Infektionskrankheit:Cholera in Jemen außer Kontrolle

In Jemen leiden Tausende an der gefährlichen Durchfallerkrankung. Deutschland verspricht Hilfe, doch ohne Waffenruhe wird sich die Lage verschärfen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Der Mangel an sauberem Trinkwasser hat in Jemen zum Ausbruch einer Cholera-Epidemie geführt. Laut dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) sind allein in den vergangenen zwei Wochen mindestens 115 Menschen in dem bitterarmen Land an der Durchfallkrankheit gestorben. Es gebe weitere 8500 Krankheitsfälle in 14 der 22 Gouvernorate, sagte Dominik Stillhart, IKRK-Direktor für die Hilfsoperation in Jemen bei einer Pressekonferenz in Sanaa.

Die von den aufständischen Huthi-Milizen kontrollierte, international nicht anerkannte Regierung in Sanaa rief den Ausnahmezustand aus, weil sie nicht mehr in der Lage sei, die Seuche unter Kontrolle zu bekommen. Sie war im Oktober 2016 schon einmal ausgebrochen. Diesmal könnten aber Hunderte oder Tausende Menschen sterben, wenn die Krankheit nicht eingedämmt wird.

In der Hauptstadt mit ihren etwa 2,5 Millionen Einwohnern und Hunderttausenden Binnenflüchtlingen gibt es schon seit mehr als zwei Jahren weder Strom- noch Trinkwasserversorgung; die Menschen sind auf Brunnen und Motorpumpen angewiesen. Viele dieser Brunnen sind nicht tief genug und verunreinigt. Offenbar kommt es zur Vermischung mit Abwasser, denn das Bakterium, das die Infektion auslöst, wird meist durch Fäkalien und verunreinigtes Wasser übertragen. Auch verunreinigte Nahrung kommt als Überträger infrage. Ein zehntägiger Streik der Müllabfuhr wegen nicht gezahlter Gehälter trug laut Hilfsorganisationen noch zur Verbreitung bei, ebenso wie die Regenzeit, die bis Ende Mai dauert. Auf dem Land ist die Situation oft noch schlechter.

Jemens Premier reist nach Berlin, es geht um Unterstützung für den UN-Sondergesandten

Dazu kommt, dass die Krankenhäuser wenn überhaupt nur noch notdürftig funktionieren und es an Medikamenten mangelt. Viele Kliniken sind durch Luftangriffe der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition in Mitleidenschaft gezogen worden. Diese Koalition kämpft an der Seite des international anerkannten Präsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi. Auch blockiert dessen Regierung seit August 2016 den Flughafen in Sanaa, sodass Tausende Verletzte und Kranke nicht ausgeflogen werden können. Ärzte ohne Grenzen rief die internationalen Organisationen auf, ihre Hilfe für Jemen dringend auszuweiten.

Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es, wegen der anhaltenden Kämpfe arbeiteten Hilfsorganisationen unter extremen Sicherheitsbedingungen. Administrative und bürokratische Hindernisse sowie umfassende Importbeschränkungen erschwerten Hilfslieferungen zusätzlich. Diese Hürden müssen abgebaut werden, damit Hilfsgüter sicher und schnell nach Jemen hinein und an ihr Ziel gelangen.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte der Süddeutschen Zeitung, Deutschland stocke seine Hilfsleistungen auf 125 Millionen Euro auf und sei bereit, "eine aktive Rolle einzunehmen in dem Versuch, einen politischen Prozess am Verhandlungstisch zu beginnen". Dieses Angebot habe er UN-Generalsekretär António Guterres gemacht; Deutschland werde in den Nachbarstaaten als Gesprächspartner geschätzt. Die Bundesregierung ist bereit, einen erfahrenen Diplomaten zur Unterstützung des UN-Sondergesandten Ismail Ould Sheikh Ahmed abzustellen. Kanzlerin Angela Merkel hatte ein stärkeres Engagement Deutschlands jüngst bei ihren Besuchen in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten angeboten.

An diesem Dienstag wird in Berlin der jemenitische Premier Ahmed bin Dagher erwartet; seit Sonntag tagen in der deutschen Hauptstadt zudem mehr als ein Dutzend hochrangige Vertreter jemenitischer Parteien und Gruppierungen, erstmals nehmen auch Vertreter von Staaten aus der Region teil. Diese informellen Gespräche sollten die Bemühungen des UN-Sondergesandten unterstützen, hieß es.

Die von den UN vermittelten Friedensgespräche sind unterbrochen; die Kämpfe in Jemen gehen unvermindert weiter. Westliche Staaten und Hilfsorganisationen sind sich einig, dass die katastrophale Lage nur gemildert werden kann, wenn es eine Waffenruhe gibt und Gespräche über eine politische Lösung des Konflikts. Zuletzt meldeten Regierungstruppen zwar Geländegewinne nahe der umkämpften Stadt Taizz. Aber ein militärischer Sieg der von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und anderen arabischen Staaten unterstützten Einheiten von Präsident Hadi gegen die von Iran geförderten Huthi und Einheiten von Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh zeichnet sich nicht ab.

Zwischen den Huthi und Saleh gibt es zunehmend Spannungen. Aber auch Hadi sieht sich mit schwindender Unterstützung in Jemen konfrontiert und hat sich überdies mit den Emiraten überworfen. Laut UN sind in dem Konflikt mehr als 10 000 Menschen getötet worden, 19 Millionen sind von Hilfslieferungen abhängig, sieben Millionen von einer akuten Hungersnot bedroht.

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