Infektionen:Wie Antibiotika zielsicher werden könnten

Mikroben

Nährboden: Eine Pilzkultur wird in einer Petri-Schale zur Antibiotika-Forschung angesetzt.

(Foto: dpa)

Neue Antibiotika sollen Krankheitserreger töten, nützliche Besiedler des menschlichen Körpers dagegen verschonen.

Von Hanno Charisius

Pressekonferenz mit Ada Yonath am Weizmann-Institut, Rehovot, Israel. 16 Reporterinnen und Reporter und die Nobelpreisträgerin eingequetscht in einem winzigen Raum. Mit einer lässigen Geste ihrer rechten Hand wischt die 76-Jährigen die letzte Frage aus dem Raum. Ein Besucher wollte wissen, wie der Nobelpreis für Chemie im Jahr 2009 ihr Leben verändert hat. Darüber will sie aber nicht reden, sie will lieber ihr neuestes Projekt vorstellen: neue Antibiotika, die gezielt die Krankheitserreger töten, die nützlichen Mitbewohner des Menschen aber verschonen. Die Medikamente reichern sich zudem nicht mehr in der Umwelt an, weil sie sich nach einiger Zeit selbst auflösen.

Die Lösung liegt laut Yonath in den Ribosomen. Das sind molekulare Fabriken, die in jeder lebenden Zelle nach den Bauplänen des Erbguts Eiweißstoffe herstellen. Yonath und ihre Mitarbeiter haben herausgefunden, dass sich diese Proteinmaschinen bei verschiedenen Bakterienarten unterscheiden. "Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass Bakterien unterschiedlich auf Antibiotika reagieren", erzählt Yonath.

Erst vor wenigen Wochen veröffentlichte ihr Team eine Auflistung von charakteristischen Merkmalen der Ribosomen von Bakterien der Art Staphylococcus aureus im Fachblatt PNAS. Die Unterschiede zu anderen Bakterien seien groß genug, um passgenaue Antibiotika zu entwickeln, die speziell Staphylococcus-Ribosomen außer Betrieb setzen, die anderer Bakterienarten jedoch nicht beeinträchtigen, sagt Yonath.

Diese Methode, gezielt eine Bakterienart auszuschalten, habe sie mit Kollegen bereits zum Patent angemeldet. Auch einen Wirkstoffkandidaten zur gezielten Bekämpfung von Staphylococcus aureus gebe es bereits. Das Bakterium ist in Krankenhäusern ein Problemkeim. Es gibt viele Stämme, die gegen Antibiotika resistent sind und vor allem stark geschwächten Patienten gefährlich werden können.

Ada Yonath war die Erste, die einen Weg fand, um Aufbau und Struktur der Ribosomen aufzuklären. Fast zwanzig Jahre versuchte sie vergeblich, den Aufbau der Proteinmaschinen zu entschlüsseln. Im Jahr 2001 veröffentlichte sie dann einen Fachaufsatz, in dem sie beschreiben konnte, wie fünf verschiedene Antibiotika an Ribosomen von Bakterien binden und diese so außer Funktion setzen. Damals leitete Yonath noch eine Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut in Hamburg und benutzte die Strahlung des Teilchenbeschleunigers Desy, um die Feinstrukturen der Ribosomen auszuleuchten.

Wenn die hilfreichen Bakterien zugrunde gehen, drohen Allergien und Immunkrankheiten

Weil kein Lebewesen ohne Proteine leben kann, sind Ribosomen der perfekte Angriffspunkt, um Krankheitserreger auszuschalten. Mehr als die Hälfte aller heute genutzten Antibiotika hemmen, blockieren oder verstopfen zielgerichtet die Ribosomen von Bakterien, aber nicht die von Menschen oder Tieren.

Das funktioniert, weil sich Bakterien- und die meisten menschlichen Ribosomen in ihrem Aufbau unterscheiden. Allerdings können die Wirkstoffe bislang nur schlecht zwischen Krankheitserregern und nützlichen Mikroben unterscheiden, was üble Folgen haben kann. Denn die Bakterien, die auf dem menschlichen Körper und vor allem im Darm leben, sind wichtige Dienstleister für ihren Gastgeber. Gehen sie zugrunde, etwa durch zu häufigen Gebrauch von Antibiotika, drohen Allergien, Immunerkrankungen, Stoffwechselstörungen und womöglich sogar psychische Probleme, so vermuten heute viele Forscher. Antibiotika, die nur ganz gezielt gegen eine Bakterienart wirken, könnten das gesunde Mikrobiom des Menschen verschonen.

