Krebsimfpung:Sollten sich Jungs gegen Gebärmutterhalskrebs-Viren impfen lassen?

Lesezeit: 4 Min.

Sollten Jungs gegen HPV geimpft werden? (Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Mediziner debattieren, ob der bislang für Mädchen empfohlene Schutz vor HPV auch jugendlichen Männern angeboten werden soll. Die Idee ist extrem umstritten.

Von Felix Hütten

Eine Impfung gegen die Gebärmutterhals-Krebs auslösenden Humanen Papillomviren (HPV) soll Frauen vor schwerer Krankheit schützen. Jetzt fordern Wissenschaftler, die Impfung nicht nur Mädchen vor dem ersten Geschlechtsverkehr anzubieten, sondern auch für Jungs vorzusehen. Das mag abwegig klingen - schließlich hat ein Mann keine Gebärmutter.

Doch Studien weisen darauf hin, dass die sogenannten Humanen Papillomviren nicht nur die Gebärmutter befallen, sondern auch Anal-, Mund-Rachen-Krebs sowie Genitalwarzen verursachen. Bei Frauen wie auch bei Männern. Zudem wären geimpfte, nicht infizierte Männer keine Überträger mehr. Ist es also angebracht, auch Männer gegen HPV zu impfen?

Bislang übernehmen die Krankenkassen die Kosten der Impfung nur für Frauen. Das könnte sich ändern, sollte die Ständige Impfkommission (Stiko) dem Ratschluss der US-Gesundheitsbehörde CDC folgen. Diese rät Eltern dringend dazu, auch Jungs noch vor dem ersten Sex impfen zu lassen.

Immer mehr Oralsex

Die amerikanische Behörde beruft sich auf eine Studie, die den Zusammenhang von Mund-Rachen-Krebs und HPV untersucht hat. Forscher haben darin berechnet, dass in den USA die Häufigkeit dieser Krebsart - ausgelöst von HPV - die Zahl der Gebärmutterhalskrebs-Fälle bis zum Jahr 2020 sogar übersteigen könnte. Als Ursache vermuten die Wissenschaftler die Zunahme von Oralsex. Beim Schleimhautkontakt werden Viren übertragen, die im Mund Krebs auslösen können. Es seien also keineswegs nur Frauen gefährdet.

Bislang sind die Gesundheitsbehörden vieler Länder, auch in Deutschland, davon ausgegangen, dass das Virus aufgehalten werden kann, wenn allein Mädchen geimpft werden. Je mehr Frauen geschützt sind, desto seltener könnte das Virus beim Sex übertragen werden, so die Logik. Die WHO schätzt, dass weltweit jährlich etwa 266 000 Frauen an einem sogenannten Zervix-Karzinom sterben.

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Doch der Plan funktioniert nicht. Wissenschaftler vermuten, dass in Deutschland nicht mehr als 40 Prozent der Mädchen gegen HPV geimpft sind. Für einen flächendeckenden Schutz könnte das zu wenig sein - das Virus kann sich daher weiter ausbreiten. Jetzt fordern Experten, dass auch Jungen den Pieks bekommen.

Es regt sich Widerstand gegen die HPV-Impfung für Jungs

"Ich erhoffe mir von der Impfung von Jungs einen indirekten Effekt für die Gesundheit von Frauen", sagt Kinderarzt Ulrich Heininger vom Universitäts-Kinderspital Basel, der Mitglied der Ständigen Impfkommission ist. Zudem profitieren schwule Männer nicht vom Impfschutz der Frau. Vielen Männern, die gleichgeschlechtlichen Sex praktizieren, sei das Risiko einer HPV-Infektion nicht bewusst. Eine Impfempfehlung könnte das ändern.

Doch es regt sich auch Widerstand. Unter Ärzten und Wissenschaftlern ist umstritten, wie gefährlich HPV für Männer tatsächlich ist. Die Zahl der durch HPV ausgelösten Tumore bei Männern ist in Deutschland nach wie vor überschaubar. Laut Schätzungen der Impfkommission erkranken 1500 Männer pro Jahr an einem von HPV ausgelösten Krebs.

