Drei Ärzte über ihre Erfahrungen:"Irgendein Patient ist immer unzufrieden - Jameda lebt davon"

Lesezeit: 4 Min.

Wie umgehen mit schlechten Bewertungen bei Jameda? (Foto: Uli Deck/dpa)

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass das Bewertungsportal Jameda das Profil einer Ärztin löschen muss. Viele Ärzte sehen die Seite kritisch, auch wenn sie dort gute Noten erhalten. Drei Mediziner erzählen.

Protokolle von Jan Schwenkenbecher und Felix Hütten

Im Internetportal Jameda können Patienten ihre Ärzte nach dem Schulnoten-Prinzip bewerten. Etwa "275 000 Ärzte und andere Heilberufler" listet das Portal laut eigenen Angaben in seiner Datenbank. Jetzt hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe einer Kölner Hautärztin rechtgegeben, die gegen ihren Eintrag geklagt hatte. Jameda muss nun die Daten der Ärztin vollständig löschen. Auch andere Ärzte sehen das Portal kritisch und wünschen sich mehr Transparenz. Drei Erfahrungsberichte.

Adam Kaiser, Augenarzt, Jameda-Note: 4,6

Als ich die Bewertungen entdeckt habe, hat mich das wirklich getroffen. Eines Tages habe ich die Adresse eines Kollegen gesucht und dachte, da schaust du jetzt mal im Internet nach. So kam ich auf seinen Eintrag. Und dann habe ich natürlich auch nach meinem Eintrag geschaut. Ich versuche wirklich immer, nicht nur fachlich gut zu arbeiten, sondern den Patienten auch menschlich gerecht zu werden. Aber natürlich bin auch ich mal gut und mal schlecht drauf, ich war bestimmt nicht zu jedem Patienten immer der absolute Strahlemann. Aber so wie ich da geschildert werde, sehe ich mich selbst nicht. Wenn man mit so etwas konfrontiert wird, ist das schon ein Schlag in die Magengrube.

Ich habe dann eine Arzthelferin beauftragt, Jameda im Blick zu behalten. Die Leute glauben ja, dass man sie nicht identifizieren kann, wenn sie dort eine Beurteilung schreiben. Das stimmt aber nicht. Ich behandle etwa 70 bis 80 Patienten am Tag und erinnere ich mich durchaus an einzelne Probleme. Und wenn Patienten dann wieder in die Praxis kommen, spreche ich sie auch darauf an.

Zum Beispiel: Ich habe einen Patienten operiert, es hat alles gut geklappt, nur brauchte er besondere Linsen, die von der Kasse nicht bezahlt wurden. Das habe ich mit ihm besprochen und ihm die Linsen dann in Rechnung gestellt. Daraufhin hat er sich auf Jameda beschwert, von einem Kunstfehler geschrieben und mir mit einer Klage gedroht. Ich habe an Jameda geschrieben, dass ich diesen Eintrag nicht akzeptiere und er ist dann auch innerhalb weniger Stunden verschwunden. Dummerweise habe ich ihn aber vorher nicht kopiert, denn später kam es tatsächlich zu einer Gerichtsverhandlung. Ich hätte den Eintrag da gerne gezeigt, aber Jameda wollte ihn mir nicht mehr zusenden. Letztlich musste der Patient alles bezahlen.

Ich habe es auch erlebt, dass Patienten mir mit einem schlechten Jameda-Eintrag gedroht haben, um unberechtigte Behandlungen, Termine oder Krankmeldungen zu bekommen. An meinem Rating sieht man, dass sie damit nie weit gekommen sind. Ich war am Anfang durch die schlechten Beurteilungen sehr getroffen, mittlerweile denke ich mir, dass sich ruhig an mir reiben soll, wer das will. Irgendein Patient ist immer unzufrieden - und das ganze Jameda-System lebt davon.

Anja Meurer, Internistin, Jameda-Note: 1,2

In Jameda ist ja quasi jeder niedergelassene Arzt verzeichnet, Patienten finden einen also, ob man will oder nicht. Kurz nachdem auch unsere Praxis dort aufgelistet wurde, habe ich eine interessante Erfahrung gemacht: Ein Patient, der psychisch krank ist, hat uns eine extrem schlechte Bewertung hinterlassen, zudem zwei mehrseitige Beschwerdebriefe direkt in die Praxis geschickt. Dieser Patient hat bei einem Kollegen von mir eine ähnliche, fast identische Bewertung hinterlassen. Der Kollege hat Jameda gebeten, diese zu löschen - was auch passiert ist. Die Bewertung auf unserer Seite aber ist nach wie vor zu lesen.

