Süddeutsche Zeitung

Zeckengefahr:"Fälle nördlich der bislang bekannten Risikogebiete nehmen zu"

Wissenschaftler beobachten vermehrt Infektionen durch Zecken im Norden Deutschlands. Wie groß die Gefahr dort wirklich ist, erklärt Gerhard Dobler vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr.

Interview von Felix Hütten

Zecken-Alarm in Norddeutschland? Wissenschaftler berichten im Rahmen des 4. Süddeutschen Zeckenkongresses an der Universität Hohenheim von einer Ausbreitung des FSME-Virus im Norden Deutschlands. Das Virus wird von Zecken übertragen und kann grippeähnliche Beschwerden bis hin zu einer gefährlichen Hirnhautentzündung verursachen, eine Impfung bietet Schutz. Bislang galt der Norden Deutschlands weitgehend als frei von FSME - bis jetzt. Doch wie groß ist dort die Gefahr? Fragen an Oberfeldarzt Gerhard Dobler, Leiter des Konsiliarlabors für Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Zeckenkongresses.

SZ: Herr Dobler, muss ich mir in Osnabrück oder Rostock fortan Sorgen um eine FSME-Infektion durch Zecken machen, wenn ich dort durch Wiesen und Wälder streife?

Wenn Sie dort im Wald regelmäßig arbeiten oder Sport treiben, dann gibt es tatsächlich für bestimmte Regionen, zum Beispiel in Niedersachen, durchaus die Empfehlung, sich gegen FSME impfen zu lassen. Der Begriff "Norddeutschland" ist daher womöglich etwas verwirrend. Wir sehen Infektionsfälle zum Beispiel auch in einem Gebiet an der niedersächsisch-niederländischen Grenze oder in Ostsachsen. Mit "Norden" bezeichne ich also grundsätzlich Regionen oberhalb der bislang bekannten endemischen Gebiete im südlichen Teil Deutschlands.

Ein Sonntagsausflug zum Beispiel in der Dresdner Heide wird also zunehmend bedenklich?

Wenn Sie nur mal kurz im Wald spazieren gehen, erachte ich persönlich das Risiko einer FSME-Infektion als sehr gering. Die Entscheidung für oder gegen eine Impfung muss man je nach persönlicherer Situation in jeder Region individuell treffen. Hier spielt natürlich auch das eigene Sicherheitsempfinden eine Rolle: Wünschen Sie eine Vollkaskoversicherung oder nehmen Sie das doch sehr geringe Risiko auf sich?

In einer Pressemitteilung der Universität Hohenheim, an der aktuell der Zeckenkongress stattfindet, war bereits vergangene Woche die Rede von neuen "FSME-Hotspots" im Norden? Das klingt deutlich dramatischer als Ihre Beschreibung.

Ich weiß nicht, woher das Wort "Hotspot" kommt, ich würde es auch nicht verwenden. Ich spreche lieber von Naturherden, also Gebieten, in denen wir das Virus über mehrere Jahre nachweisen konnten; beziehungsweise mehrere Erkrankungsfälle über mehrere Jahr aufgetreten sind, zum Beispiel in Lingen an der niederländischen Grenze.

Der Zeckenkongress wird unter anderem vom Pharmaunternehmen Pfizer unterstützt, das auch FSME-Impfstoffe verkauft. Da könnten neue "Hotspots" im Norden natürlich gelegen kommen, denn so vergrößert sich die Kundschaft für Impfstoffe.

Es stimmt, dass Pfizer wie auch andere Unternehmen den Kongress unterstützt, das ist durchaus üblich. Nichtsdestotrotz ist es ein wissenschaftlicher Kongress. Die Pharmafirmen haben keine Möglichkeit, Einfluss auf den Inhalt der Tagung zu nehmen. Das obliegt ausschließlich dem wissenschaftlichen Komitee, in dem ich auch Mitglied bin.

Dennoch ist es auffällig, dass in der Mitteilung der Universität eine eher dramatische Beschreibung zu lesen ist und darin auch eine Impfempfehlung ausgesprochen wird. Das in Deutschland für die Krankheitsüberwachung zuständige Robert Koch-Institut hingegen beschwichtigt und spricht von Einzelfällen - eine Nordausdehnung oder gar einem Trend zu mehr FSME-Fällen könne man aus den Daten nicht zwingend ableiten.

Ich gebe dem RKI durchaus recht, es sind Einzelfälle. Aber: Die Daten zeigen eindeutig einen Trend, dass in Regionen nördlich der bislang bekannten Risikogebiete die Fälle zunehmen. Wenn wir über mehrere Jahre in einem bestimmten Bereich das Virus nachweisen können, dann müssen wir davon ausgehen, dass es sich dort etabliert hat. Darauf wollten wir hinweisen.

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SZ.de/fehu
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