Gesundheitswesen:Studie schlägt vor, mehr als jedes zweite Krankenhaus zu schließen

  • Für eine grundlegende Neuordnung der Krankenhauslandschaft spricht sich die Bertelsmann-Stiftung aus.
  • Eine starke Verringerung der Klinikanzahl - von aktuell knapp 1400 auf deutlich unter 600 Häuser - könne die Versorgungsqualität für Patienten verbessern und zudem bestehende Engpässe bei Ärzten und Pflegepersonal mildern.
  • Patientenschützer und Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) kritisieren die Studie scharf. Sie sehen die medizinische Grundversorgung im ländlichen Raum in Gefahr. Das Bundesgesundheitsministerium reagiert zurückhaltend.

Mehr als jedes zweite Krankenhaus in Deutschland sollte nach Ansicht einer Studie geschlossen werden, damit die Versorgung der Patienten verbessert werden kann. Von den derzeit knapp 1400 Krankenhäusern sollten nur deutlich weniger als 600 größere und bessere Kliniken erhalten bleiben, heißt es in einer am Montag veröffentlichten Untersuchung des Thinktanks Bertelsmann-Stiftung. Sie könnten dann mehr Personal und eine bessere Ausstattung erhalten. "Nur Kliniken mit größeren Fachabteilungen und mehr Patienten haben genügend Erfahrung für eine sichere Behandlung", betonen die Autoren der Studie.

Viele Komplikationen und Todesfälle ließen sich durch eine Bündelung von Ärzten und Pflegepersonal sowie Geräten in weniger Krankenhäusern vermeiden. Kleine Kliniken verfügten dagegen häufig nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung, um lebensbedrohliche Notfälle wie einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall angemessen behandeln zu können.

Stiftungsvorstand Brigitte Mohn packt dabei ein heißes Eisen an: das von Krankenkassen und Politik verfolgte Ziel, dass jeder Bundesbürger innerhalb von 30 Minuten ein Krankenhaus der Grundversorgung erreichen können müsste. "Eine vordringliche Orientierung an Fahrzeiten ginge in die falsche Richtung", betont Mohn. "Wenn ein Schlaganfallpatient die nächstgelegene Klinik nach 30 Minuten erreicht, dort aber keinen entsprechend qualifizierten Arzt und nicht die medizinisch notwendige Fachabteilung vorfindet, wäre er sicher lieber ein paar Minuten länger zu einer gut ausgestatteten Klinik gefahren worden."

Durch eine Reduzierung auf weniger und eher größere Kliniken könnten in jeder von ihnen Facharztstellen rund um die Uhr besetzt werden. Auch Computertomografen und andere wichtige Geräte könnten dann in allen Kliniken bereitstehen. Vor allem die Qualität der Notfallversorgung und von planbaren Operationen lasse sich so verbessern. Auch der Mangel an Pflegekräften könne so gemindert werden. "Es gibt zu wenig medizinisches Personal, um die Klinikzahl aufrechtzuerhalten", schreibt Bertelsmann-Projektleiter Jan Böcken.

Das Bundesgesundheitsministerium hat zurückhaltend auf die Bertelsmann-Studie reagiert. "Wir haben diese Studie zur Kenntnis genommen und schauen uns die genauer an", sagte eine Sprecherin des Ministeriums in Berlin. Sie verwies darauf, dass für die Krankenhausplanung die einzelnen Bundesländer verantwortlich seien. Diese müssten eine "bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung" sicherstellen. Grundsätzlich habe Deutschland im internationalen Vergleich überdurchschnittlich viele Krankenhausbetten und Kliniken. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte kürzlich betont: "Ein Krankenhaus vor Ort ist für viele Bürger ein Stück Heimat." Gerade in gesundheitlichen Notlagen brauche es eine schnell erreichbare Versorgung.

