Sommer in Europa - das war einmal eine Zeit des Dolce Vita. Eine Phase der Unbeschwertheit an luftigen Stränden und klaren Seen, in den Bergen oder entspannten Städten - von Generationen das ganze Jahr über herbeigesehnt. Heute ist die ungetrübte Sommerstimmung nicht mehr garantiert. Heute kann der Sommer in einen Überlebenskampf münden, wenn die sengende Hitze den Kreislauf zum Erliegen bringt, wenn Wälder lodern oder sich tropische Krankheitserreger ausbreiten. "Der Klimawandel ist kein fernes Zukunftsszenario; er ist hier, und er tötet", so das Fazit eines Berichtes, den internationale Wissenschaftler gerade im Fachblatt Lancet Public Health veröffentlicht haben.
Für den sogenannten Lancet-Countdown-Report analysierte das Team die Auswirkung des Klimawandels in Europa und was aktuell dagegen getan wird anhand von 42 Indikatoren. Die meisten zeigen einen Trend zum Schlechteren. Allen voran die Entwicklung der Temperaturen. Sie steigen in Europa doppelt so schnell an wie im globalen Durchschnitt, heißt es in dem Bericht. In den zurückliegenden zehn Jahren gab es demnach 45 Prozent mehr Hitzetage als im Jahrzehnt davor. Gleichzeitig starben mehr Menschen an den Folgen der Hitze; um 17 Todesfälle pro 100 000 Einwohner stieg die Rate in diesem Zeitraum. Allein im Sommer 2022 kamen geschätzt 60 000 Menschen aufgrund zu hoher Temperaturen um. Westeuropa sei dabei am stärksten gefährdet, führt der Report auf. Denn hier leben besonders viele verletzliche Menschen: Ältere, Vorerkrankte, aber auch Bewohner von großen Städten, die sich in der warmen Jahreszeit schnell aufheizen.
Und auch dies bedeutet Sommer in Europa mittlerweile an vielen Orten: ein Leben in Innenräumen. Unzählige Kinder können aufgrund der gestiegenen Temperaturen über immer längere Zeiten des Tages nicht mehr draußen spielen, Ältere müssen auf Spaziergänge, Sportler auf ihr Training verzichten. Dies ist mehr als lästig, denn mangelnde Bewegung begünstigt Zivilisationskrankheiten. Auch die Ernährung kann mittelbar unter den hohen Temperaturen leiden. So konnten sich den Autoren zufolge im Jahr 2021 fast zwölf Millionen Europäer streckenweise nicht mehr ausreichend gut ernähren, weil Hitze oder Trockenheit es ihnen erschwerten, hochwertige Nahrungsmittel zu besorgen oder zuzubereiten.
Klimawandel:Wenn der Mückenstich lebensgefährlich wird
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Mit dem veränderten Klima wachsen zugleich die Risiken für Infektionskrankheiten. Immer mehr Küstenabschnitte bieten mittlerweile Bedingungen, in denen Vibrionen gedeihen. Die Bakterien vermehren sich im warmen Salzwasser entlang der Strände und können schwere, bisweilen auch tödliche Wundinfektionen auslösen. In den vergangenen 40 Jahren dehnten sich die potenziellen Vibrionen-Gebiete um 136 Küstenkilometer pro Jahr aus.
Die Bakterien sind vor allem für die nördlichen Teile Europas eine wachsende Gefahr, ebenso wie Zecken. Diese Überträger von Lyme Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis finden hier ebenfalls immer mehr Gebiete, in denen sie gedeihen können. Auch die Zeit, in der die Tiere aktiv sind, nimmt zu. In Südeuropa steigt dagegen besonders die Gefahr für Erkrankungen, die durch Mücken übertragen werden. Dazu gehören das West-Nil-Fieber, Chikungunya oder Dengue.
All diese Auswirkungen treffen nicht alle Menschen gleich. Südeuropa ist von den meisten Gefahren, darunter extreme Hitze, Dürren und Waldbrände, stärker bedroht. Doch auch die Einkommensklasse hat einen Einfluss darauf, wie gefährdet die Menschen sind. Wirtschaftlich schlechter gestellte Menschen leiden tendenziell mehr unter den Folgen der Erderhitzung. Sie haben weniger Möglichkeiten, sich an steigende Temperaturen anzupassen. "Gleichzeitig tragen sie viel weniger zur Klimakrise bei", sagt Maike Voss, Direktorin des Thinktanks Centre for Planetary Health Policy in einer Pressemitteilung: "Um sich an extrem heißen Tagen zu schützen, hatten 2021 16 Prozent der europäischen Haushalte Klimaanlagen im Einsatz - dabei stießen sie zusammen so viel CO₂ aus wie ganz Bulgarien."
Die meisten Gesundheitssysteme sind nicht wirklich vorbereitet
Zugleich tragen europäische Länder auch zu globalen Ungerechtigkeiten bei, indem sie Probleme, die ihr Konsumhunger verursacht, an andere Orte der Welt auslagern, wie Hauptautorin Kim van Daalen vom Barcelona Supercomputing Center laut einer Pressemitteilung sagt. Diese Regionen leiden dann unter Umweltbelastungen, die bei der Produktion jener Güter entstehen, die in Europa konsumiert werden.
Für fast alle Länder Europas gilt dem Bericht zufolge, dass ihre Gesundheitssysteme nicht gut gegen die Auswirkungen der Erderhitzung gewappnet sind. Vielen Staaten fehle es an Hitzeschutz- oder anderen Plänen für den Ernstfall ebenso wie an Frühwarnsystemen für Wetterkatastrophen. Auch Anpassungen etwa im Städtebau seien quer durch den Kontinent unzureichend. Gleiches gelte für die Bereitschaft, gegen die weitere Erwärmung des Klimas vorzugehen.
"Der neue Bericht zeigt uns, dass die mit dem Klimawandel verbundenen Gesundheitsrisiken in Europa zunehmen, dass aber die Maßnahmen zur Anpassung an aktuelle Auswirkungen und zur Eindämmung künftiger Folgen immer noch hinterherhinken", sagt Joacim Rocklöv von der Universität Heidelberg, der zu den Autoren des Reports zählt.
Nicht für alle Indikatoren, die die Forscherinnen und Forscher untersuchten, gab es ausreichend Daten, ein Teil der Aussagen beruht auf Berechnungen. Dennoch lässt sich Maike Voss zufolge folgende Schlussfolgerung daraus ziehen: Der Bericht liefere einen drastischen Beleg dafür, dass weiteres Zögern bei Klimaschutz und -anpassung keine Option sei.