iPad bei Sprachstörungen:Wischend zum Gespräch

Programme auf dem iPad können Kindern mit Sprachstörungen helfen, sich mitzuteilen. In Internetforen berichten Eltern voller Enthusiasmus von den technischen Hilfsmitteln. Doch nicht alle Apps taugen etwas. Mitunter verschärfen sie die Probleme nur.

Katrin Blawat

Ohne das Computerwissen seines Vaters könnte sich Victor Pauca nicht ausdrücken. Der Junge aus North Carolina leidet an einer Erbkrankheit, dem Pitt-Hopkins-Syndrom. Es beeinträchtigt die geistige Entwicklung und damit oft, wie bei Victor, das Sprachvermögen. Also entwickelte Victors Vater Paul, Computerwissenschaftler an der Wake Forest University, eine App für das iPad. Mit ihrer Hilfe kann sich sein Sohn nun mitteilen, indem er Symbole für Gegenstände, Personen und einfache grammatikalische Strukturen antippt. Auch kleine Geschichten lassen sich mit dem Programm Verbal Victor erzählen - allerdings nur auf Englisch.

iPad hilft Behinderten

iPads helfen manchen Menschen mit Behinderungen oder Sprachstörungen.

(Foto: dpa)

Viele Eltern schwärmen in Internetforen davon, wie ihre Kinder dank der App aufgeschlossener werden, weil sie sich plötzlich ausdrücken können. Und nicht nur Verbal Victor kommt in den Bewertungen gut weg. Unübersichtlich viele weitere Apps für das iPad und Smartphones sind auf dem Markt. Sie wollen es Menschen erleichtern zu kommunizieren, die wegen einer Behinderung oder Krankheit nicht sprechen können. Auch für andere Formen körperlicher oder geistiger Einschränkungen verspricht die Welt der Apps Hilfe. Und es stimmt: Die richtigen Programme können Behinderten den Alltag erheblich erleichtern.

Für gehbehinderte Menschen gibt es Programme, die auf einer Karte anzeigen, welche Orte für Rollstuhlfahrer gut erreichbar sind. Wer als Rollstuhlfahrer eine Kneipe sucht, will auch wissen, wo Essen, Musik und Atmosphäre stimmen. Vor allem aber muss er wissen, ob am Eingang Stufen sind, ob zwischen den Tischen genug Platz für den Rollstuhl bleibt, und ob er die Toiletten benutzen kann.

Solche Informationen liefert etwa die Internetseite wheelmap.org, die auch eine App anbietet. Das Programm funktioniert nach dem Wikipedia-Prinzip und lässt sich in verschiedenen Sprachen nach rollstuhlgerechten Kneipen, Theatern, Schwimmbädern und Bibliotheken durchsuchen. Ähnlich funktionieren Programme, die rollstuhlgerechte öffentliche Toiletten und Tankstellen anzeigen.

Technisch gesehen sind solche Programme vergleichsweise simpel. Deutlich mehr müssen Apps leisten, die für die unterstützte Kommunikation gedacht sind. Sie sollen beispielsweise Menschen mit angeborenen Sprachstörungen Alltagsgespräche ermöglichen - und das sind erstaunlich komplexe Situationen.

Schon für Menschen mit leichtem Autismus beispielsweise gibt es kaum etwas Schwierigeres als ein normales Gespräch. Sie können oft nicht einschätzen, wie lange die Pausen in einem Gespräch üblicherweise dauern, wie viel Zeit sich ihr Gegenüber mit seiner Antwort lässt, und auch was Mimik und Körperhaltung zu bedeuten haben. So kann ein Gespräch schon daran scheitern, dass sie dem Gesprächspartner ständig ins Wort fallen oder ihn zu lange auf die Antwort warten lassen. Die meisten Programme für das iPad wurden für Kinder wie Victor entwickelt, die sich nie normal unterhalten konnten. Oft tun sie sich schwer, überhaupt mit anderen Kontakt aufzunehmen.

