Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Wenn Covid in Entwicklungsländer gelangt

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Von Berit Uhlmann

Spätestens als Afghanistan und Nigeria diese Woche ihre ersten Covid-19-Fälle vermeldeten, ist eingetreten, was die Weltgesundheitsorganisation WHO von Anfang an besonders fürchtete. "Unsere größte Sorge ist, dass Covid-19 auf Länder mit schwächeren Gesundheitssystemen übergreift", hatte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus schon zu Beginn der Epidemie gesagt. All das, was wohlhabende Länder jetzt unternehmen - Kontakte von Erkrankten aufspüren, Verdachtsfälle schnell testen, Schutzausrüstungen aufstocken, Behandlungskapazitäten stärken -, ist in vielen dieser Ländern kaum denkbar. Selbst die simplen Präventionsmaßnahmen wie häufiges Händewaschen und das Meiden von engem Kontakt zu potenziell Erkrankten sind in vielen Regionen illusorisch: Wie soll das gehen, wenn Wasser knapp und Seife gar nicht vorhanden ist, wenn Menschen in Slums in extremer Enge leben?

Im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums haben Forscher vor vier Jahren aufgelistet, welche Länder am stärksten gefährdet sind für große Ausbrüche. Ganz oben stehen Afghanistan, Jemen, Haiti und etliche afrikanische Staaten. Die meisten liegen in dem, was die Forscher den "Seuchen-Hotspot-Gürtel" tauften, einer Zone, die sich vom Rand Westafrikas bis zum Horn von Afrika erstreckt. Taucht eine Infektionskrankheit in einem dieser Länder auf, könne sie sich leicht in alle Richtungen ausbreiten. Denn die Grenzen sind durchlässig, aber die Möglichkeiten, Erkrankungen zu erfassen und rasch einzudämmen, gering.

Dass Covid-19 irgendwann in diese Region gelangt, ist nicht unwahrscheinlich, wie Wissenschaftler vor kurzem im Fachblatt Lancet analysierten. China ist Afrikas wichtigster Handelspartner. Ausgehend von den Flugverbindungen zwischen der Volksrepublik und dem Kontinent ist es am wahrscheinlichsten, dass der Erreger zunächst nach Ägypten, Algerien und Südafrika eingeschleppt wird, Länder die vergleichsweise gut gegen Gesundheitsgefahren gerüstet sind. Doch auch in Staaten wie Nigeria, Kenia, Ghana und Tanzania könnte der Erreger rasch gelangen. Sie sind schlechter gegen dessen Folgen gewappnet. Auf einer Skala von 0 bis 100, mit der die WHO die Kapazitäten für den Notfall bemisst, erreichen sie zwischen 35 und 50 Punkte. Zum Vergleich: China kommt auf nach dieser Bemessung auf 93 Punkte, und dennoch leiden Ärzte, Pflegekräfte und Angehörige von Erkrankten in der am stärksten betroffenen Region Hubei unter fast unmenschlichen Belastungen.

Bislang ist das Virus in Ägypten, Algerien und Nigeria aufgetaucht. In beiden Ländern wurde je ein Fall registriert. Doch ob der Rest Afrikas tatsächlich frei vom Coronavirus ist, kann niemand sicher sagen. Zu Beginn der Epidemie gab es lediglich zwei Labore, die in der Lage waren, auf den neuen Erreger zu testen. Mittlerweile sind es 26, das ist statistisch eines für je zwei Länder.

Die Staaten versuchen, sich dennoch zu rüsten: Die afrikanische Seuchenschutzbehörde CDC mit Sitz in Äthiopien hat eine Taskforce ins Leben gerufen, die Maßnahmen wie Einreisekontrollen und die Information der Bevölkerung koordiniert. Die WHO hat mehr als 40 Experten in zehn afrikanische Länder entsandt, damit sie diesen beim Ausbau von Schutz- und Therapiemöglichkeiten helfen.

Ein Lichtblick ist, dass selbst sehr arme afrikanische Staaten Erfahrungen mit Infektionskrankheiten haben. Durch Ebola haben die meisten von ihnen Quarantäneeinrichtungen aufgebaut, sagt Michel Yao, der beim Afrika-Büro der WHO für Notfälle zuständig ist, im Fachblatt Lancet. Allerdings fügt er hinzu: "Wir wissen alle, wie fragil die Gesundheitssysteme in Afrika sind, sie sind bereits mit anderen Krankheiten überfordert." Der Direktor der afrikanischen CDC, John Nkengasong, bezeichnete Covid-19 als ernste Bedrohung für die sozialen Beziehungen, das wirtschaftliche Wachstum und die Sicherheit Afrikas.

Auch ein massives Übergreifen des Virus nach Afghanistan, Jemen und Syrien fürchten viele Experten, jetzt da Iran sich zu einem weiteren Brennpunkt der Epidemie entwickelt hat. In der Region sind viele Menschen konstant unterwegs, als Wanderarbeiter oder Pilger. Jahrelange Kriege und Unruhen haben das Vertrauen in Politik und Institutionen bröckeln lassen und die Gesundheitssysteme geschwächt. Afghanistan hat nur ein einziges Labor, das Proben auf das Coronavirus analysieren kann.

Die WHO hat für den Kampf gegen das Virus 675 Millionen US-Dollar gefordert; der Großteil der Summe soll an die verletzlichsten Länder gehen. Bislang haben Mitgliedsländer und Stiftungen nur etwas mehr als vier Prozent dieser Summe zugesagt und etwas mehr als eine Million tatsächlich gezahlt.

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Quelle:
SZ vom 28.02.2020
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