Wir hatten bis vor Kurzem eine Goldmitgliedschaft bei Jameda, sodass Patienten die Möglichkeit bekommen, direkt über das Portal einen Termin zu vereinbaren. Mittlerweile aber vergebe ich diese Termine doppelt, denn mindestens 70 Prozent dieser Patienten kommen nicht, sagen gar nicht oder sehr kurzfristig ab. Zumindest diese Patienten scheinen also nicht unter dem oft beklagten Terminmangel zu leiden. Deshalb haben wir die Goldmitgliedschaft auch wieder gekündigt. Ich möchte auch nicht, dass Patienten denken, wir würden gute Bewertungen kaufen, das hört man ja immer wieder mal.

Generell freut es mich natürlich, wenn uns Patienten positiv bewerten. Allerdings kommen die allermeisten Patienten über persönliche Empfehlungen zu uns, nicht über Jameda. Durch unsere sehr guten Bewertungen entsteht auch ein gewisser Anspruch. Einige wenige Patienten beschweren sich dann zum Beispiel über lange Wartezeiten. Doch wenn viele Menschen krank sind, wie jetzt zur Grippe-Zeit, dann dauert es eben manchmal etwas länger. Wichtig ist doch, dass man an einen kompetenten und einfühlsamen Arzt gelangt, dafür wartet man dann doch auch mal gerne.

Ich sehne mich auch überhaupt nicht nach einer Schlammschlacht, aber an manchen Tagen frage ich mich schon, wo eigentlich das Portal bleibt, über das man Patienten bewerten kann. Ein Beispiel: Wer von uns Tabletten verschrieben bekommt, 100 Stück, weiß doch am ersten Tag, dass er in 99 Tagen eine neue Packung braucht. Einige meiner Patienten, die das betrifft, rufen aber am Tag 100 an und brauchen dann sofort ein neues Rezept. So entstehen lange Wartezeiten.

Michael Lange, Internist und Diabetologe, Jameda-Note: 4,6

Eine schlechte Bewertung ist natürlich geschäftsschädigend. Ich wusste auch lange gar nichts davon, bis mich langjährige Patienten darauf angesprochen haben. Ich habe dann versucht, bei Jameda herauszufinden, von wem diese Einträge kommen, habe aber keine Auskunft erhalten. Das Portal ist in meinen Augen völlig intransparent. Ich weiß also nicht mal, ob diese Patienten wirklich bei mir waren, im Prinzip kann da ja jeder etwas reinschreiben. Ich habe von einer Patientin gehört, dass sie eigentlich nicht zu mir kommen wollte, weil sie die schlechten Bewertungen gesehen hat. Sie war dann ganz verblüfft, dass sie von mir gut behandelt wurde.

Ich bin als Spezialist überregional bekannt, meine Patienten sind zufrieden mit mir. Wenn Patienten das erste Mal kommen, nehme ich mir für sie besonders viel Zeit und wenn sie dann aber warten müssen, sind sie trotzdem sauer und beschweren sich im Internet. Jameda ist die große Konkurrenz zu einem anderen Bewertungsportal für Ärzte. Auf diesem habe ich nur sehr gute Bewertungen und ich bekomme schlechte vor der Veröffentlichung zugeschickt, da ich Mitglied bin und einen Beitrag zahle. Bei Jameda bekomme ich keine Nachricht.

Ich wäre dankbar, wenn man sich mit der Kritik auseinandersetzen könnte, wenn man wüsste, wer da schreibt, wenn man das Problem besprechen könnte. Ich habe mir überlegt, auf die Kommentare einzugehen, mich dann aber dagegen entschieden, weil manche Einträge auch schon lange her sind.

Für mich als Arzt entsteht ein großer Druck. Vor Kurzem wollte ein Patient einen neuen Insulin-Pen, obwohl seiner noch tadellos funktionierte. Ich habe daher keinen verordnet, da die Kosten schließlich die Allgemeinheit tragen muss. Der Patient aber ist der Meinung, dass ihm dieser zusteht und hat mir daraufhin eine schlechte Bewertung gegeben. Ärzte haben Angst vor solchen Ereignissen. Wenn ich etwas nicht aufschreibe, beispielsweise Antibiotika bei einer viralen Erkältung, fühlen sich manche Patienten schlecht behandelt, obwohl eine Verordnung medizinisch falsch wäre und ihnen sogar schaden kann. Sie beschweren sich dann im Netz und gehen zum nächsten Arzt. Wir sind damit fast schon erpressbar, Meinungsverschiedenheiten werden öffentlich ausgetragen. Das ist schade.

© SZ.de/fehu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: