Krebs:Später Preis des Rauchens

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Erstmals werden in diesem Jahr mehr Europäerinnen an Lungenkrebs sterben als an Brustkrebs. Nun rächt sich, dass die Frauen im Zuge der 68er-Bewegung verstärkt mit dem Rauchen anfingen.

Von Werner Bartens

Der Führungswechsel kommt überraschend. Erstmals wird der Anteil der Frauen, die 2015 in Europa an Lungenkrebs sterben, größer sein als jener der Todesfälle durch Brustkrebs. Zu diesem Ergebnis kommen Mediziner aus Italien und der Schweiz, die Datenbanken der Weltgesundheitsorganisation WHO ausgewertet und die Entwicklung seit 2009 analysiert haben. Im Fachmagazin Annals of Oncology (online) stellen sie ihre Daten vor.

Das Forscherteam aus Mailand und Lausanne um Carlo La Vecchia hat die Daten zu Krebserkrankungen und -todesfällen aus 28 EU-Ländern analysiert und dabei einen besonderen Schwerpunkt auf die einwohnerreichsten Nationen Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Spanien und Polen gelegt. Den Berechnungen der Wissenschaftler zufolge ist 2015 im EU-Raum mit etwa 1,36 Millionen Krebstoten zu rechnen, davon 766 000 Männer und 594 000 Frauen.

Trotz dieser hohen Zahlen sind das im Vergleich zum Jahr 2009 immerhin 7,5 Prozent weniger Männer und 6,1 Prozent weniger Frauen, die einem Tumor zum Opfer fallen werden. "Wir müssen vorsichtig sein, das sind zwar erst noch Vorhersagen", sagt La Vecchia. "Andererseits haben sich aus den Projektionen der Langzeittrends bisher immer recht zuverlässige Prognosen erstellen lassen."

Während der Anteil nahezu aller Tumore an den Todesursachen zurückgegangen ist, gibt es einen Anstieg beim Lungenkrebs der Frauen. Neun Prozent mehr als 2009 werden 2015 vermutlich einem Bronchial-Karzinom zum Opfer fallen. Das entspricht umgerechnet 14,24 Frauen auf 100 000 Einwohner. Der Anteil der Frauen, die an Brustkrebs sterben werden, ist hingegen um 10,2 Prozent zurückgegangen und läge damit ganz knapp dahinter.

Diese Entwicklung geht vor allem auf das veränderte Rauchverhalten der Frauen im 20. Jahrhundert zurück, vermuten die Mediziner. Besonders im Zuge der politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen 1968 hätten in den Folgejahren mehr Frauen angefangen zu rauchen.

Jahrzehnte später schlägt sich dies in den Statistiken zu diversen Erkrankungen nieder. Zwei Länder führen in der unrühmlichen Statistik. "Die Frauen in Polen aber besonders jene in Großbritannien leiden schon seit längerem häufiger unter Lungenkrebs und haben einen größeren Anteil an entsprechenden Todesfällen zu beklagen", sagt La Vecchia. "Die Britinnen haben schon im Zweiten Weltkrieg vermehrt angefangen zu rauchen, in den anderen EU-Ländern ging das erst später los."

Die Unterschiede sind beeindruckend. Während in Großbritannien 21 Frauen pro 100 000 Einwohner an Lungenkrebs sterben und in Polen 17 von 100 000, ist der Anteil in Spanien mit acht von 100 000 weniger als halb so groß. "Dass die Tendenz bei fast allen Tumorarten nach unten geht, ist eine gute Nachricht", sagt Fabio Levi, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. "Aber Rauchen bleibt immer noch der Hauptgrund für Krebs in der EU und verursacht schätzungsweise 85 bis 90 Prozent aller Lungentumore, 15 bis 25 Prozent aller Fälle von Pankreas-Krebs und ist an etlichen anderen Tumorarten beteiligt."

Bösartige Neubildungen der Bauchspeicheldrüse sind neben Lungenkrebs bei Frauen denn auch die einzigen Tumore, deren Anteil an den Todesursachen in Europa zunimmt. Ärzte wissen, dass Tabakkonsum, Alkoholmissbrauch, starkes Übergewicht, Diabetes und eine familiäre Belastung das Krebsrisiko erhöhen können, doch diese Ursachen zusammen erklären nur 40 Prozent der Pankreas-Tumore. "Hier besteht noch dringender Forschungsbedarf", sagt der Epidemiologe Paolo Boffetta aus New York.

© SZ vom 27.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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