Kampf gegen die Kinderlähmung:"Die Ausrottung ist machbar"

Kampf gegen die Kinderlähmung: Der Impfstoff gegen Kinderlähmung wird geschluckt.

Der Impfstoff gegen Kinderlähmung wird geschluckt.

(Foto: K.M. Chaudary/AP)

Die Kinderlähmung ist zuletzt an unerwartete Orte zurückgekehrt. Nicht der einzige Rückschlag im Kampf gegen die Erkrankung. WHO-Experte Aidan O'Leary über die kritischen nächsten Monate und die Erfolgsaussichten der Polio-Kampagne.

Interview von Berit Uhlmann

Zuletzt hat die Kinderlähmung viel Aufmerksamkeit erfahren, als sie plötzlich an Orten auftauchte, die die Krankheit lange nicht gesehen hatten. Es gab einen Fall in New York und Virenfunde im Londoner Abwasser. In beiden Fällen haben sich eigentlich harmlose Impfviren durch einige Mutation in gefährliche Erreger verwandelt. Und auch in anderen Ländern haben Infektionen wieder zugenommen. Im Gespräch mit der SZ erklärt Aidan O'Leary, bei der Weltgesundheitsorganisation für die Ausrottung des Polio-Erregers zuständig, wie es jetzt weitergeht.

SZ: In London und New York hat es bisher keine weiteren Fälle gegeben. Ist die Gefahr vorbei?

Aidan O'Leary: Insgesamt ist das Risiko in diesen Ländern gering, denn die Impfraten sind sehr hoch. Dennoch gibt es immer wieder einzelne Gebiete, quasi Inseln, mit unzureichend geimpften Kindern. Solange die bestehen, besteht auch immer ein Infektionsrisiko. In den betroffenen Städten versuchen wir uns auf diese Inseln zu konzentrieren. Dabei reicht es nicht, Impfstoffe bloß zu liefern, man muss auch dafür sorgen, dass die Kinder tatsächlich geimpft werden. Davon, wie gut das gelingt, hängt ab, wie schnell das Infektionsrisiko wieder sinkt.

Weltweit betrachtet sind auch die sogenannten wilden Polio-Fälle, die also allein auf das Virus und nicht auf Impfungen zurückgehen, in diesem Jahr wieder deutlich angestiegen. Von sechs im vergangenen Jahr auf fast 30 in diesem Jahr, davon 20 in Pakistan. Woran liegt das?

Das muss man differenziert betrachten. Die Krankheit ist nur noch in Afghanistan und Pakistan endemisch. In Afghanistan haben wir trotz einer sehr schweren humanitären Situation in diesem Jahr nur zwei Fälle registriert. Der Trend geht also klar nach unten - ein Lichtblick für das Programm.

In Pakistan gehen die Fälle auf einen explosiven, aber lokal begrenzten Ausbruch im Nordwesten des Landes zurück. Sie sind auf drei Distrikte beschränkt. In anderen bisher stark betroffenen Landesteilen ist es erstmals in der Geschichte des Programms gelungen, die endemischen Übertragungen zu unterbrechen. Dabei hatten wir auch hier Herausforderungen. Der Monsun hat ein Drittel des Landes unter Wasser gesetzt und sechs Millionen Menschen obdachlos gemacht. Trotzdem haben wir das Programm fortgesetzt.

Kampf gegen die Kinderlähmung: Aidan O'Leary ist bei der Weltgesundheitsorganisation WHO für die Polio-Ausrottung zuständig. Der gebürtige Ire war zuvor in mehreren Ländern für das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten tätig.

Aidan O'Leary ist bei der Weltgesundheitsorganisation WHO für die Polio-Ausrottung zuständig. Der gebürtige Ire war zuvor in mehreren Ländern für das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten tätig.

(Foto: GPEI)

Es gibt aber auch wieder Fälle in Afrika, das erst vor zwei Jahren als poliofrei erklärt wurde. Lässt sich dieser Status noch halten?

Es stimmt, wir sind zunächst von einem Poliofall in Malawi überrascht worden und haben anschließend weitere Fälle in Mosambik gesehen. Wir haben dann festgestellt, dass der Infektionsherd nicht in Malawi, sondern im Norden von Mosambik liegt. Für den Status als poliofrei ist entscheidend: Diese Fälle gehen auf die Einschleppung des Virus aus Pakistan zurück und nicht darauf, dass das Virus in Afrika zirkuliert.

Wie lange dürfte es dauern, um die Rückschläge dieses Jahres wieder aufzuholen?

Unser Ziel ist, die Infektionen in Afghanistan und Pakistan bis Ende 2023 zu stoppen. Das Ziel ist immer noch erreichbar, aber die nächsten zwei Quartale sind entscheidend. In den kommenden Monaten nehmen die Übertragungen typischerweise ab. Wir müssen diese Zeit nutzen, um uns vor der nächsten Polio-Saison auf die betroffenen Gebiete zu konzentrieren und die Kinder dort zu impfen. Es gibt jetzt die einzigartige Möglichkeit, den Job ein für alle Mal zu erledigen und das Virus auszurotten.

Dennoch zweifeln einige daran, dass das Ziel der Ausrottung zu erreichen ist ...

Ich sehe das anders und würde den Blick zunächst dahin richten, wo wir gestartet sind. 1988 hatten wir täglich tausend Fälle in 125 Ländern. Jetzt haben wir nur noch ein paar Handvoll Fälle pro Jahr in zwei Ländern. Wenn wir fragen: Sind unsere nächsten Ziele klar, lautet die Antwort: Ja. Gibt es einen Weg, diese Ziele zu erreichen, lautet die Antwort auch: Ja. Wenn wir so weit gekommen sind, dass die Null in greifbarer Nähe ist, warum sollten wir dann jetzt das Handtuch werfen? Meiner Meinung nach ist die Ausrottung machbar, trotz aller Herausforderungen.

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