Im Vergleich zur Karies an den bleibenden Zähnen hat die Milchzahn-Karies in den vergangenen Jahren immer weiter zugenommen. Zwischen zehn und 15 Prozent der Kleinkinder leiden in Deutschland schon daran. Es lassen sich regional deutliche Unterschiede feststellen. So waren beispielsweise in Brandenburg 12,7 Prozent betroffen, in Hessen 11,4 und in Schleswig-Holstein 7,5 Prozent.
Vor allem aber kann man an den Gebissen der Kleinkinder den Status und den Bildungsgrad der Eltern ablesen. "Zwei Prozent der Kinder vereinen 52 Prozent des Kariesbefalls auf sich", schreiben die Zahnarzt-Organisationen. Die Eltern dieser Kinder seien oft jünger als 20 Jahre und hätten einen niedrigeren Sozialstatus als Eltern nicht erkrankter Kinder. Viele der betroffenen Jungen und Mädchen stammten aus Familien mit Migrationshintergrund.
Die Karies verursachenden Bakterien werden meist schon in den ersten Monaten von der Mutter auf das Kind übertragen. Einmal infiziert, sorgen süße Tees oder Säfte aus der Nuckelflasche, aber auch Schokoladen-Snacks, Kuchen und Kekse für den Ausbruch der Erkrankung. Vor allem durch das permanente Saugen an der Flasche werden die oberen Schneidezähne konstant mit süßen Getränken umspült, was ein idealer Nährboden für Karies ist. Verstärkt wird das falsche Ess- und Trinkverhalten meistens noch dadurch, dass die Zähne schlecht und in manchen Familien auch gar nicht geputzt werden.
Erschütternde Folgen
Die Folgen der frühkindlichen Karies sind erschütternd. Die zerstörten Zähne können Entzündungen und Schmerzen hervorrufen. Fallen die betroffenen Milchzähne zu früh aus, kann sich der Kieferknochen an der Stelle wieder schließen und die bleibenden Zähne am Durchbruch hindern. Auch können sich die bleibenden Zähne infizieren und damit langfristig Schaden nehmen. Die Kinder leiden unter gestörtem Kau- und Schluckverhalten, lernen schlechter sprechen und werden von anderen Kindern ausgegrenzt.
Weil die betroffenen Kinder bei den Besuchen von Zahnmedizinern in Kindergärten oft nicht erreicht werden, plädieren die Ärzte für ein neues Konzept. Sie schlagen vor, die Kontrollen des frühkindlichen Gebisses in ihren Aufgabenbereich zu verlagern. Derzeit sei dies von den Krankenkassen erst ab einem Alter von 30 Monaten vorgesehen. Bis dahin sind die Kinderärzte zuständig. Nach Eßers Worten ist das viel zu spät. Bei gezielter Vorsorge seien die Zahnärzte in der Lage, frühkindliche Karies zu vermeiden und erste Erkrankungen schmerzfrei zu heilen. "Dazu müssen wir die Kinder aber ab dem sechsten Lebensmonat sehen, also ab dem Durchbruch des ersten Zahnes." Mit einer solch frühzeitigen Pflichtuntersuchung hätten Kinder aus unterschiedlichen sozialen Umfeldern Chancen auf gesunde Zähne.
Die Krankenkassen stehen den Forderungen der Zahnärzte skeptisch gegenüber. Es gebe keine alles verändernde Maßnahme, um frühkindliche Karies zu reduzieren, sagte eine Sprecherin des Spitzenverbandes. "Rivalisierende Konzepte verschiedener ärztlicher Professionen helfen da nicht." Kinder- und Zahnärzte sollten vielmehr besser zusammenarbeiten.