Kassenmedizin:Erst zum Hausarzt, dann zum Spezialisten

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Überfülltes Wartezimmer einer Arztpraxis. Viele Besuche beim Facharzt sind aber nicht unbedingt notwenig. (Foto: dpa)

Gesundheitsminister Spahn will Patienten schneller zu Terminen beim Facharzt verhelfen. Landarzt Gernot Rüter lobt die Idee: So könnten Praxen Zeit gewinnen.

Interview von Michaela Schwinn

Auf einen Termin beim Hautarzt oder beim Radiologen müssen Kassenpatienten oft monatelang warten. Manche Praxen nehmen gar keine neuen Patienten mehr auf. Dieses Problem will Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nun angehen: Ärzte sollen künftig mehr Sprechstunden anbieten, mehr Termine vermitteln und mehr neue Patienten in ihre Praxis lassen - dafür sollen sie extra honoriert werden. Kritik kam prompt. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte etwa warf Spahn "kaum noch zu überbietende Ahnungslosigkeit" vor. Doch nicht jeder Mediziner hält die Vorschläge des Ministers für dumm. Ein Hausarzt aus Baden-Württemberg stimmt Spahn teilweise zu.

SZ: Herr Rüter, viele Ärzte sind von Jens Spahns Vorhaben nicht begeistert. Geht es Ihnen genauso?

Gernot Rüter: Im Gegenteil. Ich finde seine Vorschläge grundsätzlich gut. Wir haben viele Dinge, die zu den ureigenen hausärztlichen Konzepten gehören, jahrelange quasi umsonst angeboten. Jetzt sollen sie vergütet werden.

Das müssen Sie erklären.

Das heißt, dass wir vieles von dem, was Spahn fordert, schon lange machen. Unsere Praxis hilft Patienten schon immer, Termine beim Orthopäden oder Kardiologen zu bekommen. Jeden Tag nehmen wir Menschen in die Sprechstunde auf, die keinen Termin vereinbart haben oder die noch nie bei mir in der Praxis waren. Das alles ist bei uns schon lange Alltag.

Auch die 25 Sprechstunden pro Woche, die Ärzte ihren Patienten nun mindestens an bieten sollen?

Ich komme sicher auf 35 bis 40 Wochenstunden, in denen ich am Patienten arbeite, also in Sprechstunden oder bei Hausbesuchen. Eine normale hausärztliche Praxis hat da überhaupt keine Probleme.

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Wenn das längst Alltag ist, w as werden Spahns Pläne dann ändern?

Bei uns wahrscheinlich nichts - bis auf steigende Honorare. Bei anderen Ärzten könnte sich schon etwas tun. Viele Praxen bieten sogenannte Igel-Leistungen an, also privat zu bezahlende Zusatzangebote, wie ein Ultraschall der Eierstöcke zur Krebsfrüherkennung bei Frauen. Das sind Leistungen, die sich nicht am nachgewiesenen medizinischen Nutzen orientieren, aber trotzdem Zeit in Anspruch nehmen. Wenn diese Ärzte nun 25 Stunden Basisversorgung pro Woche anbieten müssten, wären vielleicht wieder mehr Termine für andere Behandlungen frei.

Welche Vorteile sehen Sie noch?

Gut ist auch, dass die Vermittlung zu anderen Ärzten künftig vergütet werden soll. Das könnte helfen. Wenn zum Beispiel jemand mit dem Hinweis auf einen Bandscheibenvorfall bei mir sitzt, dann kann ich fünf oder sechs Orthopäden anrufen und darauf pochen, dass der Patient vordringlich einen Termin bekommt. Das zusätzliche Honorar könnte Ärzte motivieren, sich dafür mehr Zeit zu nehmen. Das alleine wird das Problem der langen Wartezeiten aber nicht lösen.

Was schlagen Sie vor?

Optimal wäre, wenn nur solche Patienten zu Fachärzten gehen, die auch dorthin müssen. Nicht jeder Mensch mit einer Mittelohrentzündung muss zum HNO-Arzt und nicht jeder mit Rückenschmerzen muss zum Orthopäden. Die meisten dieser Beschwerden gehen mit hausärztlicher Unterstützung von alleine wieder weg. Man bräuchte also ein System, bei dem Patienten erst zum Hausarzt müssen, bevor sie zum Facharzt gehen.

Aber gerade Hausärzte sind bereits überlastet - weil es zu wenige von ihnen gibt.

Das stimmt, deswegen muss mehr dafür getan werden, dass junge Menschen wieder Hausärzte werden wollen. Höhere Honorare, eine gute Kinderbetreuung und bessere Infrastruktur auf dem Land. Auch hier muss sich noch einiges tun.

Zumindest die Honorare würden durch das Vorhaben des Ministers steigen.

Ja, wie gesagt, eigentlich ist es eine gute Sache. Aber ich bin da noch etwas misstrauisch. Seit fast 40 Jahren bin ich niedergelassener Arzt, ich habe viele Gesundheitsminister erlebt und viele Versprechen gehört, die dann nicht eingehalten wurden. Ich bin gespannt.

© SZ vom 27.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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