Krebsvorsorge beim Frauenarzt:Abstriche mit Abstrichen

Jährlich zum Krebsabstrich beim Frauenarzt? Das könnte bald vorbei sein. Die Reihenuntersuchung auf Gebärmutterhalskrebs soll reformiert werden. Doch Mediziner streiten über den Nutzen und werfen einander wirtschaftliche Interessen vor.

Von Christian Guht

Emotionale Streitereien gibt es im Bereich der Präventionsmedizin regelmäßig - man denke an die Debatten um den umstrittenen Wert der Früherkennung von Prostatakrebs oder das Mammografie-Screening. Der "Pap-Test" allerdings stellte bislang in dieser Welt unsteter und oft strittiger Lehrmeinungen eine wahre Konstante dar - und damit auch im Leben von deutschen Frauen jenseits der 20: Die können einmal im Jahr die Abstrichuntersuchung beim Frauenarzt in Anspruch nehmen. Der entnimmt dabei Zellen vom Gebärmutterhals, an denen sich Früh- und Vorstadien von Krebs feststellen lassen - Stadien, die üblicherweise wirksam und unkompliziert behandelt werden können.

Seit der Test, benannt nach dem griechischen Arzt George Papanicolaou, 1971 in der Bundesrepublik eingeführt wurde, soll die Rate entsprechender Neuerkrankungen und Todesfälle um mehr als 70 Prozent gesunken sein. Derzeit sterben in Deutschland pro Jahr etwa 1500 Frauen am Zervixkarzinom. Noch in den 1980er-Jahren waren es laut Robert-Koch-Institut mehr als doppelt so viele.

Doch das offensichtliche Erfolgskonzept soll korrigiert werden. "Studien zeigen, dass sich mit einem anderen Testverfahren, die Häufigkeit von Gebärmutterhalskrebs weiter senken lässt," sagt Peter Hillemanns, Direktor der Klinik für Frauenheilkunde an der Medizinischen Hochschule Hannover und Leiter der Kommission, die bis zum Herbst eine neue ärztliche Leitlinie zur Früherkennung des Zervixkarzinoms erstellen soll.

Die Rede ist von einem Nachweistest auf Papillomviren (HPV). Der Gedanke dahinter: Frauen ohne Virusbefall müssen nicht jährlich zur Untersuchung, wenn sie mittleren Alters sind und in einer stabilen Partnerschaft leben, denn die bösartigen Wucherungen am Muttermund entstehen bekanntermaßen durch sexuell übertragbare Erreger.

Ob und gegebenenfalls wie der Pap-Test durch den HPV-Nachweis ersetzt oder ergänzt werden sollte, möchte Hillemanns noch nicht sagen: "Dazu müssen wir erst alle Auswertungen abwarten", so der Gynäkologe. Doch immerhin scheint die Tendenz zum Wechsel innerhalb der Leitlinien-Kommission stark genug, um den Ärger jener zu provozieren, die am bewährten Modell der Früherkennung festhalten wollen.

Das sind vor allem Vertreter des Bundesverbands der Frauenärzte (BVF), die sich im Mai unter Protest aus der Expertenkommission zurückgezogen haben. "Hinter der Einführung des HPV-Tests stecken Industrieinteressen. Das bisherige, jährliche Screening ist eindeutig geeigneter und sollte bleiben", sagt BVF-Sprecherin Susanna Kramarz aus Berlin.

Nützt der Virennachweis, wenn die Infektion folgenlos bleibt?

Die Hauptargumente der HPV-Test-Gegner lauten: Der positive Virusnachweis sei wenig aussagekräftig, denn viele Frauen machen zwar eine Infektion durch, aber die bleibe meist folgenlos. Außerdem befürchten sie, dass bei größeren Untersuchungsintervallen mehr Krebsfälle auftreten. So sei etwa in Großbritannien, wo die Frauen nur alle drei bis fünf Jahre zum Screening gehen, die Krebsrate zuletzt angestiegen - vor allem unter jungen Frauen.

Befürworter des HPV-Tests verweisen hingegen auf eine Arbeit italienischer Epidemiologen, die im vergangenen Jahr im Fachblatt The Lancet erschienen ist. Die Studie zeigte, dass Reihenuntersuchungen auf HPV zu 60 Prozent besser vor späteren Krebserkrankungen schützen als das zytologische Screening per Pap-Test. Die Autoren hatten dazu die herkömmliche Zelluntersuchung mit verschiedenen "HPV-basierten" Methoden aus Italien, Schweden, England und den Niederlanden verglichen, wobei diese meist eine Zytologie beinhalteten, wenn der Virusnachweis positiv ausfiel.