In der Bertelsmann-Studie heißt es dagegen, die schnelle Erreichbarkeit eines kleinen Krankenhauses sei nur ein vermeintlicher Vorteil. Wenn dort kein Facharzt verfügbar sei, habe die Klinik einen gravierenden Qualitätsnachteil. Eine Fallstudie für die Region Köln/Leverkusen und den angrenzenden ländlichen Raum habe gezeigt, dass Patienten dort bei einer Verringerung der Zahl der Kliniken von 38 auf 14 im Durchschnitt keine viel längeren Fahrzeiten in Kauf nehmen müssten.

Die finanzielle Lage vieler Krankenhäuser in Deutschland ist prekär. Nach jüngsten Zahlen der Deutschen Krankenhausgesellschaft hat jede dritte Klinik 2017 rote Zahlen geschrieben. Die sogenannten Rationalisierungsreserven seien mittlerweile ausgeschöpft, hatte die Krankenhausgesellschaft erklärt. Krankenhäuser in ländlichen Regionen erhalten von den Krankenkassen künftig extra Geld. Vorgesehen sind im kommenden Jahr Finanzspritzen für 120 Kliniken von jeweils 400 000 Euro und damit insgesamt 48 Millionen Euro.

Die Autoren der Bertelsmann-Studie schlagen einen zweistufigen Aufbau einer neuen Krankenhausstruktur vor. Neben Versorgungskrankenhäusern mit durchschnittlich gut 600 Betten soll es etwa 50 Unikliniken und andere Maximalversorger mit im Schnitt 1300 Betten geben. Aktuell hat ein Drittel der deutschen Krankenhäuser weniger als 100 Betten. Die Durchschnittsgröße der Kliniken liege bei unter 300 Betten.

Nach Ansicht der Wissenschaftler kommen in Deutschland zu viele Menschen ins Krankenhaus. Etwa fünf Millionen Patienten pro Jahr könnten genauso gut ambulant behandelt oder operiert werden. Die Zahl der Krankenhausfälle ließe sich so bis 2030 auf 14 Millionen in Jahr senken. Die Forscher verwiesen darauf, dass die Zahl der sogenannten Bettentage pro Einwohner in Deutschland um 70 Prozent über dem Durchschnitt der vergleichbaren EU-Länder liege.

Patientenschützer und Krankenhausgesellschaft üben Kritik

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnt vor einem Kahlschlag in der Krankenhauslandschaft. "Es geht nicht immer nur um komplizierte Operationen mit Maximalversorgung", sagt Vorstand Eugen Brysch. Vielmehr müssten auch die Patienten gut behandelt werden, die keine Maximaltherapie benötigen und dennoch ins Krankenhaus gehen müssen. Zu dieser Gruppe gehörten besonders alte, pflegebedürftige und chronisch kranke Menschen. "Schließlich machen die schon heute mehr als 60 Prozent der Krankenhauspatienten aus."

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) argumentiert ähnlich: Bei einem Großteil der Versorgung in den Krankenhäusern handele es sich zudem um medizinische Grundversorgung, wie Geburten oder altersbedingte Krankheitsbilder der Inneren Medizin, sagt DKG-Präsident Gerald Gaß: "Das sind Behandlungen, die möglichst familien- und wohnortnah in erreichbaren Krankenhäusern auch in Zukunft erbracht werden müssen."

Dass durch ein Zusammenziehen von Kliniken und eine Bündelung von Ärzten, Pflegepersonal und medizinischen Geräten eine qualitativ bessere Versorgung erreicht werden könnte, sei "absolut unbelegt". Die Qualität der Versorgung in den Kliniken werde seit Jahren gemessen und mit wenigen Ausnahmen werde jedes Jahr allen beteiligten Kliniken ein hohes Niveau bestätigt, teilt die DKG mit. "Wer vorschlägt, von circa 1600 Akutkrankenhäusern 1000 platt zu machen und die verbleibenden 600 Kliniken zu Großkliniken auszubauen, propagiert die Zerstörung von sozialer Infrastruktur in einem geradezu abenteuerlichen Ausmaß", sagt Gaß.

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