Kampf gegen Ebola:Unser aller Seuche

Kampf gegen Ebola: Kinder in Liberia lesen ein Flugblatt, in dem über Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung der Krankheit informiert wird.

Kinder in Liberia lesen ein Flugblatt, in dem über Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung der Krankheit informiert wird.

(Foto: AP)

Ebola ist in den Köpfen der Europäer und Amerikaner angekommen. Doch Westafrika jetzt zu isolieren, seine Bewohner zu stigmatisieren: Das ist nicht nur unmenschlich, sondern auch kontraproduktiv - und ließe die Seuche ungehemmt eskalieren.

Kommentar von Tobias Zick

Binnen weniger Monate hat das Ebola-Virus einen ebenso schrecklichen wie bemerkenswerten Eroberungszug geschafft: aus den Tiefen der westafrikanischen Wälder in das Herz der westlichen Welt. Dort, in Europa und Amerika, sind zumindest die psychischen Begleitsymptome der Seuche angekommen - Angst und Schrecken, befeuert durch Einzelfälle, die es nach den Regeln westlicher Schutzstandards eigentlich nicht geben dürfte: Krankenschwestern, die sich bei der Arbeit anstecken, und das nicht etwa in einem Feldlazarett in Guinea, sondern in modernen Kliniken.

So haarsträubend diese Ebola-Fälle in Spanien und den USA auch sind, sie wären vermutlich vermeidbar gewesen. Und sie sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine größere Ausbreitung von Ebola in Europa nach wie vor extrem unwahrscheinlich ist. Das große, furchtbare, abertausendfache Leid spielt sich immer noch in Guinea ab, in Sierra Leone, in Liberia.

Dort laden verzweifelte Menschen ihre sterbenskranken Angehörigen auf der Straße ab, weil es noch immer nicht genügend Plätze in den Behandlungszentren gibt; dort bringen gesunde Frauen Babys auf dem Asphalt zur Welt, weil verängstigtes Krankenhauspersonal ihnen nicht die Tür öffnet - Gebärende bluten schließlich, und das Blut könnte mit dem Virus verseucht sein; dort macht Ebola Kinder zu Waisen, die dann obendrein stigmatisiert sind; dort schnellen die Lebensmittelpreise in die Höhe und schüren Ängste vor einer Hungersnot.

Der Virus fand fruchtbaren Boden

Wahrlich, es ist gespenstisch. Und doch: Nüchtern betrachtet, verhält sich das Virus ziemlich genau so, wie es nach vier Jahrzehnten Forschung in den Büchern steht. Nicht anders als bei früheren, begrenzten Ausbrüchen im Kongo, Sudan oder in Uganda. Dass es jetzt heute über viele Grenzen hinweg wütet, liegt nicht etwa daran, dass es wie in einem Hollywood-Film mutiert und ansteckender geworden wäre; sondern daran, dass es diesmal schlicht besonders fruchtbaren Boden vorfand.

Die drei westafrikanischen Länder, über deren offene Grenzen hinweg das Virus sich ausgebreitet hat, sind sehr schwache Staaten, von früheren Bürgerkriegen und von Korruption zerfressen. In Liberia etwa gab es vor Ausbruch der Epidemie 61 Ärzte - bei vier Millionen Einwohnern. Von manchen Dörfern ist die nächste, primitive, Krankenstation mehrtägige Fußmärsche entfernt. Unter solchen Bedingungen ist das Vertrauen der Menschen in "den Staat" und dessen Vertreter verständlicherweise begrenzt - ebenso wie die Bereitschaft, sich von irgendwelchen dahergelaufenen Fremden davon abbringen zu lassen, die Toten wie eh und je vor der Bestattung zu waschen und zu küssen.

