Süddeutsche Zeitung

Infektionen auf Reisen:Die Keime fliegen mit

Lesezeit: 2 min

Bakterien können in Flugzeugkabinen bis zu einer Woche überleben. Am längsten haften sie an den Taschen im Vordersitz. Wer am stärksten gefährdet ist, sich an Bord eine Infektion zuzuziehen.

Von Berit Uhlmann

Wie schön, wenn das Flugzeug unerwartet leer ist. Kein Ellenbogen drückt den eigenen Arm beiseite, kein Husten oder Niesen des Sitznachbarn lässt befürchten, dass eine üble Krankheit in der Kabine kursiert. Alles bestens? Nicht unbedingt, besagen Studienergebnisse, die an diesem Dienstag auf dem Treffen der Amerikanischen Gesellschaft für Mikrobiologie vorgestellt wurden.

Eine Ansteckungsgefahr geht nicht nur von mitreisenden, sondern auch von früheren Passagieren aus, zeigte Kiril Vaglenov von der amerikanischen Auburn University. Er hat im Labor die Überlebensfähigkeit von zwei Bakterienarten auf typischen Materialien einer Flugzeugkabine überprüft - vom ausklappbaren Plastiktischchen bis zum Spülknopf auf der Bordtoilette.

Den Rekord hielt ein multiresistenter Keim (MRSA), der 168 Stunden auf der Tasche des Vordersitzes überlebte, dort wo Infomaterial, Spucktüten und mitunter diverser Müll anderer Reisender stecken. Diese antibiotikaresistenten Bakterien vom Typ Staphylococcus aureus sind mittlerweile in der Umwelt weit verbreitet und als Krankenhauskeime gefürchtet. Während das Immunsystem gesunder Menschen sie in Schach hält, können sie bei immungeschwächten Menschen schwere Entzündungen in Lunge, Harnwegen oder Wunden hervorrufen. E.-coli-Bakterien, die Magen-Darm-Beschwerden auslösen können, überdauerten dagegen am längsten auf der Armlehne: 96 Stunden hielten sie sich dort. Die Erreger können von dort auf die Hände von Reisenden gelangen und so weiter übertragen werden, warnte der Wissenschaftler.

Vaglenov hatte eine Bestuhlung mit Ledersitzen untersucht. Hätte er auch textile Sitzbezüge analysiert, wäre das Ergebnis womöglich anders ausgefallen. Im vergangenen Jahr identifizierten schwedische Wissenschaftler die Stoffe als Quelle für Allergene und Pilze. In Flugzeugen mit Stoffsitzen lag die Konzentration von Katzenallergenen 50 Mal so hoch wie in Fliegern mit Ledersitzen. Auch DNA von verschiedenen Pilzen war in den Fliegern mit Stoffsitzen deutlich stärker verbreitet.

Am höchsten ist das Risiko für eine Ansteckung, wenn die Lüftung im Flieger nicht läuft

Akut wird die Infektionsgefahr, wenn Kranke an Bord sind, haben Wissenschaftler am Beispiel mehrerer Krankheitserreger festgestellt. Am höchsten ist das Infektionsrisiko, wenn der Kranke maximal zwei Reihen entfernt platziert ist.

Entscheidend ist auch die Länge des Fluges. Auf einem elfstündigen Flug in der Economy Class müssen einer Schätzung von US-Medizinern zufolge ein bis drei Passagiere in der First Class und fünf bis zehn Reisende in der Economy damit rechnen, sich ebenfalls mit Grippe anzustecken - wenn nur ein Infizierter mitreist. Generell besser dran sind Passagiere in der ersten Klasse. Auf der Kurzstrecke sind Passagiere im vorderen Kabinenabschnitt statistisch gesehen sogar weitgehend geschützt.

Wer Economy fliegt, muss trotzdem nicht in Panik verfallen. Schon 2005, kurz nachdem die Lungenkrankheit Sars per Flugzeug um den Erdball reiste, erklärten Forscher im Fachblatt Lancet, das Infektionsrisiko im Luftverkehr werde überschätzt. Allerdings sind die Risikofaktoren enorm vielfältig. Neben den Eigenschaften des Krankheitserregers spielt auch das Lüftungssystem eine Rolle. Am schlimmsten ist die Lage, wenn die Lüftung ausgeschaltet ist, während das Flugzeug am Boden wartet. In dieser Phase sind Influenza-Übertragungen über viele Sitzreihen hinweg erwiesen.

Insgesamt scheint die Kontamination von Flugzeugkabinen aber der anderer öffentlicher Orte zu entsprechen. "Ich glaube nicht, dass es gefährlicher als im Kino ist", sagt Vaglenov. Am Boden wie in der Luft schützt zudem die gleiche Maßnahme: regelmäßiges Händewaschen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1970223
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.05.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.