Süddeutsche Zeitung

Jugend und Psyche:Das Leid der jungen Jahre

Die meisten Krankheitsjahre bei Teenagern werden von neuropsychiatrischen Störungen wie Depressionen, Alkohol-Missbrauch, Schizophrenie und bipolaren Störungen verursacht. Erst auf Platz zwei folgen Unfälle und Verletzungen.

Christian Weber

Die Jugend gilt als gesundheitlich unbeschwerte Zeit: Die Gefahren der Geburt und die Kinderkrankheiten sind überstanden; die üblichen Volkskrankheiten von Krebs bis Herzinfarkt treten meist erst einige Jahrzehnte später auf.

Todesfälle bei Teenagern seien - so eine gängige Vermutung - meist durch den unsachgemäßen Gebrauch von Fortbewegungsmitteln und Feuerwaffen verursacht. Doch gegen diese verharmlosende Sicht der Lage wendet sich nun ein Team von Medizinstatistikern um Fiona Gore von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf, das globale Daten aus dem Jahr 2004 ausgewertet hat (The Lancet, online).

Der Studie zufolge starben im Untersuchungsjahr immerhin 2,6 Millionen der weltweit etwa 1,8 Milliarden jungen Menschen im Alter von 10 bis 24 Jahren; die allermeisten von ihnen in Ländern mit niedrigem bis mittleren Pro-Kopf-Einkommen. Das ist eine Todesrate von 1,4 Promille. Selbst wenn man diese Zahlen als relativ niedrig ansehe, so die Autoren, verdüstere sich das Bild weiter, wenn man nicht nur Mortalität betrachte, sondern das bei der WHO übliche, sogenannte DALY-Konzept verwendet.

Diese englische Abkürzung steht für "disability-adjusted life-years" und bezeichnet sowohl die durch vorzeitigen Tod verlorenen als auch die wegen gesundheitlicher Behinderungen mit eingeschränkter Lebensqualität gelebten Jahre. Wenn man diese Kenngröße anwendet, summiert sich die Krankheitslast der 10 bis 24-Jährigen auf 236 Millionen verlorene Lebensjahre. Das sind 15,5 Prozent der DALYs aller Altersgruppen, die Jungen erscheinen daher im Vergleich keineswegs besonders gesund zu sein.

Besonders bedeutsam erscheint der Forschergruppe, dass die meisten Krankheitsjahre junger Menschen, nämlich 45 Prozent, von neuropsychiatrischen Störungen verursacht werden - Depressionen, Alkoholmissbrauch, Schizophrenie und bipolaren Störungen.

Erst auf Platz zwei folgen Unfälle und Verletzungen (vor allem im Straßenverkehr), mit zwölf Prozent infektiöse sowie mit zehn Prozent Anteil parasitäre Erkrankungen. Diese Zahlen verdeutlichen nach Ansicht der Studienautoren, dass sich die internationale Gesundheitspolitik in Zukunft vermehrt um die jüngeren Menschen kümmern sollte, zumal die psychischen Krankheiten unbehandelt häufig einen chronischen Verlauf nehmen, der auch die Anfälligkeit für körperliche Krankheiten erhöht.

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SZ vom 07.06.2011/mcs
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