Dieser Hang zu Misstrauen und irrationalem Verhalten ist kein alleiniges Merkmal afrikanischer Gesellschaften: Am Prager Hauptbahnhof etwa wurde diese Woche ein hustender Afrikaner von der Polizei vorsorglich in schwarze Plastikfolie gewickelt. Er kam aus Ghana, wo es bislang keine Ebola-Fälle gab, und war nur erkältet. Manche spanischen Taxifahrer nehmen aus Furcht keine dunkelhäutigen Gäste mehr mit. Und in den USA wie in Europa werden populistische Forderungen laut, überhaupt keine Menschen aus Westafrika mehr einreisen zu lassen.

Grenzkontrollen sind eine Illusion

Die betroffenen Staaten isolieren, ihre Bewohner stigmatisieren - das ist nicht nur unmenschlich, sondern auch kontraproduktiv. Die Menschen in den Epidemiegebieten einfach abzuschreiben und vor sich hinsterben zu lassen, hieße, die Seuche dort völlig ungehemmt eskalieren zu lassen. Und es wäre eine Illusion zu glauben, dass dann durch Grenzkontrollen - und seien sie noch so rigoros - die Verbreitung des Erregers auszuschließen ist. Länder lassen sich nicht virendicht abriegeln.

Es muss jetzt darum gehen, mit gemeinsamer Kraft die Epidemie in Westafrika einzudämmen - und es gibt Gründe für Zuversicht, dass das im Laufe der kommenden Monate gelingen kann. Die Erkenntnis, dass man sich von den hochansteckenden Leichen von Ebola-Opfern fernhalten muss, ist inzwischen auch in entlegene Dörfer vorgedrungen. In den Städten meiden die Menschen jeglichen Handschlag, sie waschen sich die Hände regelmäßig in Chlorlösung.

Hilfsorganisationen bauen in großem Tempo neue Behandlungszentren auf, damit künftig keine Kranken mehr vor den Toren überfüllter Kliniken verenden müssen und dort neue Ansteckungsherde bilden. Vielversprechende Impfstoffe und Medikamente sind in ihren späten Testphasen; selbst Firmen, die rein renditeorientiert denken, dürften angesichts des Ausmaßes der Epidemie mittlerweile in der Forschung an Ebola-Mitteln ein gutes Geschäft sehen.

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Ein Arzt an der Universitätsklinik von Yopougon in Abidjan in der Elfenbeinküste hilft einer Pflegekraft beim Anlegen der Maske. Das Land grenzt an die von Ebola betroffenen Staaten Guinea und Liberia.

(Foto: AFP)

Versagt hat auch die Weltgesundheitsorganisation

Spätestens wenn der akute Ebola-Flächenbrand eingedämmt ist, wird es Zeit zu analysieren, was schiefgelaufen ist und wie man derartige Katastrophen künftig vermeiden kann. Versagt haben in erster Linie die Gesundheitssysteme der betroffenen Länder, sofern man die miserabel dürftige Krankenversorgung dort überhaupt als Gesundheitssystem bezeichnen mag. Versagt hat auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Obwohl andere Helfer, die früh zur Stelle waren, warnten, die Seuche werde außer Kontrolle geraten, spielte die WHO die Gefahr anfangs herunter. Hinzu kam, dass die Organisation in jüngster Zeit von Budgetkürzungen geschwächt war.

Eine Lehre aus der Katastrophe muss sein: Die Welt kann es nicht mehr stillschweigend hinnehmen, dass es Länder ohne ein Minimum an medizinischer Grundversorgung gibt. Zwar liegt es zunächst an den Regierungen dieser souveränen Staaten selbst, Erlöse etwa aus dem Export von Rohstoffen, die es zum Beispiel in Sierra Leone und Liberia nicht zu knapp gibt, in die eigene Entwicklung zu lenken. Doch zugleich muss die internationale Gemeinschaft sich ihrer Verantwortung stellen. Etatkürzungen bei der WHO werden sich die Verantwortlichen künftig gründlicher überlegen müssen.

Denn eines illustriert diese Seuche so klar wie kaum eine andere Katastrophe zuvor: Der Glaube, die Unterentwicklung in einigen Teile der Welt gehe die Menschen im Westen nichts an, ist so naiv wie gefährlich. Afrikas Probleme sind die Probleme der ganzen Menschheit.

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