Süddeutsche Zeitung

Kampf gegen Ebola:Afrikas Leiden unter der Überheblichkeit des Westens

Ebola ist keineswegs ein unbekannter Keim, der gerade eben aus dem Urwald gesprungen ist. Virologen kennen ihn seit 40 Jahren. Es gibt Mittel dagegen - doch die sind aus Kostengründen nicht ausreichend erforscht und zugelassen. Wie kann es sein, dass vereinzelte Amerikaner sie dennoch bekommen, die Kranken in Afrika aber nicht?

Kommentar von Kathrin Zinkant

Meliandou ist ein Ort im Südwesten Guineas, von Dschungel umgeben. Dort essen die Menschen Fledermäuse, und zwar auch solche, die krank machen. So soll es angefangen haben, im Dezember. Seither breitet sich das Ebola-Virus aus, in Guinea, Sierra Leone, Liberia, Nigeria, vermutlich sogar in Saudi-Arabien. Am Freitag hat die Weltgesundheitsorganisation WHO den internationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen. Das gibt ihr die Möglichkeit, weltweit Vorschriften zu erlassen, um die Krankheit einzudämmen. Der "Outbreak" - jener Horror, den es bisher nur im Kino gab, 1995 in dem berühmten Hollywoodfilm mit Dustin Hoffman - scheint real zu werden. Wie konnte das passieren?

Seit Wochen versuchen Helfer in Afrika vergeblich, den bislang schwersten Ausbruch der Seuche Ebola zu stoppen. Viel war in den vergangenen Wochen von kulturellen Hürden die Rede, davon, dass Afrikaner all den Helfern misstrauen, die da in Folien gewickelt zu ihnen kommen. Oder dass sie sich vor Spritzen fürchten. Dass ihr Wunsch, die Toten zu waschen, alle Prinzipien moderner Krankenhaushygiene untergräbt. Das stimmt auch alles. Aber diese Gründe klangen zugleich so, als ob die Menschen in den Entwicklungsländern bloß richtig aufgeklärt, mit Bildung versorgt, also im Sinne der Wissenschaft missioniert werden müssten. Als ob Seuchenbekämpfung allein eine Frage des Lehrens und des Lernens sei.

Wer andere belehren will, müsste aber zunächst selbst dazulernen. Schließlich hat die Welt schon früher Ausbrüche von Fieber erlebt. Vor knapp zehn Jahren fing das Marburg-Virus in Angola an zu wüten. Es ist eng verwandt mit Ebola. Hunderte Menschen erkrankten. Nur einer von zehn Infizierten überlebte. Auch damals stießen die Helfer auf ähnliche kulturelle Hürden: Menschen versteckten sich, misstrauten Ärzten, schafften ihre Toten fort, um sie zu waschen und zu begraben. Es hieß, die Epidemie lasse sich so nur schwer kontrollieren.

Irgendwann schickte die WHO sogenannte Medizinanthropologen ins Seuchengebiet. Einen Moment lang hatte die Genfer Organisation begriffen, dass sich Kultur nicht einfach abschaffen lässt, dass man medizinisches Vorgehen auch an andere Kulturen anpassen muss. Seitdem gehen die Helfer angeblich etwas weniger rabiat vor, auch jetzt in Westafrika. Das ist aber auch alles. Angst schüren sie nach wie vor.

Hinzu kommt, dass all die Helfer, auch die einfühlsamen, wenig Möglichkeiten haben: Sie können nur sicherstellen, dass das Virus sich nicht weiterverbreitet. Für die Kranken selbst können Ärzte und Pfleger sehr wenig tun, in den verabreichten Spritzen und Tabletten stecken keine Wirkstoffe, die den Erreger bekämpfen. Dabei ist Ebola keineswegs ein unbekannter Keim, eine biochemische Geißel, die gerade eben erst aus dem Urwald gesprungen ist und nun erst einmal unter die Mikroskope gelegt werden müsste. Virologen kennen das Virus seit 40 Jahren. Warum also gibt es kein Mittel dagegen?

