Irak:Nach dem Krieg kam der Krebs

Im Südirak steigt die Zahl von Leukämie-Fällen bei Kindern kontinuierlich an. Sind die Chemie-Abfälle des Krieges verantwortlich?

Dennis Ballwieser

Basra im Südirak ist vom Krieg gezeichnet. Neben offensichtlichen Zerstörungen haben die Kämpfe der Stadt eine verborgene Last aufgebürdet: In drei Kriegen seit 1980 wurde die Region unter anderem mit chemischen Kampfstoffen, Uranabfällen und krebserregenden Benzenen belastet.

Irak, Kind, Reuters

Hunger, Vertreibung, Verluste oder Krankheiten: Kinder leiden auf vielerlei Weise unter Kriegen.

(Foto: Foto: Reuters)

Aus der Millionenstadt an der Grenze zwischen dem Irak und Kuwait berichten irakische und US-amerikanische Wissenschaftler jetzt von einer kontinuierlichen Zunahme der Fälle kindlichen Blutkrebses (American Journal of Public Health, online) zwischen 1993 und 2007. Warum sich die Zahl der Leukämie-Fälle erhöht hat, wissen die Epidemiologen allerdings noch nicht.

Im Jahr 1993 lag die Zahl kindlicher Leukämien in der Region bei 2,6 Fällen pro 100.000 Einwohner. Die Forscher sind aber der Meinung, dass die tatsächlichen Zahlen höher lagen, weil zu dieser Zeit viele Patienten nicht erfasst wurden. Das Phänomen ist aus Entwicklungsländern bekannt. In Industriestaaten wie Deutschland wird die Zahl der Erkrankungen zuverlässiger registriert, entsprechend höher scheint die Leukämierate zu sein. In Deutschland liegt die Zahl zum Beispiel konstant zwischen vier und fünf Fällen pro 100.000 Einwohner.

Für das Jahr 2007 errechneten die Mediziner für die Region Basra hingegen 6,9 Krebsfälle pro 100.000 Einwohner. Die Zunahme ist aus Sicht der Forscher nicht alleine durch die bessere Erfassung zu erklären, die Werte liegen über jenen für das benachbarte Kuwait.

Die Auslöser für Leukämien bei Kindern sind weitgehend unklar, es gibt aber Hinweise darauf, was das Risiko erhöhen könnte. "Zufällige genetische Mutationen im Laufe des Lebens spielen eine wichtige Rolle", sagt Ursula Creutzig von der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie. "Einflussfaktoren von außen können außerdem hineinspielen." Die Wissenschaftler der Universität von Basra und der Universität Washington in Seattle bringen in ihrer Studie als mögliche Einflussfaktoren die Chemie-Abfälle der Kriege in die Diskussion.

"Die Studie ist sehr solide gemacht, hat aber natürlich mit Einschränkungen zu kämpfen", sagt der Leiter des Deutschen Kinderkrebsregisters Peter Kaatsch. "Es gibt Daten aus nur einem Krankenhaus, deshalb ist die Hochrechnung auf die Gesamtbevölkerung schwierig. Die Kriegswirren machen das noch komplizierter."

Die irakischen und US-Forscher sehen das Problem teilweise entkräftet, weil krebskranke Kinder aus der Region nur in Basras Ibn-Ghazwan-Krankenhaus behandelt würden und Umfragen unter Ärzten im benachbarten Kuwait und in Bagdad ergeben hätten, dass der Klinik kaum Patienten entgingen.

Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg

Neben der naheliegenden Hypothese der Chemikalien als Verursachern des Anstiegs bringen die Forscher eine weitere Theorie als Erklärungsversuch ins Spiel, die in den neunziger Jahren der britischen Krebsforscher Leo Kinlen aufstellte: Ihm war aufgefallen, dass es im Zweiten Weltkrieg auf den britischen Orkney- und Shetlandinseln Großbritanniens zu mehr kindlichen Leukämiefällen gekommen war, nachdem dort Zehntausende Soldaten stationiert waren.

Nach dem Krieg fielen die Zahlen wieder. Diese Beobachtung stützt Kinlens Theorie, nach der Infektionskrankheiten einen Anteil am Entstehen der Leukämien haben. Werden wie in Kriegen Bevölkerungsgruppen durch Flucht oder Vertreibung gemischt, die sonst kaum Berührung haben, könnte es durch Infektion mit vorher in diesen Gruppen kaum vorkommenden Krankheiten auch zu einer Zunahme der Leukämiefälle kommen.

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