanspruchen? Früher war ein Kreuzbandriss bei Profifußballern fast gleichbedeutend mit dem Karriereende. "Vor 20 Jahren lag die Messlatte für die Reha in der Öffentlichkeit bei zwölf Monaten, vor 15 Jahren bei neun Monaten, inzwischen sind es sechs Monate", sagt Ulrich Boenisch von der Hessingpark-Clinic in Augsburg. Er operierte Khedira nur zwölf Stunden nach dessen Kreuzbandriss, den er sich Mitte November 2013 im Testspiel gegen Italien zugezogen hatte.

"Diagnose und Therapie hat Kollege Müller-Wohlfahrt perfekt eingeleitet", erinnert sich Boenisch. "Zudem verlief die Reha ohne Verzögerung, es gab keine Komplikationen. Und Sami hat den Willen, ein perfektes Umfeld und volle Unterstützung vom DFB gehabt." Nachdem ein Teil der Patellasehne als Ersatz eingenäht worden war, musste die Wunde heilen und das Gewebe abschwellen. Nach sechs Wochen begann der Muskelaufbau und das, was Ärzte neuromuskuläre Ansteuerung nennen: Nervenbahnen verzweigen sich im neuen Band und die Rückkopplung der Position des Knies zum Gehirn muss wieder erlernt werden. "Nervenfasern schulen um. In dieser Zeit fühlt sich das Gelenk oft instabil an", sagt Boenisch.

In dieser Phase - etwa zwei bis vier Monate nach der Operation - sind die Bänder besonders verletzlich, weil auch Blutgefäße neu einsprießen. Wird das Knie zu früh belastet, drohen Rückschläge. Weil der Heilungsverlauf so empfindlich ist und oft andere Strukturen im Knie mitverletzt sind, dauert die Genesung bei jedem Profi unterschiedlich lange. Während Khedira nach knapp fünf Monaten wieder ins Training einstieg und auch die Rehabilitation von Philipp Lahm und Patrick Helmes sechs Monate nach ihrem Kreuzbandriss beendet war, brauchte die Verletzung von Jens Nowotny deutlich länger. Holger Badstuber ist nach weit mehr als einem Jahr gerade erst vollständig genesen.

"Angesichts der harten Fouls bei dieser WM fragt man sich sowieso, wie die Spieler das überstehen", sagt Martin Halle, Chef der Sportmedizin an der TU München. "Wer es so weit an die Spitze schafft, hat wohl besseres Heilfleisch." Operateuren wie Ulrich Boenisch wären trotzdem neun Monate Reha nach einem Kreuzbandriss lieber. "Wenn ich die Spiele sehe, habe ich immer noch Angst vor Rückfällen", sagt der Orthopäde. "Aber als Arzt hat man sowieso immer Angst." Ab Sonntag kann Boenisch sich entspannen. Nach dem hoffentlich erfolgreichen Finale haben Khedira und das Team Zeit zur Erholung - und die tut nicht nur strapazierten Kreuzbändern gut.

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