Die häufigste Erklärung lautet, es sei schlicht zu teuer. Pharmafirmen nennen eine Summe von bis zu einer Milliarde Euro: So viel würde es kosten, einen Wirkstoff gegen die Infektion zu entwickeln; aber ohne Garantie, dass der Wirkstoff das Leiden beenden kann. Und diese Krankheit, die bis zum Freitag mindestens 1700 Menschen befallen und vermutlich mehr als 1000 getötet hat, tritt dann doch zu selten auf, als dass sich der Aufwand für die Pharmakonzerne lohnte.

So kalt wird kalkuliert, wenn die Entwicklung eines Produkts fast völlig den Gesetzen der Marktwirtschaft überlassen ist. Die Realität entspricht eben nicht dem Kino, wo engagierte Staatsdiener um die halbe Welt fliegen, um in öffentlich finanzierten Hightech-Einrichtungen potente Gegenmittel zu entwickeln, und zwar so schnell, wie es nur geht.

Als bittere Ironie kommt im Fall von Ebola hinzu, dass es schon seit Ende der 1990er-Jahre mehrere Medikamente und sogar zwei Impfstoffe gegen den Erreger gibt. Es gibt sie nicht zuletzt deshalb, weil er von den amerikanischen "Centers for Disease Control" als mögliche Biowaffe eingestuft und auch von der US-Armee erforscht wurde. Antikörper, Medikamente, Impfstoffe, sie sind alle längst im Reagenzglas und sehen teils auch vielversprechend aus. Sie sind nur noch nicht nach den strengen Standards westlicher Zulassungsbehörden geprüft. Und deshalb unerreichbar für die Todkranken.

Es gibt eine Arznei. Zwei Helfern aus den USA wurde sie angeboten

Zumindest für die in Afrika. Als zwei infizierte amerikanische Helfer vor einigen Tagen in ihre Heimat ausgeflogen wurden, bekamen sie einen Antikörpermix, der mit staatlicher Unterstützung von einem Biotech-Unternehmen in Kalifornien entwickelt worden war. Auch diese Arznei war nie zuvor an Menschen getestet worden, deshalb ist sie für eine Behandlung nicht zugelassen. Es weiß auch niemand, wie gut sie eigentlich hilft. Aber zumindest ist da etwas, das man Patienten anbieten kann, wenn sie in Lebensgefahr schweben.

Aber warum nur Amerikanern und Westeuropäern? Wer die Wahl zwischen dem wahrscheinlichen Tod und einer Doch-noch-Chance auf Überleben hat, muss weder in Amerika noch in Deutschland aufgewachsen sein, um zu verstehen, dass es nun keine große Wahl mehr gibt. Es geht darum zu handeln - aber vor allem in Afrika, weniger in Amerika. Der zweifache Pulitzerpreisträger Nicholas Kristof hat in der New York Times allen Ernstes dazu aufgerufen, Krankheiten wie Ebola nicht als humanitäres Problem in fernen Entwicklungsländern zu betrachten, sondern als eine Frage nationalen Interesses. Dieses Interesse bestehe darin, die Seuche vom eigenen Land fernzuhalten.

Was für ein überflüssiger Patriotismus. Experten haben in den vergangenen Wochen immer wieder erklärt, dass sich Ebola in den Industrienationen nicht ausbreiten kann, selbst dann nicht, wenn einzelne Ebola-Patienten gezielt eingeflogen werden oder auch unvermutet hier ankommen. Ebola betrifft deshalb nicht die nationale Sicherheit Deutschlands oder der USA, es geht allein um Menschen, die anderswo sterben und denen man durchaus helfen könnte.

Es ist deshalb an der Zeit, auch einmal über die Kultur dieses Helfens nachzudenken. Darüber, ob die eigene Überheblichkeit oder der patriotische Eifer nicht auch kulturelle Hürden sind. Die WHO hat jetzt immerhin einen kleinen Schritt in die richtige Richtung gemacht und Ethik-Experten ins Ebola-Gebiet geschickt. Man will prüfen, ob die zurückgehaltenen Medikamente vielleicht doch zu den Patienten gebracht werden können. Damit die Hilfe endlich ankommt.

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Quelle:
SZ vom 09.08.2014
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