Infektionskrankheiten:Zehntausende Europäer sind HIV-positiv - und wissen nichts davon

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Im Schnitt vergehen in Europa drei Jahre zwischen HIV-Infektion und Diagnose. (Foto: dpa; Collage Jessy Asmus für Jetzt.de)
  • Europa ist der einzige Kontinent, auf dem die Zahl der Neuinfektionen weiter ansteigt.
  • Jeder zweite Infizierte der Region erfährt viel zu spät, dass er sich mit dem Aids-Erreger angesteckt hat.
  • Viele Betroffene halten das positive Testergebnis so spät in der Hand, dass ihnen nur noch Wochen bleiben, bis die Krankheit ausbricht.

Von Berit Uhlmann

Im weltweiten Kampf gegen die Immunschwächekrankheit Aids sticht ein Erdteil besonders unrühmlich hervor: Europa ist der einzige Kontinent, auf dem die Zahl der Neuinfektionen weiter ansteigt. In der WHO-Region, zu der allerdings auch einige asiatische Staaten zählen, haben sich im vergangenen Jahr 160 000 Menschen mit dem HI-Virus angesteckt.

Eine solch starke Zunahme ist in dieser Gegend nie zuvor dokumentiert worden, mahnt WHO-Regionaldirektorin Zsuzsanna Jakab kurz vor dem Welt-Aids-Tag. Der Großteil der neuen Fälle wurde in den östlichen Ländern registriert. Ganz oben in der Statistik steht die Ukraine mit 34 neuen HIV-Diagnosen pro 100 000 Einwohner.

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Der Anstieg der Neuinfektionen wird nach Einschätzung der WHO vor allem von "einem beunruhigenden Trend" angetrieben. Jeder zweite Infizierte der Region erfährt viel zu spät, dass er sich mit dem Aids-Erreger angesteckt hat. Im Schnitt vergehen drei Jahre, ehe die Infektion diagnostiziert wird. Viele Betroffene halten das positive Testergebnis so spät in der Hand, dass ihnen nur noch Wochen bleiben, bis die Krankheit ausbricht. Hinter ihnen liegen lange Zeiten der Ahnungslosigkeit, in denen sie möglicherweise andere Menschen angesteckt haben.

Ausgerechnet jetzt kommen schlechte Signale aus den USA

In Deutschland ist die Entwicklung nicht ganz so dramatisch. Nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts haben etwa 14 Prozent aller Träger des HI-Virus keine Ahnung von ihrem Status. Dennoch: Das sind immerhin fast 13 000 Menschen. Ihre Zahl steigt seit etwa 20 Jahren langsam, aber kontinuierlich an.

Die verspäteten Diagnosen sind auch der Schwachpunkt im globalen Vorgehen gegen die Krankheit. Die Vereinten Nationen haben sich zum Ziel gesetzt, dass 90 Prozent aller Infizierten bis zum Jahr 2020 identifiziert werden sollen. Von diesen sollen wiederum 90 Prozent antiretrovirale Medikamente erhalten, die ihrerseits in 90 Prozent der Fälle so gut wirken sollen, dass kein Virus im Blut mehr nachweisbar ist. 90-90-90 heißt die griffige Formel. Doch die weltweite Bilanz von 2016 lautet 70-77-82. Als Wissenschaftler im vergangenen Jahr die Fortschritte in allen Teilen der Erde analysierten, fanden sie kein einziges Land, dass alle Ziele erreicht hätte.

Ausgerechnet jetzt kommen Signale aus den USA, welche die Lage weiter verschärfen könnten. Das Land ist seit Jahren der mit Abstand größte staatliche Geldgeber für die weltweite Behandlung und Vorbeugung der Erkrankung. Doch im Haushaltsentwurf für 2018 hat die Regierung etwa eine Milliarde Dollar weniger für die Aids-Hilfe veranschlagt. Die amerikanische Nichtregierungsorganisation One schätzt in einem aktuellen Bericht, dass Kürzungen in dieser Größenordnung etwa 300 000 Menschen jährlich das Leben kosten könnten. Sie könnten zugleich die Zahl der Neuinfektionen pro Jahr um zusätzliche 1,75 Millionen wachsen lassen.

Noch ist nicht abzusehen, wie es mit dem US-Engagement langfristig weitergeht. Sicher aber ist, dass die Welt eher noch größere Anstrengungen als bisher benötigt. Während erfreulicherweise immer weniger Infizierte sterben, stecken sich in jeder Minute irgendwo auf der Welt drei weitere Menschen an. Derzeit leben fast 37 Millionen Menschen mit dem Virus. Es werden mehr werden.

© SZ vom 29.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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