Der Schock ist gewollt. Allein im Jahr 2050 könnten zehn Millionen Menschen an resistenten Keimen sterben - mehr als an Krebs. Schon heute seien es 700 000 Menschen jedes Jahr. So hat es der angesehene Ökonom Jim O'Neill im Auftrag der britischen Regierung errechnet und diese Woche in seinem Bericht veröffentlicht.
Doch die Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Zwar schätzt die europäische Seuchenschutzbehörde, dass in Europa jedes Jahr rund 25 000 Menschen resistenten Infektionen erliegen. Aber viele von ihnen würden auch dann sterben, wenn keine Resistenzen vorlägen. Wie viele, weiß kein Mensch. Noch fragwürdiger sind die Spekulationen über die Zukunft.
Dennoch ist es unbestritten ein Riesenproblem, dass immer mehr Krankheitserreger gegenüber Antibiotika unempfindlich werden. Wie beim Klimawandel handelt es sich um eine Katastrophe in Zeitlupe. Wenn ihre volle Wucht zu spüren sein wird, ist es bereits zu spät. Umso wichtiger ist es, dass Forscher Fakten liefern, statt politische Prognosen zu stützen. Es geht nicht darum, die Antibiotika-Apokalypse in immer dunkleren Farben zu malen. Ein ernsthafter Sinneswandel ist nötig. Man muss begreifen, dass Antibiotika letztlich eine natürliche Ressource sind. Sie sind Wunderwaffen der Medizin, die beim Gebrauch stumpf werden. Darum muss man sorgsam mit ihnen umgehen. Sie nur einzusetzen, wenn sie wirklich nötig sind. Antibiotika sollten das letzte Mittel sein, nicht die erste Wahl.
Die Gesundheit Europas muss heute auch in den armen Ländern verteidigt werden
Außerdem braucht es Anreize, neue Wirkstoffe zu entwickeln. Ein einziges Krebsmedikament liefert heute so viel Gewinn wie alle patentgeschützten Antibiotika zusammen. Deshalb ist O'Neills Vorschlag richtig, Pharmafirmen für ein neues Antibiotikum künftig mit einer Milliarde Euro zu belohnen. Das Geld könnte von Unternehmen kommen, die am Gesundheitsmarkt verdienen. Denn die moderne Medizin, ob Transplantationen oder Chemotherapie, stützt sich auf Antibiotika.
Vor allem aber muss die Weltgemeinschaft das Problem vereint bekämpfen. Solange die Arzneimittel in Indien und China bedenkenlos eingesetzt werden, bringt Zurückhaltung in Deutschland wenig. Helfen würden bereits Tests, die schnell darüber Auskunft liefern, ob ein Antibiotikum nötig ist. Doch sind sie in vielen Ländern kaum verfügbar.
Die Schlussfolgerung ist die gleiche wie schon bei Sars oder Ebola: Man muss armen Ländern helfen, bessere Gesundheitssysteme aufzubauen. Denn auch die Gesundheit Europas wird dort verteidigt. Dass Länder wie Deutschland das immer noch nicht begriffen haben, das ist das wirklich Schockierende.