Süddeutsche Zeitung

Infektionskrankheiten:Die nächste große Seuche

Ebola ist noch nicht ausgestanden, da diskutieren Experten bereits, welche Epidemie als nächstes kommen könnte. Und wie sich die Welt am besten darauf vorbereitet.

Von Kai Kupferschmidt

In Saudi-Arabien ist Frühling, und erneut steigt die Zahl der Menschen, die sich mit einem tödlichen Virus anstecken: Mers, Middle Eastern Respiratory Syndrome, heißt die Krankheit, die erst 2012 entdeckt wurde. Mehr als 1000 Menschen sind seither erkrankt, 400 von ihnen sind gestorben. Das Virus wird vermutlich durch Dromedare übertragen, Genaues weiß man nicht. Auch warum die Zahl der Erkrankungen offenbar immer im Frühjahr ansteigt, ist noch unklar.

"Das klopft an die Tür, und die Frage ist, ob wir es ernst nehmen oder nicht."

Der Erreger macht viele Forscher nervös. Zum einen ist er eng mit dem Sars-Virus verwandt, das sich 2003 rasch ausbreitete und fast 800 Menschen tötete, bevor es gestoppt werden konnte. Zum anderen gehören Sars und Mers zur Gruppe der Coronaviren. In dieser Gruppe finden sich Erkältungsviren, die schon lange unter Menschen zirkulieren. Das deutet darauf hin, dass auch Mers sich anpassen könnte, so dass es leichter von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Sollte das passieren, könnte das Virus sich weltweit verbreiten und eine Katastrophe auslösen, sagt der niederländische Virologe Albert Osterhaus. "Es klopft an die Tür, und die Frage ist, ob wir es ernst nehmen oder nicht."

Noch ist Ebola in Westafrika nicht besiegt. Doch Forscher diskutieren bereits, was das nächste Killervirus sein könnte und wie die Welt sich dieses Mal besser darauf vorbereiten kann. Nach der Seuche ist vor der Seuche, lautet die Devise. "Wir hatten genug Zeit, einen Impfstoff gegen Ebola zu entwickeln, und wir haben es nicht gemacht", sagt Osterhaus. "Das darf uns nicht noch einmal passieren."

Auf einer Konferenz Anfang der Woche in Amsterdam zeigte der britische Impfstoffforscher Adrian Hill eine Liste von 15 Krankheiten. Mers ist dabei. Und Ebola. Aber auch Erreger, von denen die meisten Menschen nie gehört haben, die manchen Forschern aber Angstschweiß auf die Stirn treiben: Das Nipah-Virus oder das Hendra-Virus zum Beispiel.

Gegen keines davon gibt es einen für Menschen zugelassenen Impfstoff. "Das müssen wir ändern", sagt Hill. Seine Idee: Impfstoffe sollten gegen diese Krankheiten entwickelt und am Menschen auf Sicherheit getestet werden. Dann könnten einige Zehntausend Dosen davon eingelagert werden, um im Ernstfall schnell einsatzbereit zu sein. Pro Impfstoff würde das etwa 20 Millionen Euro kosten, schätzt Hill. "Im Vergleich zu dem, was der Ebola-Ausbruch die Welt schon jetzt gekostet hat, ist das ein Klacks", sagt er.

Dass es sich bei den Erregern auf Hills Liste ausschließlich um Keime handelt, die in Tieren zirkulieren, ist kein Zufall. Die meisten Erreger, die den Menschen plagen, kommen ursprünglich von Tieren. Tollwut wird meistens von Hunden übertragen, das Ebolavirus stammt wohl von Fledermäusen, die Vogelgrippe H5N1 von Enten. Immer wieder infizieren sich Menschen mit solchen sogenannten Zoonosen, doch in aller Regel bleibt es bei kleineren Ausbrüchen.

Denn meistens übertragen sich die Erreger schlecht von Mensch zu Mensch. Das Mers-Virus zum Beispiel vermehrt sich in Kamelen in den oberen Atemwegen und wird dann im Nasensekret ausgeschieden. Beim Menschen dagegen infiziert der Erreger die unteren Atemwege und kann sich so schlechter ausbreiten. Jede Infektion eines Menschen bietet Erregern allerdings die Chance, sich anzupassen. Dann kann das Tiervirus zur Infektionskrankheit beim Menschen werden.

