Infektionskrankheit:Die Heimtücke von Hepatitis E

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Engpass bei Blutspenden

Hepatitis E wird über Spenderblut übertragen. Doch ein Screening aller Konserven wird als zu aufwändig erachtet.

(Foto: David Ebener/dpa)

Viele Menschen infizieren sich mit Hepatitis E, aber nur wenige werden schwer krank. Mediziner streiten nun: Wieviel Aufwand ist für den Infektionsschutz gerechtfertigt?

Von Kai Kupferschmidt

Zehn Monate lang hatte Holger Stadler (Name geändert) auf ein neues Herz gewartet. Als die Ärzte ihm endlich ein passendes Spenderorgan einpflanzten, begann sein Körper, es abzustoßen. Daher wurde auch sein Blutplasma durch das von Spendern ersetzt. Um jene Antikörper zu entfernen, die das neue Herz als fremd erkannten. Doch drei Jahre später ist klar, dass Stadler mit dem Blutplasma noch etwas anderes übertragen wurde: Hepatitis E. Das Virus vermehrt sich seitdem in seiner Leber. Stadlers neues Herz pumpt jetzt kräftig, dafür droht seine Leber zu versagen. "Damit klarzukommen, war nicht einfach", erinnert sich der ehemalige Handwerker.

Bis vor wenigen Jahren wussten auch Mediziner nicht, dass es Patienten wie Holger Stadler überhaupt gibt. Hepatitis E galt in Deutschland als exotische Erkrankung, die Reisende aus Indien oder Afrika mitbringen. Inzwischen wissen Forscher, dass sich jedes Jahr schätzungsweise 300 000 Menschen in Deutschland mit dem Virus infizieren, am häufigsten vermutlich durch den Verzehr von Schweinefleisch. "Die meisten der Infizierten merken davon gar nichts", sagt der Internist Sven Pischke vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Einige der Betroffenen leiden ein paar Tage lang unter Fieber, Müdigkeit und Gelbsucht. Nur für wenige ist die Erkrankung lebensgefährlich, so wie für Holger Stadler. Der 58-Jährige nimmt Medikamente ein, die sein Immunsystem dämpfen, damit sein Herz nicht wieder abgestoßen wird. Mit der geschwächten Körperabwehr ist er jedoch auch nicht in der Lage, das Hepatitis E-Virus zu besiegen. "Wird so eine chronische Hepatitis E nicht therapiert, führt das erst zu einer Leberfibrose, dann zur Leberzirrhose, dann zum Tod", sagt Sven Pischke, der Stadler betreut.

Das Hepatitis-ABC

Kürzlich haben Forscher im Fachblatt The Lancet vorgerechnet, dass im Jahr 2013 weltweit 1,45 Millionen Menschen an Infektionen durch Hepatitis-Viren starben, mehr als an Aids oder Malaria. Im Gegensatz zu den meisten anderen Infektionskrankheiten ist die Anzahl der Toten in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Der Großteil davon ist auf Hepatitis B und C zurückzuführen, die zu Leberkrebs oder Leberzirrhose führen können. Hepatitis B ist eine der häufigsten Infektionskrankheiten überhaupt. Das Virus kann schon durch winzige Mengen Körperflüssigkeiten übertragen werden, etwa beim Geschlechtsverkehr oder durch verunreinigte Nadeln. Infizierte Mütter übertragen das Virus oft auf ihre neugeborenen Kinder. Hepatitis C-Viren dagegen werden vor allem über Blut übertragen, etwa durch das Teilen von Nadeln oder Rasiermessern, Hepatitis A-Viren noch zusätzlich durch verunreinigtes Wasser oder Lebensmittel. Und Hepatitis D-Viren können nur jene Menschen befallen, die auch mit Hepatitis B infiziert sind. Die Rolle des Hepatitis E-Virus beginnen Forscher gerade erst zu verstehen.

Mit modernen Methoden finden Forscher immer mehr Erreger, die nur bei wenigen Patienten eine schwere Erkrankung auslösen. Diese Keime sind so etwas wie die dunkle Materie der Infektionsforschung. Viele von ihnen sind weit verbreitet. Die meisten Menschen, die sich zum Beispiel mit Denguefieber oder Gelbfieber infizieren, bekommen davon nichts mit. Und nur etwa zehn Prozent derjenigen, die Chlamydien in sich tragen, leiden unter Symptomen. Jedes Jahr infizieren sich tausende Menschen mit ihnen, ohne krank zu werden.

Und Hepatitis E stellt in Deutschland ein besonders drastisches Beispiel dar, weil das Virus besonders viele Menschen infiziert und besonders selten zu einer Erkrankung führt. Doch wie geht man mit einem Virus um, das Hunderttausende ohne Konsequenzen befällt und für einige wenige den Tod bedeuten kann? Müssen Blutspenden darauf untersucht werden? Diesen Fragen müssen sich Ärzte und Ethiker jetzt stellen.

Der russische Virologe nahm verdünnte Stuhlproben infizierter Soldaten zu sich

Die Fragen sind neu, das Virus dagegen nicht. 1978 brach im Kaschmirtal eine unbekannte Krankheit aus. Fast 300 Menschen litten an einer Leberentzündung. Vier Männer und sechs schwangere Frauen starben. Der Erreger schien durchs Wasser übertragen zu werden, im Blut der Erkrankten fanden sich keine Hinweise auf Hepatitis A oder B. Offenbar war ein anderes Virus die Ursache. Es folgten weitere Ausbrüche: Zehntausende erkrankten, Tausende starben.

Erst einige Jahre später konnte der russische Forscher Mikhail Balayan den Erreger in einem gewagten Selbstversuch nachweisen. Balayan verdünnte die Stuhlproben von neun russischen Soldaten, die in Afghanistan erkrankt waren, und nahm sie zu sich. Einen Monat später entwickelte er eine Leberentzündung. In seinem Stuhl fand er Viruspartikel: Hepatitis E. In den folgenden 20 Jahren wurde das Virus als Erreger angesehen, der durch verunreinigtes Wasser übertragen wird und in Asien und Afrika große Ausbrüche verursacht. "E" stand für Epidemien, für exotisch.

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