Kommunikation in der Arzpraxis:Patienten sind bescheidener als Ärzte meinen

Mediziner pflegen gern das Vorurteil vom "fordernden" Patienten, der zusätzliche Behandlungen will und die Kosten  so in die Höhe treibt. Dabei liegt die Schuld meist nicht bei den Kranken.

Von Werner Bartens

Patienten können ziemlich anstrengend sein. Schlucken nicht die Tabletten, die ihnen verordnet werden. Fragen nach der zweiten Meinung, bevor sie die erste gehört haben. Möchten krankgeschrieben werden, obwohl sie blaumachen. Geben sich bei Zipperlein nicht damit zufrieden, wenn der Arzt zum Abwarten rät, sondern wollen ein Rezept, zusätzlich Krankengymnastik und manchmal gar eine Operationsempfehlung.

Diese Vorurteile hegen manche Ärzte den Kranken gegenüber - oder sie generalisieren die Einzelfälle, in denen sie es tatsächlich mit renitenten, besonders fordernden oder gar unverschämten Patienten zu tun haben. Die große Mehrheit derjenigen, die einen Arzt aufsuchen, ist jedoch anders. Immer wieder zeigen Untersuchungen, dass Ärzte ihren Patienten Eigenschaften zuschreiben, die nicht oder bei Weitem nicht im angenommenen Umfang zutreffen.

Weil Kranke so fordernd sind, würden sie ständig Untersuchungen und Behandlungen verlangen und damit die Medizin immer teurer machen, lautet eine weitere Unterstellung. Ärzte aus den USA zeigen im Fachmagazin JAMA Oncology (online) vom heutigen Freitag, dass Patienten selten auf zusätzlichen Tests und Therapien bestehen - und dass die Wünsche, wenn sie denn geäußert werden, zumeist nachvollziehbar und angemessen sind.

Ärzte und Ethiker um Keerthi Gogineni von der University of Pennsylvania hatten mehr als 5000 Patientenkontakte ausgewertet. Direkt nach der Visite oder dem Patientenbesuch befragten sie Ärzte, Arzthelfer und Pflegekräfte, ob die Kranken weitere Tests oder Behandlungen eingefordert hatten und ob dieser Wunsch klinisch gerechtfertigt war.

Die Patienten waren äußerst zurückhaltend: Nur bei 440 von mehr als 5000 Patientenkontakten und damit bei weniger als neun Prozent wollten Kranke zusätzliche Untersuchungen oder Therapien. Unter diesen Anfragen waren wiederum die meisten medizinisch sinnvoll und hätten Teil der Betreuung sein können. "Im Internet gibt es ja unseriöse medizinische Informationen zuhauf, da ist es ermutigend, dass sich das nicht auf die Ansprüche der Patienten überträgt", sagt Krebsärztin Gogineni.

Die meisten Mediziner sind es gewohnt, dass Patienten ihnen unterwürfig begegnen

Die Patienten in der aktuellen Studie litten an verschiedenen Krebsformen. Kernspin- oder Röntgenaufnahmen machten denn auch knapp die Hälfte der Wünsche aus, gefolgt von einer Bestimmung der Tumormarker im Blut. Es ist bekannt, dass manche Krebskranke aus Angst oder Unsicherheit dazu neigen, öfter als nötig den Verlauf ihres Leidens beurteilen zu lassen. Sie wollen nichts versäumen, um die Krankheit eventuell besser bekämpfen zu können, auch wenn sich durch weitere Tests weder die Prognose verbessert noch Beschwerden gelindert werden.

"Die Forderungen der Patienten sind erstaunlich gering und können nicht dafür herhalten, dass die Kosten im Gesundheitswesen immer weiter ansteigen", sagt der Medizinethiker Ezekiel Emanuel, der an der Studie beteiligt war. "Dabei geht es gerade in der Krebsmedizin um Leben und Tod und Untersuchungen wie Medikamente können extrem kostspielig sein."

Der Onkologe Anthony Back von der University of Washington in Seattle führt in einem Kommentar im selben Fachmagazin mehrere Gründe auf, wie es überhaupt zum Mythos vom fordernden Patienten kommen konnte: Ansprüche von Kranken werden von Ärzten schnell als ungerecht, heftig, ungewöhnlich und Zeichen des Misstrauens eingestuft, zudem erinnern sich Mediziner eher an solche Patienten, auch wenn sie selten sind. Außerdem sind solche Kranken ein prima Ziel, um all die Probleme und Schwierigkeiten auf sie zu übertragen, die Ärzte mit ihrem Beruf und den verschärften Bedingungen im Gesundheitswesen haben.

"Wir müssen aufhören, immer die Patienten zu beschuldigen, zu fordernd und anspruchsvoll zu sein", sagt Back. "In Wirklichkeit kommt das kaum vor und dieses Vorurteil sagt viel mehr über uns Ärzte aus." Die meisten Mediziner seien es noch immer gewohnt, dass man ihnen unterwürfig und voller Dankbarkeit begegnet. Auf selbstbewusste, forsche Patienten würden sie dann fast feindlich reagieren. Dabei müssten sich die Ärzte eher fragen, ob sie die Bedürfnisse der Kranken tatsächlich erkannt haben und empathisch genug mit ihnen umgegangen sind. Sätze wie "Hmm, das scheint wirklich wichtig für Sie zu sein", oder "Ich habe den Eindruck, das beschäftigt Sie", können erkennen helfen, was der Patient wirklich will und ob der Wunsch nach zusätzlichen Untersuchungen nicht primär ein Ausdruck von Angst oder Wut ist.

Mehrere Studien haben in den vergangenen Jahren belegt, dass Ärzte die Haltung von Kranken oft fehldeuten. So zeigten Forscher um Peter Salmon, dass Patienten mit unklaren Beschwerden keineswegs primär auf Hightech-Untersuchungen drängen oder Medikamente einfordern, sondern durchaus emotionale Unterstützung suchen und auf ihre Ängste und Sorgen hinweisen. Die Ärzte schlagen aber meist eine symptomorientierte Behandlung vor und kommen mit dem kleinen Abc der Medizin: Arzneimittel, Bildgebung, Chirurgie.

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