Auch das Umfeld spielt eine Rolle. Das Ebolavirus in Westafrika etwa unterscheidet sich kaum von den Erregern in früheren Ausbrüchen. Die Epidemie ist vor allem deshalb so katastrophal, weil die Menschen in Westafrika so mobil und die Gesundheitssysteme so schlecht sind, weil Beerdigungsriten zur Ausbreitung des Virus geführt haben und Misstrauen in der Bevölkerung die Bekämpfung behindert hat.

Die gefährlichsten Erreger auszuwählen, sei aber nicht leicht, sagt Christian Drosten von der Universität Bonn. Für viele Viren kann man kaum einschätzen, ob sie sich an den Menschen anpassen werden. Das Mers-Virus zum Beispiel wirkte bei seiner Entdeckung besonders bedrohlich. Inzwischen gibt es Hinweise, dass es seit mehr als 20 Jahren in Kamelen vorkommt und sich kaum verändert. "Mit allem, was wir in den letzten drei Jahren gelernt haben, halte ich es heute für sehr viel unwahrscheinlicher, dass Mers zu einem weltweiten Problem wird", sagt Drosten.

Ohnehin sind die 15 Namen auf Hills Liste nur der Anfang, die bekannten Bedrohungen. "Ich glaube, dass man sich ganz grob verschätzt, wenn man denkt, dass man das nächste Virus unter den 'einschlägigen Kandidaten' finden kann", sagt Drosten. Im Tierreich lauern Hunderttausende Viren, die noch niemand kennt. Einige von ihnen könnten die nächste Seuche beim Menschen auslösen. Forscher beginnen nun erstmals, systematisch nach diesen Erregern zu suchen.

Das US-amerikanische Predict-Projekt zum Beispiel sammelt Proben von Affen, Fledermäusen und Nagetieren in 20 Ländern in Afrika und Asien. Die Forscher entziffern das Erbgut und vergleichen es mit bekannten Viren. "Am interessantesten sind für uns Viren, die verwandt sind mit bekannten Krankheitserregern im Menschen", sagt Jon Epstein, ein Veterinärmediziner der Eco Health Alliance, einer Nichtregierungsorganisation, die an dem Projekt beteiligt ist.

Zwischen 2006 und 2010 haben Epstein und Kollegen Hunderte Flughunde in Bangladesch eingefangen. In diesen fanden sie insgesamt 55 Viren, 50 davon waren vorher noch nie beschrieben worden. Insgesamt, schätzen die Forscher, könnte es etwa 320 000 Viren zu entdecken geben - allein bei Säugetieren.

Der Mensch muss sein Verhalten ändern

Angesichts dieser Vielfalt sei es fast unmöglich, sich mit Impfstoffen zu schützen, sagt Epstein. Vielmehr müsste der Mensch sein Verhalten ändern: "Jedes Mal, wenn wir so einen Ausbruch untersuchen, sehen wir am Ende, dass menschliches Verhalten eine Rolle gespielt hat." Das Nipah-Virus zum Beispiel tauchte 1998 plötzlich auf einer Schweinefarm in Malaysia auf. 265 Menschen erkrankten, 105 von ihnen starben.

Inzwischen ist der Infektionsweg klar: Fledermäuse, die das Virus tragen, hatten sich von Obstbäumen auf der Farm ernährt. Durch angeknabberte Früchte hatten sich dann die Schweine infiziert und über diese die Menschen. Die immer intensivere Landwirtschaft und die schrumpfenden Regenwälder brächten wilde Tiere immer mehr in Kontakt mit Nutztieren und Menschen, sagt Epstein. "Das erlaubt es Krankheitserregern eher überzuspringen. Da müssen wir ansetzen."

Ähnliches gilt auch für Mers. Ein Grund für das saisonale Muster des Virus könnte sein, dass im Frühjahr die einjährigen Kamele von ihren Müttern getrennt und in großen Herden zusammengefasst werden. In diesen Gruppen explodiert das Virus und könnte so zu mehr Infektionen führen. Eine Möglichkeit wäre es daher, die Tiere länger bei den Müttern zu lassen und die Herden zu verkleinern. "Das wäre billiger und einfacher als ein Impfstoff", sagt Epstein. "Und es hätte den Vorteil, dass wir uns auch vor vielen anderen Erregern schützen, die wir noch gar nicht kennen."

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SZ vom 20.03.2015
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