Forscher verstehen erst allmählich, welchen Einfluss die vermeintlichen Nebensächlichkeiten auf ein Gespräch haben. Kein Wunder also, dass Apps mit dieser Komplexität überfordert sein können. Eine einfache Bitte lässt sich leicht vermitteln, etwa: "Ich möchte einen Apfel essen." Es genügt, auf das entsprechende Symbol zu deuten - das Kind könnte allerdings auch einfach auf das Obst auf dem Tisch zeigen.

80 Prozent der deutschsprachigen Angebote taugen nichts

Geht es aber darum, längere Gespräche zu führen und Erlebnisse aus dem Kindergarten wiederzugeben, stoßen derzeit noch viele Programme an ihre Grenzen: Wortschatz und Grammatik sind nicht umfangreich genug. Ungelöst ist bislang auch das Problem, dass ein Kind beispielsweise auf dem iPad ein Bild malt und mit einem weiteren Programm gleichzeitig erzählen will, was es gerade malt. Entweder malen oder sich verständigen - beides zugleich lässt die Technik meist nicht zu.

Die Idee, Menschen mit Sprachstörungen technisch zu unterstützen, ist dabei nicht gerade neu. Neu ist aber, wie viele Menschen ein iPad besitzen und dass sie es als Hilfsgerät akzeptieren. Manche scheuten sich bislang, speziell für Behinderte entwickelte Geräte zu nutzen. Zudem kosten klassische Hilfsmittel oft mehrere tausend Euro. Dafür gibt es allerdings eine Einführung, wie sie die Hilfsmittel einsetzen und ihren Wünschen anpassen können - ein Service, der bei den deutlich billigeren Apps fehlt.

Die Eltern behinderter Kinder scheint das kaum zu stören. YouTube-Videos aus den USA und begeisterte Einträge in Internet-Foren zeigen, welch große Hoffnungen viele Eltern in die Kommunikations-Programme setzen. Rahel Wälti arbeitet als Heilpädagogin für die Schweizer Stiftung für Elektronische Hilfsmittel (FST) und weiß aus ihrer täglichen Arbeit, welch großen Einfluss das iPad inzwischen in Familien mit einem behinderten Kind hat. "Früher kamen die Eltern zur Beratung, und wir überlegten, welche Hilfsmittel das Kind braucht", sagt Wälti. "Heute kommen Familien mit dem iPad zu mir und fragen: Was können wir damit für unser Kind tun?"

Oft muss Wälti dann erklären, dass nicht jede App, die auf den ersten Blick wie die Lösung für ein Alltagsproblem erscheint, auch etwas taugt. Manchmal können die Programme sogar von Nachteil sein, etwa dann, wenn das Kind zwar gerne mit dem Gerät herumspielt, weil es von der Technik fasziniert ist, aber nicht, weil es so mit anderen Menschen in Kontakt treten kann.

Dennoch weiß auch Wälti um die Vorteile der Apps: "Über das iPad kommen viele Eltern und Kinder zur unterstützten Kommunikation, für die bislang die Hemmschwelle zu hoch war. Das ist zunächst einmal gut." Doch rund 80 Prozent der deutschsprachigen Angebote taugten nichts. "Oft will ein Kind mithilfe des Programms etwas ganz anderes sagen, als die Eltern glauben, dass es sagen will", weiß Wälti aus Erfahrung.

Eltern falle es oft schwer zu erkennen, dass solche Missverständnisse auch eine Frage des passenden Computerprogramms sind. Für einigermaßen empfehlenswert hält Wälti die App Meta-Talk-De, entwickelt von der Mutter eines sprachbehinderten Kindes. Viele der Programme stammen von betroffenen Laien. Das hat zwar den Nachteil, dass die Technik oft nicht ausgefeilt ist. Doch dafür wissen die Entwickler besser als jeder andere, worauf es in der Praxis ankommt.

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