Korruption:Bundesregierung verteidigt umstrittene Medikamentenstudien

Die Linkspartei kritisiert verdeckte Bestechung von Medizinern, die Regierung beschwichtigt: Ein Gesetz gegen Korruption im Gesundheitswesen kommt.

Von Hristio Boytchev

Die Bundesregierung verteidigt medizinische Studien mit zugelassenen Medikamenten, sogenannte Anwendungsbeobachtungen (AWB). "Durch verschiedene gesetzliche Regelungen" seien in den vergangenen Jahren "die Voraussetzungen für eine Verbesserung der Qualität" solcher AWB geschaffen worden, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linken zum Thema.

Dadurch werde auch ein Missbrauch zu Marketingzwecken verhindert. Die Sorge von Kritikern, wonach es sich bei AWB vornehmlich um Scheinstudien handelt, mit denen Pharmafirmen teure und nicht selten überflüssige Medikamente in den Markt drücken, teilt die Regierung offenbar nicht. Die Grünen wollen dagegen eine Änderung des Arzneimittelgesetzes. Experten fordern, dass Patienten künftig zumindest informiert werden, ob sie in einer AWB beobachtet werden.

Anlass für die Anfrage der Linken waren gemeinsame Recherchen von SZ, NDR, WDR und der gemeinnützigen Redaktion Correctiv, die im März das Ausmaß solcher AWB im deutschen Gesundheitswesen enthüllt hatten. Demnach beteiligt sich jeder zehnte Arzt an solchen Scheinstudien; Pharmafirmen zahlen den teilnehmenden Medizinern bis zu 7000 Euro pro Patient, wenn sie ein bestimmtes Medikament verschrieben. Die Bundesregierung ficht das nicht an. "Art und Höhe der Entschädigung" stünden "in der Regel im Verhältnis zum dargestellten Aufwand", konstatiert sie.

Viele Scheinstudien gibt es in den einzelnen Bundesländern?

Die Antwort zeigt aber auch, dass der Bundesregierung gar nicht klar ist, welches Ausmaß die AWB inzwischen haben und worum es im Detail geht. Wiederholt finden sich in dem Schreiben Formulierungen wie: "Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor." Etwa dazu, wie viele der Scheinstudien in den einzelnen Bundesländern durchgeführt werden. Oder: Bei welchen Krankheiten sie besonders beliebt sind. Oder: Ob die Zuwendungen an die Ärzte zugenommen haben.

Insgesamt beharrt die Bundesregierung auf dem Nutzen der Studien: "Mit Hilfe der AWB können Erkenntnisse aus der Praxis über zugelassene oder registrierte Arzneimittel gewonnen werden", schreibt sie. Dabei hatten wir berichtet, dass Scheinstudien nur selten veröffentlicht werden - und Wissenschaftler sie nicht ernst nehmen.

Am Mittwoch hatte der Gesundheitsausschuss des Bundestags auf Antrag der Grünen über die neuen AWB-Veröffentlichungen debattiert und dazu Experten vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und Bundesärztekammer gehört. Konsens bestand nach Angaben von Teilnehmern darüber, dass Patienten künftig informiert werden sollen, wenn ein Arzt sie im Rahmen einer AWB beobachtet.

Gesetz gegen Korruption im Gesundheitswesen

Laut einer Auswertung der KBV finden Anwendungsbeobachtungen demnach vor allem für teure Präparate statt: Die Medikamente, die dabei untersucht werden, betreffen demnach zwar nur zwei Prozent aller Verschreibungen, verursachen aber 25 Prozent aller Kosten. Auf Anfrage wollte die KBV diese Zahlen weder bestätigen noch dementieren. Sie verwies darauf, dass die Expertengespräche im Gesundheitsausschuss nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien.

Am heutigen Donnerstag will das Parlament ein Gesetz gegen Korruption im Gesundheitswesen verabschieden. Erstmals sollen dann auch niedergelassene Ärzte, die Schmiergeld von der Pharmaindustrie kassieren, bestraft werden können. Auch solche Anwendungsbeobachtungen, bei denen es nur um ein Honorar geht, um den Umsatz der eigenen Medikamente zu fördern, können dann vom Straftatbestand der Bestechung und Bestechlichkeit erfasst werden. Staatsanwälte müssen künftig bei einem Verdacht auf Korruption handeln.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach geht davon aus, dass das neue Gesetz auch die Auswüchse der AWB korrigiere. Er habe sich das Gesetz im Einzelnen strenger gewünscht, aber insgesamt sei es ein "großer Wurf". Nun liege der Ball bei den Gerichten. Die ersten Urteile gegen korrupte Ärzte hätten sicherlich einen Abschreckungseffekt.

"Da muss was passieren"

Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linken, kann sich Lauterbachs Begeisterung für das neue Gesetz nicht anschließen. Sie bemängelt, dass es weiterhin keine systematische Überwachung bei den Scheinstudien geben wird. "Die Zahlen machen klar, dass hier eine korruptive Industrie entstanden ist", sagt sie. Die meisten Anwendungsbeobachtungen dienten dazu, "das Verbot von offener Ärzteschmierung durch Pharmakonzerne zu umgehen." Und weiter: "Es ist erschreckend, dass die Bundesregierung das große Problem der Pseudostudien kaum zur Kenntnis nimmt."

Kordula Schulz-Asche, arzneimittelpolitische Sprecherin der Grünen, pflichtet ihr bei. Beim Antikorruptionsgesetz habe man es versäumt, die AWB zu regeln. Sie will sich nun dafür einsetzen, die Scheinstudien im Arzneimittelgesetz zu kontrollieren, das demnächst neu verhandelt wird. Schulz-Asche: "Da muss was passieren."

Hristio Boytchev ist Redakteur von correctiv.org. Dieses unabhängige und gemeinnützige Recherchezentrum finanziert sich über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Es gibt seine Recherchen kostenlos an andere Medien ab.

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