Früher erkennen, schneller behandeln, länger leben. Das ist das Mantra jener, die Programme zur Früherkennung von Krebs befürworten. Wenn es so einfach wäre, müssten Ärzte wie Medien das Screening auf bösartige Tumore lautstark propagieren. Doch wie so oft in der Medizin, liegen die Tücken im Detail. Das zeigt auch eine Bilanz des Hautkrebs-Screenings, die das Deutsche Ärzteblatt Ende dieser Woche veröffentlicht. Demnach wurde in den sieben Jahren seit Beginn des Screenings zwar deutlich häufiger Hautkrebs diagnostiziert. Die Sterblichkeit an dem Tumor ist jedoch in dieser Zeit nicht zurückgegangen.
Im Juli 2008 wurde das Hautkrebs-Screening bundesweit eingeführt - ohne dass Politik, Ärzte und Wissenschaft seinerzeit belegen konnten, dass die Menschen einen Nutzen davon haben würden. Fortan hatten gesetzlich Versicherte ab dem 35. Lebensjahr Anspruch auf eine "visuelle Ganzkörperuntersuchung der Haut". Auf diese Weise sollten bösartige Veränderungen früh erkannt und einer Therapie zugeführt werden. Hautkrebs tritt hauptsächlich in drei Formen auf: Am malignen Melanom ("schwarzer Hautkrebs") erkranken jedes Jahr in Deutschland etwa 20 000 Menschen; der Tumor führt zu den meisten Todesfällen. Ein Plattenepithelkarzinom wird jährlich bei 37 000, ein Basalzellkarzinom ("Basaliom") bei 200 000 Menschen entdeckt.
Die aktuelle Auswertung beschränkt sich auf den besonders gefährlichen schwarzen Hautkrebs und zeigt, dass im Rahmen der Früherkennung zwar 28 Prozent mehr Tumore entdeckt wurden. Die Sterblichkeit am malignen Melanom ging jedoch nicht zurück. Die frühere und häufigere Diagnose führt also offenbar nicht dazu, dass weniger Menschen sterben. Vermutlich werden längst nicht alle schweren Fälle erkannt und dafür harmlose Tumore entdeckt, die auch ohne Behandlung nicht zu Beschwerden geführt hätten.
Wer wie sorgfältig untersucht wird, bleibt dem Zufall überlassen
"Wie effektiv das Hautkrebs-Screening ist, kann aus dem Programm nicht interpretiert werden", sagt Alexander Katalinic, der mit seinem Team vom Institut für Epidemiologie der Universität Lübeck die Daten ausgewertet hat. "Es ist traurig, dass wir nach all den Jahren nicht mehr wissen als vorher." Besonders irritierend ist, dass trotz der dürftigen Beweislage zu wenig auf die Qualität der Früherkennung geachtet und auf eine Evaluation verzichtet wurde.
Das Screening weist etliche Geburtsfehler auf, offenbar pochten weder Krankenkassen noch Kassenärztliche Bundesvereinigung auf Verbesserungen. Es gibt kein Einladungssystem, keine Qualitätskontrolle und keine Dokumentation der Fehlalarme und übersehenen Tumore. "Wir bieten ein unsystematisches Screening an, bei dem es dem Zufall überlassen ist, wer untersucht wird und wie sorgfältig", bemängelt Katalinic. "Wir wissen nicht mal, ob genug Menschen kommen und ob es die richtigen sind, das heißt jene, die erhöhte Risiken haben." Bei Kosten von 131 Millionen Euro jährlich sei rätselhaft, warum nicht 0,5 Prozent davon für die Qualitätskontrolle ausgegeben wurden.
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Matthias Augustin, Direktor des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie am Uniklinikum Hamburg, sieht die Schwächen ebenfalls. "Trotzdem strahlt es auf das Verhalten der Menschen aus, wenn sie untersucht werden", sagt der Hautarzt. "Sie sind dann vermutlich wachsamer und weniger in der Sonne." Hautkrebs sei schließlich der einzige Tumor, bei dem zu 95 Prozent die Ursache klar sei, nämlich ein Übermaß an UV-Belastung. "Das heißt, man kann den Krebs vermeiden", so Augustin. Zudem würden Operationen kleiner ausfallen, wenn ein Tumor zeitig genug entdeckt werde.
Hausärzte müssen bessere Schulungen erhalten
Katalinic empfiehlt Patienten, "wenigstens darauf zu achten, dass sie wirklich von Kopf bis Fuß untersucht werden - wir wissen ja nicht, was in den Praxen gemacht wird". Dermatologe Augustin weiß aus Studien, dass die Hausärzte, die fast 60 Prozent des Screenings im Rahmen allgemeiner Check-ups übernehmen, häufiger Krebs übersehen und öfter Fehlalarme auslösen als die Hautärzte, die gut 40 Prozent der Screenings durchführen. Einmal acht Stunden Fortbildung sind für Ärzte, die keine Dermatologen sind, vermutlich nicht ausreichend, um zuverlässig Diagnosen zu stellen.
Bisher haben seit 2008 etwa 30 Prozent der Bevölkerung am Hautkrebs-Screening teilgenommen. Angesichts der mangelhaften Daten fordert Hermann Brenner vom Krebsforschungszentrum in Heidelberg im Deutschen Ärzteblatt, "die Fortsetzung des Hautkrebs-Screenings in der derzeitigen Form zumindest kritisch zu hinterfragen". Katalinic ist zwar dafür, weiterzumachen, aber mit besserer Qualität, wozu neben der Evaluation auch gehört, dass die Fortbildung der Ärzte aufgefrischt und das Screening mehr auf Risikogruppen wie ältere Männer und Menschen mit starker Sonnenexposition ausgerichtet wird. "Bisher gilt, dass man das Screening mit weniger Mitteln viel effektiver hätte machen können."