Pharmafirmen haben wenig Interesse

Auch Daniel Wilson vom Genzentrum der Universität München beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wie man Ribosomen noch besser als Angriffspunkt für Antibiotika nutzen kann. Er hält die Unterschiede zwischen Bakterien allerdings für sehr klein, das mache es nicht einfach, jeweils exakt passende Antibiotika zu entwickeln. "Da bin ich etwas skeptisch."

An anderen Stellen seien die Unterschiede zwischen den verschiedenen Bakterienarten größer, sagt er, etwa an den Membranen. Hier sieht er bessere Angriffspunkte für artspezifische Wirkstoffe, genauso wie der Professor für pharmazeutische Biologie Andreas Bechthold von der Universität Freiburg. "Ich sage nicht, dass man es nicht vielleicht irgendwann machen kann", sagt Wilson, "aber zurzeit sind wir noch nicht soweit."

Wie zukünftige Antibiotika schneller zerfallen und sich so nicht mehr in der Umwelt anreichern können, dazu schweigt die Nobelpreisträgerin. Sie sagt nur, dass solche Antibiotika anders aufgebaut sein müssten als die gängigen Wirkstoffe. Wie wichtig solche Arzneimittel wären, unterstreicht auch Manfred Grote, pensionierter Professor für Anorganische Chemie der Universität Paderborn. Im Auftrag des Bundesforschungsministeriums hat er mit Kollegen den Weg der Arzneistoffe durch die Umwelt bis hin zur Nahrungskette des Menschen nachvollzogen.

"Einige Antibiotika sind in der Umwelt sehr stabil. Wir konnten auch nach sechs Monaten Lagerzeit noch immer Arzneimittelrückstände in Gülleproben nachweisen." Wird die Gülle als Dünger wieder aufs Feld gebracht, kann man später Spuren der Arzneistoffe auch in den Feldfrüchten finden, wie Grote in Experimenten zeigen konnte. Offen ist, was das für die Gesundheit bedeutet, wenn man sein leben lang geringe Mengen Antibiotika zu sich nimmt, und ob sich dadurch das Resistenzproblem verschlimmert.

Doch für Grote ist klar, dass leichter abbaubare Antibiotika eine gute Sache wären. Allerdings hält er dieses Ziel für schwer erreichbar, denn jede chemische Veränderung, die einen Arzneistoff vielleicht leichter zerfallen lässt, könne auch seine Wirksamkeit einschränken. "Da sind gute Chemiker gefragt."

Yonath hält es für falsch, dass die Pharmaindustrie so wenig für die Entwicklung von Antibiotika tut

Dass Ada Yonath Probleme lösen kann, die andere für unlösbar hielten, hat sie bereits einmal bewiesen. Was sie allerdings nicht verstehen kann, ist die Zurückhaltung der Pharmaindustrie, wenn es um die Entwicklung neuer Antibiotika geht. In den Tagen im Oktober 2009, nach dem Anruf aus Stockholm, durch den sie erfahren hat, dass sie gemeinsam mit ihren Kollegen Venkatraman Ramakrishnan und Thomas Steitz den Nobelpreis für Chemie bekommen hat, luden viele großen Pharmaunternehmen sie ein, um mehr über Antibiotika und Ribosomen zu erfahren. Doch immer winkten die Pharmabosse ab, sagt Yonath. "Ich erklärte den Unternehmen auch, dass, wenn sie nichts tun, immer mehr Menschen jung sterben werden an Infektionen, und dann wird ja auch ihr Markt für andere Medikamente kleiner." Doch bislang konnte sie keinen Konzern überzeugen, wieder in die Entwicklung neuer Antibiotika zu investieren.

Zum Ende ihres Treffens mit den Journalisten beantwortete die Strukturbiologin dann doch noch die Frage, wie der Nobelpreis ihr Leben verändert habe: "Gar nicht." Sie habe einfach weitergearbeitet.

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