Krebs:Wenn Gentests in die Irre führen

Bei der Wahl der geeignetsten Krebstherapie orientieren sich Mediziner immer häufiger an den Ergebnissen von Genanalysen. Doch die Untersuchungen der Krebszellen greifen offenbar zu kurz.

Von Kathrin Zinkant

Mediziner wissen heute, dass Krebszellen eine ganze Reihe von genetischen Veränderungen in ihrem Erbgut sammeln. Manche dieser Veränderungen sind schon von Geburt an da, andere kommen im Laufe des Lebens und des Tumorwachstums hinzu - und viele von diesen Mutationen können Aufschluss über die bestmögliche Behandlung der Krankheit geben, etwa bei Lungen- oder Brustkrebs.

In der Klinik werden die Krebszellen eines Patienten deshalb immer öfter genetisch analysiert, bevor eine Entscheidung über die Therapie fällt. Früher nannte man das personalisierte Medizin, heute sagt man Präzisionsmedizin. Wie gut aber sind diese Tests am Tumor?

In der aktuellen Ausgabe von Science Translational Medicine zeigt nun eine Forschergruppe aus Baltimore, USA, dass selbst die ausführlichste der heute üblichen genetischen Analysen in der Charakterisierung des Krebses zu kurz greift: Das Team um Victor Velculescu von der Johns Hopkins University School of Medicine hat DNA-Proben von mehr als 800 Krebspatienten untersucht und dabei nicht nur die entarteten Zellen der Studienteilnehmer unter die Lupe genommen, sondern auch gesundes Gewebe der Betroffenen.

Die Ergebnisse bestätigten zunächst, dass die Erbgutanalysen bei Krebs durchaus einen erheblichen Nutzen für Patienten und ihre Ärzte haben. In drei Vierteln der untersuchten Tumore fanden sich genetische Veränderungen, für die bereits spezielle Therapien zugelassen sind - oder für die derzeit in Studien neue gezielte Behandlungen untersucht werden.

Die eigentlichen Überraschungen aber brachte der Vergleich von Krebserbgut mit der DNA aus gesunden Zellen der einzelnen Patienten. So konnten die Forscher zeigen, dass eine kleine Gruppe von Krebskranken von Geburt an eine Anlage für den jeweiligen Tumor besitzt, obwohl es in der Familie keine gehäuften oder überhaupt keine Krebserkrankungen gegeben hat.

Es reicht wohl nicht, bloß die Krebszellen anzusehen

Besonders wichtig ist den Forschern aber die - nach eigener Aussage völlig überraschende Erkenntnis -, dass es nicht reicht, sich bloß die Krebszellen anzusehen. "Die Sequenzierung des Tumors allein liefert fehlerhafte Informationen", sagt Victor Velculescu. Davon betroffen sind laut Studie auch Mutationen, die in "actionable genes" auftreten. So heißen Tumorgene, die mit einer speziellen Behandlung verbunden sind. So wird zum Beispiel schwarzer Hautkrebs mit einer Veränderung im sogenannten BRAF-Gen heute gezielt mit dem Proteinkinasehemmer Vemurafenib therapiert.

In vielen Fällen ist die Entscheidung für eine solche gezielte Behandlung goldrichtig. Doch nicht jede Mutation in einem bestimmten Gen muss entscheidend für die Krebserkrankung sein. In der aktuellen Studie zeigte sich über alle Krebsarten hinweg, dass zwei Drittel der Veränderungen in den Krebszellen genauso in den gesunden Zellen der Patienten zu finden, also gar nicht spezifisch für den Tumor sind. Und ein Teil dieser "falsch-positiven" Mutationen ist in "actionable genes" angesiedelt. "Solche Befunde könnten zu einer falschen Therapie führen", sagt Velculescu.

Die Wissenschaftler halten es deshalb für mehr als sinnvoll, neben der üblichen Tumorgenetik künftig eine Analyse von gesunden Zellen des betroffenen Patienten - etwa aus dem Speichel - zum Vergleich vorzunehmen, anstatt die Daten des Tumors nur mit der Datenbank abzugleichen.

Das wäre eine Kostenfrage, denn doppelte Analysen kosten doppeltes Geld. Zugleich sind einige der an der Studie beteiligten Forscher wegen laufender Patentverfahren und finanzieller Beteiligungen nicht unbefangen. Dennoch zeigen sich die Wissenschaftler überzeugt: "Wir alle wünschen uns die Präzisionsmedizin", sagt Velculescu. "Aber eine Botschaft unsere Arbeit ist, dass wir diese Präzisionsmedizin nicht ohne Präzisionsgenetik bekommen werden."

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