Hinzu kommt, dass noch nicht einmal die Impfung der Frauen unumstritten ist. Zwar ist belegt, dass Humane Papillomviren an der Gebärmutter Schaden anrichten - ob eine breit angelegte Impfkampagne aber das richtige Mittel gegen die Erreger ist, sehen manche Ärzte kritisch. Die bisher zugelassenen Impfstoffe wirken lediglich gegen die Hochrisikotypen des in vielen Formen auftretenden Virus.

Kritiker bemängeln, die Impfung decke nicht alle Virustypen ab und schalte nur einzelne, wenngleich die gefährlichsten Typen aus. Was aber, wenn dadurch anderen, bislang als weniger bedenklich angesehenen HPV-Varianten der Weg geebnet wird? Auch gibt es Streit um die Frage, ob die Zahl der Krankheitsfälle eine flächendeckende Impfung für Mädchen und Jungs rechtfertigt.

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Günther Egidi, Allgemeinarzt und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin, sorgt sich um die hohen Kosten einer Impfempfehlung für Jungs: "Wir wissen nicht, ob die Impfung wirklich nutzt, die Krankenkassen sollen aber Hunderttausende Euro dafür raushauen." Ein vollständiger Impfschutz kostet derzeit etwa 460 Euro. Man müsse sich daher grundsätzlich fragen, so der Mediziner, für welche Leistungen eine Gesellschaft im Gesundheitswesen Geld ausgeben will.

Eine Studie aus Australien zeigt: Krebsvorstufen sind seit Beginn der Impfungen zurückgegangen

Es gibt derzeit keine Zahlen, die eindeutig belegen, ob die Impfung erfolgreich ist. Das Problem ist eine Datenlücke: Anders als bei anderen Viren liegen oft Jahre zwischen der Infektion mit dem HP-Erreger und einem Krankheitsausbruch. Ob eine heute geimpfte junge Frau in 20 Jahren tatsächlich von einem Tumor verschont bleibt, können erst langfristige Studien belegen.

Allerdings zeigt eine Untersuchung aus Australien, dass Krebsvorstufen bei jungen Frauen seit Beginn einer umfassenden Impfkampagne zurückgegangen sind. Auch ist die Zahl der Todesfälle durch Gebärmutterhalstumore in Deutschland laut Krebsregister in den vergangenen dreißig Jahren um die Hälfte gesunken. Heute sterben jedes Jahr in Deutschland etwa 1600 Frauen an der Krebsart.

Der Grund für den erfreulichen Rückgang der Todesfälle könnten aber nicht nur Impfungen sein, sondern auch Vorsorgeuntersuchungen und eine konsequentere Verhütung mit Kondomen. Genau hier sieht Allgemeinarzt Günther Egidi eine Gefahr: "Ich höre in meiner Praxis von vielen jungen Frauen, dass sie nicht mehr zur Vorsorge gehen oder auf Kondome verzichten, weil sie ja geimpft seien."

Eine Impfung für Männer ist schon heute möglich

Der Irrglaube, eine Impfung biete vollständigen Schutz, könnte durch eine Kampagne für die Impfung von Jungen weiter zunehmen, befürchtet Egidi. Auch die Ständige Impfkommission rät geimpften Frauen weiterhin zu Vorsorgeuntersuchungen.

Um eine Impfempfehlung für Jungs auszusprechen, müssten die Experten der Impfkommission zunächst Argumente anhören und zahlreiche Studien auswerten. Eine Entscheidung kann Monate dauern. Eine Impfung für Männer ist allerdings schon heute möglich - auch ohne Empfehlung der Impfkommission.

Für Jungen ab neun Jahren ist ein Impfstoff in Deutschland zugelassen. Bereits heute entscheiden sich manche Eltern für eine Impfung ihrer Söhne. Ihr Argument: Besser ein schlechter Schutz als gar kein Schutz.

© SZ vom 30.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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