"So eine Kombination scheint sinnvoll zu sein," sagt Matthias Wilhelm Beckmann, Direktor der Universitätsfrauenklinik in Erlangen. "Damit lassen sich Risikokandidatinnen, die engmaschig weiter getestet werden sollten, von jenen Frauen trennen, die nicht jedes Jahr zur Vorsorge müssen."

Auch die Ärztin und Gesundheitswissenschaftlerin Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg würde einen neuen Untersuchungsmodus favorisieren: "Die jährliche Untersuchung schadet, weil sie zu einer Übertherapie führt." Findet der Untersucher nämlich eine Krebsvorstufe, wird das Gewebe rausgeschnitten - ohne dass im konkreten Fall immer sicher ist, ob daraus auch wirklich Krebs entstanden wäre. Diese "Konisation" des Gebärmutterhalses kann aber später Geburtskomplikationen bewirken. Mühlhauser vermutet, dass häufige Untersuchungen auch die Anzahl solcher Kollateralschäden automatisch erhöhen.

Dass aber ausgerechnet der HPV-Test das Problem der Überdiagnostik und Übertherapie beheben könnte, glaubt Susanna Kramarz nicht: "Mehr als zehn Prozent aller Frauen werden positiv auf HPV getestet und nur wenige davon bekommen tatsächlich Krebs. Mit dem Test würden Millionen Frauen ohne Grund in Alarmbereitschaft versetzt."

Die Kontroverse hat aber nicht nur medizinische Dimensionen. Anders als in vielen anderen europäischen Ländern, gibt es in Deutschland kein organisiertes Früherkennungsprogramm auf Gebärmutterhalskrebs, sondern die Untersuchung ist ein Angebot des niedergelassenen Frauenarztes, für das die Kassen einmal im Jahr aufkommen. Dieser "opportunistische" Modus soll stärker strukturiert werden.

Interessenkonflikte bei den Beteiligten

Das im letzten Jahr verabschiedete Krebsfrüherkennungs- und -registriergesetz (KFRG) verlangt, die Untersuchung bis 2016 nach EU-Leitlinien neu zu regeln und zu organisieren, was bedeutet, dass neben Qualitätssicherung und einem Einladungsverfahren die "Anpassung des Screeningintervalls" entwickelt werden soll. Aktuell prüft der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) geeignete Maßnahmen, das umzusetzen - beispielsweise per HPV-Test.

Die geplante Reform stellt somit weniger den Pap-Test infrage, als das "freie", weil nicht vorhandene Screening-Programm. "Viele Frauenärzte haben natürlich ein wirtschaftliches Interesse daran, dass alles so bleibt", ist Ingrid Mühlhauser überzeugt.

Der Vorwurf "massiver Industrieinteressen" trifft aber auch die Leitlinien-Kommission. "Herr Hillemanns pflegt Beziehungen zu den Herstellern von HPV-Tests, denen an einer flächendeckenden Einführung natürlich sehr liegt", sagt BVF-Sprecherin Susanna Kramarz. Tatsächlich ist die Liste des Bezichtigten über entsprechende Industriekontakte in Form von Beratertätigkeiten, bezahlter Autorenschaft und Drittmittelbezügen nicht eben kurz.

Hillemanns weist die Anschuldigung gleichwohl als "verwegen" zurück: Er habe seit der Leitlinienarbeit jede Beratertätigkeit eingestellt. Alles sei transparent. Alle Bewertungen würden von externen Instituten vorgenommen.

Ob die Patientinnen etwas vom neuen Test haben, konnten genaue Analysen nicht klären

"Die Kritik kommt vor allem von Kollegen, die vom bisherigen System wirtschaftlich abhängen, weil sie als Niedergelassene die jährliche Untersuchung abrechnen oder sogar einschlägige Labore führen", kontert Peter Hillemanns. Letztendlich würde aber sowieso der G-BA entscheiden, wie in Deutschland zukünftig getestet wird. "Der legt fest, was die Kassen übernehmen."

Letzten Oktober hatte der G-BA das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) damit beauftragt, den Nutzen des HPV-Tests anhand der aktuellen Studienlage zu ermitteln. Im Mai erschien ein etwas unscharfes Urteil: Zwar sei die Identifikationsrate und damit auch der Vorsorgeeffekt HPV-basierter Tests besser als mit dem Pap-Test allein. Doch ob dieser Vorteil auch "patientenrelevant" sei, würden die Daten nicht zeigen: Unklar bliebe, ob der Einsatz des HPV-Tests auch tatsächlich die Wahrscheinlichkeit senke, an einem Zervixkarzinom zu sterben und ob seine höhere Aufklärungsrate nicht durch mehr Nebenwirkungen erkauft werde. Die Diskussion bleibt also auf jeden Fall spannend - und emotional.

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