Süddeutsche Zeitung

Krankenversicherung:Zwei Klassen beim Arzt

Kassenpatienten warten deutlich länger auf eine Behandlung als Privatversicherte, zeigt eine Umfrage der Grünen. Auch die neuen Termin-Vermittlungsstellen lösen das Problem nicht.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Wer gesetzlich krankenversichert ist, kennt das. Anruf beim Facharzt. Die Assistentin fragt: "Wie sind Sie versichert? Gesetzlich oder privat?" Bei einem Kassenpatienten kann die Antwort dann lauten: Wir haben erst in sechs Wochen oder drei Monaten einen Termin frei. Aber sind solche Geschichten überhaupt repräsentativ?

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, ließ Anrufer je zwei Mal in mehr als 400 Facharztpraxen in Nordrhein-Westfalen (NRW) in kurzen Abständen hintereinander nach einem Termin fragen. Einmal gaben sich die Anrufer als Kassenpatient, einmal als Privatpatient aus. Die Ergebnisse: Im Durchschnitt mussten Kassenpatienten 27 Tage länger auf einen Termin warten, bei ihnen dauerte es 36 Tage bis zum Termin, bei Privatversicherten nur neun Tage. 60 Prozent der Privatversicherten haben einen Termin binnen fünf Tagen vorgeschlagen bekommen. Aber immerhin fast ein Drittel der Praxen machte bei der Vergabe keine oder kaum Unterschiede.

Der Termin darf nicht später als vier Wochen nach dem Anruf liegen

Ähnliche Befragungen gab es in den vergangenen vier Jahren in acht Bundesländern. Im Durchschnitt mussten demnach gesetzlich Versicherte etwa drei Wochen länger auf den Termin beim Facharzt warten. Aus Sicht der Mediziner ist das verständlich, schließlich verdienen sie mit Privatpatienten deutlich mehr Geld.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) spricht allerdings von einer nicht aussagekräftigen "Pseudo-Telefonbefragung der Grünen". Der KBV-Sprecher verweist auf eigene Befragungen von mehr als 6000 Versicherten. Diese zeigten, dass die "Zufriedenheitswerte" bei den Wartezeiten hoch seien. Bei diesen Befragungen wurden aber auch Hausärzte einbezogen und Wartezeiten mitgezählt, bei denen der Patient einfach in die Sprechstunde ohne Termin gegangen ist.

Die neuen Servicestellen für schnelle Termine haben jedenfalls an möglichen langen Wartezeiten nicht viel geändert. Seit Anfang 2016 können sich gesetzlich Versicherte bei den Terminservicestellen der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung innerhalb einer Woche einen Termin beim Facharzt (nicht Augen- und Frauenarzt) verschaffen lassen, sofern sie eine Überweisung haben. Der Termin darf nicht später als vier Wochen nach dem Anruf liegen. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) wollte so monatelange Wartezeiten verhindern. Das neue Angebot wird jedoch wenig genutzt: 2016 wurden so laut KBV bundesweit weniger als 120 000 Termine vergeben - bei 580 Millionen ambulanten Behandlungen.

Für den AOK-Bundesverband ist deshalb klar: In der nächsten Wahlperiode sei zu prüfen, ob sich mit den Terminservicestellen und den Angeboten der Kassen, beim Vereinbaren von Facharztterminen zu helfen, die Ungleichbehandlung eindämmen lässt. "Falls nicht, muss die Politik nacharbeiten", sagt der AOK-Sprecher.

Auch die Krankenkasse DAK-Gesundheit hält unterschiedliche Wartezeiten je nach Versicherungsart für nicht akzeptabel, vor allem bei Erkrankungen, die sofort behandelt werden müssen. "Notfälle müssen sofort angenommen werden", sagt ein DAK-Sprecher. Bei dem Test in NRW fragte das Personal in den meisten Praxen aber gar nicht erst nach, wie dringlich der Terminwunsch sei.

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Quelle:
SZ vom 11.05.2017
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