Krebsrisiko durch Wurst:Das Fleisch ist schwach

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Die WHO hat verarbeitetes Fleisch, wie es in Wurst vorkommt, als krebserregend eingestuft. (Foto: Bloomberg)

Wieviel Wurst, wieviel Schinken darf man noch essen, ohne Krebs zu riskieren? Trotz ihrer Warnung, weiß das auch die WHO nicht. Das verunsichert und ist unverantwortlich.

Ein Kommentar von Kathrin Zinkant

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat eine ideologisch gefärbte Debatte angezettelt. Das wird ihr zu Recht vorgeworfen. Im Kern ist ihre Warnung, verarbeitetes Fleisch - Schinken, Wurst - erhöhe das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, nur eines: unverantwortlich. Denn wer warnt, der muss auch sagen können, was zu tun ist. Und genau das kann weder die WHO - noch sonst jemand.

Gewiss, es gibt die Zahlen, Studien, Hinweise. Doch die Effekte sind schwach ausgeprägt, und aus gutem Grund hätte niemand erwartet, dass das Grundnahrungsmittel Fleisch deshalb zum krebserregenden Gift umdeklariert wird. Fleisch- und Wursthersteller fürchten nun um ihren Absatz, die Kunden sind verunsichert, verlangen nach Orientierung.

Das Krebsforschungsgremium der WHO, die IARC, hat mit seiner Wertung aber mehr Fragen aufgeworfen, als es beantworten kann. Ist Salami nun so gefährlich wie Tabak, da sie in die gleiche Schublade gesteckt wird? Gibt es einen "ungefährlichen Wurstkonsum"? Soll man auf Fleisch also besser ganz verzichten? Nein. Ja. Natürlich nicht!

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Ob als Braten oder Wurst: Rotes Fleisch kann Krebs auslösen. Das bestätigt jetzt das zuständige Gremium der Weltgesundheitsorganisation. Was heißt das genau?

Von Kathrin Zinkant

Wird Wurstessen jetzt das neue Rauchen?

Bereits am Montag hat die IARC betont, rotes Fleisch sei ein wertvolles Lebensmittel, reich an Eisen, Spurenelementen, Vitaminen und essenziellen Aminosäuren. Also irgendwie doch gesund. Bis zu 50 Gramm Fleisch am Tag gelten deshalb schon lange als akzeptabel. Die IARC hat zudem unterstrichen, dass die krebserregende Wirkung des Fleisches abhängig von der Menge sei. Was etwas überraschend ist, denn erst vor wenigen Monaten hatte ein Mitglied des Gremiums das Gegenteil gesagt: Krebserregende Stoffe entfalteten ihre Wirkung unabhängig von der Dosis.

Fleisch und Wurst scheinen also eine Besonderheit zu sein, denn hier wirkt angeblich die Dosis. 50 Gramm Wurst oder 100 Gramm rotes Fleisch am Tag sollen das Darmkrebsrisiko um knapp 18 Prozent steigern. Mit größeren Portionen wächst auch das Risiko. Was aber bedeutet das in absoluten Zahlen?

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Rotes Fleisch kann Krebs auslösen, warnt die Weltgesundheitsorganisation. Wieder einmal werden uns die gefährlichen Folgen von Massenproduktion ins Gedächtnis gerufen. Wie stehen Sie persönlich zum Fleischverzehr?

Das Lebenszeitrisiko eines Erwachsenen, an Darmkrebs zu erkranken - nicht: zu sterben - beträgt sechs Prozent. 50 Gramm Salami, jeden Tag, ein Leben lang, erhöhen das Risiko einer Darmkrebserkrankung tatsächlich nur von sechs auf sieben Prozent. Zum Vergleich: Rauchen hebt das Lebenszeitrisiko für Lungenkrebs von ein auf 15 Prozent.

Wurst zu essen ist deshalb ganz bestimmt nicht das neue Rauchen. Aber der Stachel sitzt, denn die meisten Menschen essen auch heute noch Fleisch. Und wieder einmal sind sie auf sich gestellt und warten vergeblich auf Antworten. Ist ein Wienerle gefährlicher als ein Stück Schwarzgeräuchertes? Schinkenspeck schlimmer als Serranoschinken? Man weiß es schlicht nicht. Gibt es dann wenigstens eine Erklärung, was genau am Fleisch Tumore im Darm provoziert? Auch das leider nicht. Es gibt nur Hypothesen. Die einen machen den roten Blutfarbstoff verantwortlich. Andere halten sogenanntes Carnitin für schuldig. Und der Nobelpreisträger Harald zur Hausen verdächtigt Viren im rohen Rindfleisch und rät, Fleisch durchzugaren. Aber warum sollte dann gerade verarbeitetes Fleisch, das schon gegart ist, Krebs auslösen?

Es bleibt nebulös. Und damit unverantwortlich. Denn was die Politik in dieser Verwirrung nun mit dem Fleischfanal anstellt, bleibt ihr selbst überlassen. Kein Land muss handeln, wenn die IARC spricht. Die Verbraucher aber werden etwas erwarten, das wissen die deutschen Minister. Und die Fleischindustrie weiß es auch. Der Druck auf die Branche wächst, gerade mit Blick auf die vielen Skandale, die sich seit den Neunzigern angesammelt haben. Zuerst BSE, dann die Antibiotika, von denen weit mehr als eine Million Kilogramm pro Jahr an die Tiere verabreicht werden; weiter mit den resistenten Erregern, die dank der Medikamente auf dem Massenfleisch siedeln. Bis hin zu Fleischfälschungen, vergammelten Dönern und nicht zuletzt den erschreckenden Bildern aus Ställen, in denen der Begriff des Tierwohls gar nicht existiert. Kleine Warnhinweise, die auf einen moderaten Fleischverzehr dringen, werden hier nicht reichen.

Die Veränderungen müssen tiefer greifen. Vielleicht hilft dabei die Erkenntnis, dass es sich mit Fleisch nicht anders verhält als mit anderen umstrittenen Lebensmitteln. Vieles, was in Massen produziert und in großen Mengen verzehrt wird, macht krank. Zucker, Fett, selbst Vitamine. Fleisch ist da keine Ausnahme. Aber wo Massen produziert werden, wird auch in Massen konsumiert. Hier müsste die Politik ansetzen, Anreize schaffen für mehr Qualität, Nachhaltigkeit, das richtige Maß. Eigentlich ist das eine Binsenweisheit. Nur verstanden ist sie nicht.

© SZ vom 28.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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